2007-09-08 17:53:07

Homilie Benedikts XVI. bei der Vesper in Marizell


RealAudioMP3 Verehrte Mitbrüder im Priesteramt!
Liebe Männer und Frauen des gottgeweihten Lebens!
Liebe Freunde!

Wir haben uns in der ehrwürdigen Basilika unserer „Magna Mater Austriae“, in Mariazell, versammelt. Seit vielen Generationen bitten hier die Menschen um den Beistand der Gottesmutter. Wir wollen das heute auch tun. Wir wollen mit ihr den Lobpreis auf die erhabene Güte Gottes anstimmen und unseren Dank an den Herrn für alle empfangenen Wohltaten, besonders für das unermeßliche Geschenk des Glaubens, aussprechen. Wir wollen ihr auch unsere Herzensanliegen sagen: ihren Schutz für die Kirche erbitten, ihre Fürsprache um das Geschenk guter Berufungen für unsere Diözesen und Ordensgemeinschaften anrufen, um ihren Beistand für die Familien und um ihr erbarmendes Gebet für alle Menschen bitten, die einen Ausweg aus ihren Sünden und nach Umkehr suchen, und schließlich ihrer mütterlichen Sorge alle kranken und alten Menschen anvertrauen. Möge die große Mutter Österreichs und Europas uns allen zu einer tiefgreifenden Erneuerung des Glaubens und Lebens verhelfen.

Liebe Freunde, ihr seid als Priester und Ordensleute Diener und Dienerinnen der Sendung Christi. Wie vor zweitausend Jahren Jesus Menschen in seine Nachfolge gerufen hat, so brechen auch heute junge Männer und Frauen auf seinen Ruf hin auf, fasziniert von Jesus und bewegt von der Sehnsucht, ihr Leben in den Dienst der Kirche zu stellen und es für die Hilfe an Menschen hinzugeben. Sie wagen die Nachfolge Jesu Christi und wollen seine Zeugen sein. Das Leben in der Nachfolge ist tatsächlich ein Wagnis, weil wir immer bedroht sind von Sünde, von Unfreiheit und Abfall. Daher bedürfen wir alle seiner Gnade, so wie Maria sie in Fülle bekam. Wir lernen, wie Maria, immer auf Christus zu schauen und an ihm Maß zu nehmen. Wir dürfen an der universalen Heilssendung der Kirche, deren Haupt er ist, teilnehmen. Der Herr beruft die Priester, Ordensleute und die Laien, hineinzugehen in die Welt und ihre vielschichtige Wirklichkeit, und dort am Aufbau des Reiches Gottes mitzuwirken. Sie tun das in einer großen und bunten Vielfalt: in der Verkündigung, im Aufbau von Gemeinden, in den verschiedenen pastoralen Diensten, in der tätigen Liebe und gelebten Caritas, in der aus apostolischem Geist geleisteten Forschung und Wissenschaft, im Dialog mit der uns umgebenden Kultur, in der Förderung der von Gott gewollten Gerechtigkeit und nicht weniger in der zurückgezogenen Kontemplation des dreifaltigen Gottes und im gemeinsamen Gotteslob ihrer Gemeinschaft.

Der Herr lädt euch ein zur Pilgerschaft der Kirche „auf ihrem Weg durch die Zeit“. Er lädt euch ein, seinen Pilgerweg mitzugehen und teilzuhaben an seinem Leben, das auch heute noch ein Kreuzweg und der Weg des Auferstandenen durch das Galiläa unseres Lebens ist. Immer aber ist es der eine Herr, der uns zum einen Glauben durch die eine Taufe beruft. Die Teilhabe an seinem Weg beinhaltet also beides: die Dimension des Kreuzes – mit Mißerfolgen, Leiden Unverstandensein, ja sogar Verachtung und Verfolgung – aber auch die Erfahrung einer tiefen Freude in seinem Dienst und die Erfahrung des tiefen Trostes aus der Begegnung mit Ihm. Wie die Kirche haben die Gemeinden, die Gemeinschaften und jeder getaufte Christ den Ursprung ihrer Sendung in der Erfahrung des gekreuzigten und auferstandenen Christus.

Die Mitte der Sendung Jesu Christi und aller Christen ist die Verkündigung des Reiches Gottes. Diese Verkündigung in Christi Namen bedeutet für die Kirche, die Priester, die Ordenschristen und für alle Getauften, als seine Zeugen in der Welt anwesend zu sein: Ihr gebt Zeugnis für einen Sinn, der in der schöpferischen Liebe Gottes wurzelt und sich gegen allen Unsinn und alle Verzweiflung stellt. Ihr steht an der Seite jener, die um diesen Sinn ringen, an der Seite all derer, die dem Leben eine positive Gestalt geben möchten. Betend und bittend seid ihr die Anwälte derer, die nach Gott suchen. Ihr gebt Zeugnis von einer Hoffnung, die wider alle stille und laute Verzweiflung hinweist auf die Treue und Zuwendung Gottes. Damit steht ihr auf der Seite aller, deren Rücken gekrümmt ist durch drückende Schicksale und die von ihren Lastkörben nicht mehr loskommen. Ihr gebt Zeugnis von der Liebe, die sich für die Menschen dahingab und so den Tod besiegt hat. Ihr steht auf der Seite jener, die nie Liebe erfahren haben, die an das Leben nicht mehr zu glauben vermögen. Ihr steht so gegen die vielfältigen Weisen von versteckter und offener Ungerechtigkeit wie gegen die sich ausbreitende Menschenverachtung. So soll eure ganze Existenz, liebe Brüder und Schwestern, wie die Existenz Johannes’ des Täufers ein großer, lebendiger Hinweis auf Jesus Christus sein, den Mensch gewordenen Sohn Gottes. Jesus hat Johannes eine brennende und leuchtende Lampe genannt (vgl. Joh 5, 35). Seid auch ihr solche Lampen! Laßt euer Licht hineinleuchten in unsere Gesellschaft, in die Politik, in die Welt der Wirtschaft, in die Welt der Kultur und der Forschung. Wenn es auch nur ein kleines Licht sein mag inmitten vieler Irrlichter, so bekommt es seine Kraft und seinen Glanz doch von dem großen Morgenstern, dem auferstandenen Christus, dessen Licht leuchtet und nicht untergehen wird.

Nachfolgen heißt in die Gesinnung Christi, in den Lebensstil Jesu hineinwachsen (vgl. Phil 2, 5). „Auf Christus schauen“ heißt das Motto dieser Tage. Im Hinschauen auf Ihn, den großen Lehrer des Lebens, hat die Kirche drei herausragende Merkmale der Gesinnung Jesu Christi entdeckt. Diese drei Merkmale – wir nennen sie die evangelischen Räte – sind zu den prägenden Elementen für ein Leben in der radikalen Nachfolge Christi geworden: Armut, Keuschheit und Gehorsam. Denken wir ein wenig über diese Merkmale nach.

Jesus Christus, der reich war mit dem ganzen Reichtum Gottes, ist unsertwegen arm geworden (2 Kor 8, 9). Er hat sich entäußert, sich erniedrigt und war gehorsam bis zum Tod am Kreuz (Phil 2, 6ff). Er, der Arme, hat die Armen selig gepriesen. Lukas zeigt uns, daß dieser Zuruf sich durchaus auf die armen Menschen im Israel seiner Zeit bezieht, wo es einen bedrückenden Gegensatz zwischen Reichen und Armen gab. Matthäus klärt in seiner Version der Seligpreisungen, daß freilich die bloße materielle Armut als solche für sich allein noch nicht die Nähe zu Gott verbürgt, auch wenn Gott diesen Armen auf besondere Weise nahe ist. So wird klar: Der Christ sieht in ihnen Christus, der auf ihn wartet, auf seinen Einsatz. Wer Christus radikal nachfolgen will, muß entschieden auf materielle Habe verzichten. Aber er muß diese Armut von Christus her leben, als inwendiges Freiwerden für Gott und für den Nächsten. Die Frage der Armut und der Armen muß für alle Christen, besonders aber für Priester und Ordensleute, die einzelnen wie die Ordensgemeinschaften, immer wieder Inhalt einer ernsten Gewissenserforschung sein.

Um recht zu verstehen, was Keuschheit bedeutet, müssen wir von ihrem positiven Inhalt ausgehen. Und den wieder finden wir im Hinschauen auf Jesus Christus. Jesus hat in einer doppelten Zuwendung gelebt: zum Vater und zum Nächsten. In der Heiligen Schrift lernen wir Jesus als Betenden kennen, der Nächte in der Zwiesprache mit dem Vater verbringt. Im Beten nimmt er sein Menschsein und unser aller Menschsein hinein in die Sohnesbeziehung zum Vater. Dieser Dialog mit dem Vater wird dann immer neu Sendung zur Welt, zu uns hin. Seine Sendung führte ihn in eine reine und ungeteilte Hinwendung zu den Menschen. In den Zeugnissen der Heiligen Schrift ist in keinem Augenblick seines Daseins in seinem Umgang mit den Menschen eine Beimischung von Eigeninteresse oder Eigennutz zu erkennen. Jesus hat die Menschen geliebt, wie er seinen Vater geliebt hat. Das Eintreten in diese Gesinnung Jesu hat Paulus zu seiner Theologie und Lebenspraxis inspiriert, die auf Jesu Wort von der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen antwortet (vgl. Mt 19, 12). Priester und Ordensleute leben nicht beziehungslos und geloben durch das Gelübde der ehelosen Keuschheit nicht Individualismus oder Beziehungslosigkeit, sondern sie geloben, die intensiven Beziehungen, deren sie fähig sind und mit denen sie beschenkt werden, ganz und vorbehaltlos in den Dienst des Reiches Gottes zu stellen. So werden sie selbst zu Menschen der Hoffnung: Indem sie ganz auf Gott setzen, schaffen sie seiner Gegenwart – dem Reich Gottes – Raum in der Welt. Ihr, liebe Priester und Ordensleute, leistet einen großen Beitrag: Inmitten von aller Gier, allem Egoismus des Nicht-Warten-Könnens, des Konsumhungers, inmitten des Kultes der Individualität versuchen wir, eine uneigennützige Liebe zu den Menschen zu leben. Wir leben eine Hoffnung, die Gott die Erfüllung überläßt. Was wäre geworden, hätte es diese Verweisgestalten in der Geschichte der Christenheit nicht gegeben? Was würde aus unserer Welt werden, wenn es die Priester, die Frauen und Männer in den Orden und Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens nicht gäbe, die die Hoffnung auf eine größere Erfüllung der menschlichen Wünsche und die Erfahrung der Liebe Gottes, die alle menschliche Liebe übersteigt, nicht vorleben? Die Welt braucht unser Zeugnis gerade auch heute.

Kommen wir zum Gehorsam. Jesus hat sein ganzes Leben, von den stillen Jahren in Nazareth bis in den Augenblick des Todes am Kreuz, im Hören auf den Vater, im Gehorsam zum Vater gelebt. Sehen wir exemplarisch auf die Nacht am Ölberg hin. „Nicht mein Wille geschehe, sondern der Deinige.“ Jesus nimmt in diesem Beten unser aller widerstrebenden Eigenwillen in seinen Sohneswillen hinein, wandelt unsere Rebellion in seinen Gehorsam um. Jesus war ein Betender. Darin aber war er zugleich Hörender und Gehorchender: „Gehorsam geworden bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2, 8). Die Christen haben immer erfahren, daß sie sich nicht verlieren durch die Hingabe an den Willen des Herrn, sondern daß sie durchfinden zu einer tiefen Identität und inneren Freiheit. An Jesus haben sie entdeckt, daß sich findet, wer sich verschenkt, daß frei wird, wer sich in einem in Gott gründenden und ihn suchenden Gehorsam bindet. Auf Gott zu hören und ihm zu gehorchen hat nichts zu tun mit Fremdbestimmung und Selbstverlust. Im Eintreten in den Willen Gottes kommen wir erst zu unserer wahren Identität. Das Zeugnis dieser Erfahrung braucht die Welt heute gerade mitten in ihrem Verlangen nach „Selbstverwirklichung“ und „Selbstbestimmung“.

 Romano Guardini berichtet in seiner Autobiographie, wie ihm in einem kritischen Augenblick seines Weges, in dem ihm der Glaube seiner Kindheit fraglich geworden war, der tragende Entscheid seines ganzen Lebens – die Bekehrung – geschenkt wurde in der Begegnung mit dem Wort Jesu, daß sich nur findet, wer sich verliert (vgl. Mk 8, 34f; Joh 12, 25); daß es keine Selbstfindung, keine Selbstverwirklichung geben kann ohne das Sich-Lassen, das Sich-Verlieren. Aber wohin darf man sich verlieren? Wem sich verschenken? Ihm wurde klar, daß wir uns nur dann ganz weggeben können, wenn wir dabei in Gottes Hände fallen: Nur an ihn dürfen wir uns letztlich verlieren, und nur in ihm können wir uns finden. Aber dann kam die Frage: Wer ist Gott? Wo ist Gott? Nun begriff er, daß der Gott, an den wir uns verlieren dürfen, nur der in Jesus Christus konkret und nahe gewordene Gott sein kann. Aber da bricht nochmals die Frage auf: Wo finde ich Jesus Christus? Wie kann ich mich ihm wirklich geben? Die von Guardini in seinem Ringen gefundene Antwort lautet: Konkret gegenwärtig ist uns Jesus Christus nur in seinem Leib, der Kirche. Darum muß Gehorsam gegen Gottes Willen, Gehorsam zu Jesus Christus ganz konkret und praktisch demütig-kirchlicher Gehorsam sein. Auch darüber sollten wir immer wieder gründlich unser Gewissen erforschen. All dies findet sich zusammengefaßt in dem Gebet des heiligen Ignatius von Loyola, das mir immer so zu groß ist, daß ich es fast nicht zu beten wage, und das wir uns doch immer neu anbringen sollten: »Nimm hin, Herr, und empfange meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen ganzen Willen, all mein Haben und mein Besitzen. Du hast es mir gegeben; Dir, Herr, gebe ich es zurück. Alles ist Dein, verfüge nach Deinem ganzen Willen. Gib mir nur Deine Liebe und Gnade, dann bin ich reich genug und verlange nichts weiter«“ (Eb 234).
 Liebe Brüder und Schwestern! Ihr geht nun wieder zurück in eure Lebenswelt, an eure kirchlichen, pastoralen, geistlichen und menschlichen Lebensorte. Unsere große Fürsprecherin und Mutter Maria breite schützend ihre Hand über euch und euer Wirken aus. Sie trete fürbittend bei ihrem Sohn, unserem Herrn Jesus Christus, ein. Mit meinem Dank für euer Gebet und euer Wirken im Weinberg des Herrn verbinde ich meine innige Bitte an Gott um Schutz und Wohlfahrt für euch alle, für die Menschen, besonders die jungen Menschen, hier in Österreich und in den verschiedenen Ländern, aus denen manche von euch stammen. Von Herzen begleite ich euch alle mit meinem Segen.







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