Diesmal kam ein gewichtiges Wort von ganz oben: es war nicht das übliche Bürgerkomittee,
nicht der übliche Oppositionspolitiker, auch nicht irgend ein bekannter Medienmann
oder Meinunsgbildner, die da ihren Zorn und die Wut über die politische Kaste Italiens
öffentlich kundtaten, nein, diesmal war es ein Kardinal. Ein wichtiger Kurienkardinal.
Nämlich Renato Raffaele Martino, seines Zeichens Sozialminister des Vatikans, langjähriger
ständiger Beobachter des Hl. Stuhls bei der UNO in New York, absoluter Gegner des
US-Angriffs auf Bagdad, ein überzeugter Gegner der Todesstrafe - auch für Saddam Hussein,
ein Befürworter der Einführung des islamischen Religionsunterrichts in den italienischen
Volksschulen, ein Spezialist für Fragen der Menschenrechte und des Lebensschutzes,
ein geschulter Vatikan-Diplomat, wie er im Buche steht, kurz um, eine Mann der Gerechtigkeit.
Er war es, der in dieser Woche die Medienkeule schwang und sie unverhohlen gegen die
Politiker, aber gleichzeitig auch gegen seine eigenen Landsleute, die Süditaliener
niederschmetterte. Was war geschehen? Der Kardinal war mit seinem PKW auf der Autobahn
A3 unterwegs, jene Autobahn, die von Salerno, der Geburtsstadt Martinos, nach Reggio
Calabria führt. Die wichtigste und einzige Verkehrsader des italienischen Südens.
Für die rund 200 Kilometer lange Strecke war der Kirchenvertreter, und alle anderen
- die Vielzahl von Familien mit ihren Kindern auf Ferienreise sowie der gesamte
Reise- Berufs- und Warenverkehr des Tages - mehr als fünf Stunden lang unterwegs.
Im Schneckentempo von dreißig Stundenkilometern, unter der sengenden Hitze im unerträglichen
Stau. Der Grund? Eine ununterbrochene Vielzahl von Baustellen säumen links und rechts
diese verkehrsreichste Asphaltbahn Kalabriens. Seit eh und je. Wer sind da die Verantwortlichen,
wenn nicht die Politiker selbst? Die meisten von ihnen, die notfalls in ihren gekühlten
Luxusmaschinen mit Blaulicht und Chauffeur auf der Notspur überholen dürfen oder diese
Strecke kurzerhand im Flugzeug bewältigen können , wissen nichts, von den oft menschenunwürdigen
Reisebedingungen des Normalbürgers, gar nichts. Das erzeugt Frust und Aggresivität,
das hat etwas mit Menschenwürde zu tun. Der Kardinal geht noch weiter und vergleicht
den Abschnitt der A3 mit einer 'Via Crucis' – einem Kreuzweg. 'Ihr müßt euch endlich
wehren, mahnt der hohe Kirchenvertreter, und richtet heiße, rebellierende Worte an
seine Landsleute. 'Seid ich ein Kind bin, wird an dieser Autobahn gebaut und sie ist
immer noch nicht fertig. Das kann nur Schuld der Mafia und derjengen sein, die für
ihr Weiter-Bestehen verantwortlich sind'. Klärende Worte: Endlich spricht sie ein
Vertreter jener Institution offen aus, die nicht in dem Verdacht steht, aus politischen
oder anderen Gründen, lediglich Zweckpessimismus zu manifestieren. Wird der heilige
Zorn des Kardinals Früchte tragen? Wird die A3 einmal zu einer baustellenfreien, normalen
Autobahn werden? Die Frage ist schon beantwortet: Nein, denn wenn ja, wäre Italien
nicht Italien, der Süden nicht der Süden und die Mafia nicht die Mafia.