Kardinal Jean-Marie Lustiger ist tot. Der frühere Erzbischof von Paris starb in der
letzten Nacht in einem Pariser Hospiz an Krebs. Er war 80 Jahre alt. Lustiger, eine
"Entdeckung" Johannes Pauls II., war einer der profiliertesten Kirchenvertreter des
20. Jahrhunderts und ein Großer des christlich-jüdischen Gesprächs.
Aaron Lustiger
- so nannten ihn seine Eltern, polnische Einwanderer, als er im September 1926 geboren
wurde. Mit elf Jahren bekam er eine christliche Bibel in die Hand, die er von vorn
bis hinten durchlas - dabei erschien ihm das Neue Testament als Fortsetzung des Alten.
Mit 14 Jahren trat Aaron trotz des Unverständnisses seiner Familie zum christlichen
Glauben über und nannte sich fortan Jean-Marie; kurz darauf wurde seine Mutter in
das KZ Auschwitz gebracht und dort umgebracht. - 1954: die Priesterweihe. Lustiger
ist anderthalb Jahrzehnte lang Studentenseelsorger an der Pariser Sorbonne, da "entdeckt"
ihn der neue Papst aus Polen. Er macht ihn zunächst zum Bischof von Orléans und beruft
ihn dann, 1981, auf den Sitz des Pariser Metropoliten. Kardinal Lustiger wird zum
engen Freund und Vertrauten Johannes Pauls und zu einer wichtigen Stimme des europäischen
Christentums. Durch sein Gesprächsbuch "Gotteswahl" wird seine Biografie und sein
Denken einer größeren Leserschaft bekannt. Zahlreiche Brücken hat der jetzt Verstorbene
von Paris aus gebaut: von der Kirche zur modernen Welt, zum Beispiel. 1995 wurde er
Mitglied der "Académie Francaise". Vor allem aber vom Christentum zum Judentum, dem
Credo seiner Kindheit. Seine jüdischen Wurzeln hat er nie verleugnet; 2005 begleitete
er Benedikt XVI. bei seinem Besuch in der Kölner Synagoge.