Am Pfingstsonntag
– also vor genau einem Monat - hat Papst Benedikt XVI. einen Brief an Chinas Katholiken
geschrieben – und bis heute wartet der Vatikan auf eine Reaktion. Nicht von den Katholiken,
sondern vom Pekinger Regime. Denn die Antwort der Katholiken in China ist längst da.
Das berichtet Raphaela Schmid, Leiterin des Becket-Instituts für Religionsfreiheit,
im Gespräch mit Stefan Kempis.
Ich bin im Kontakt mit chinesischen Katholiken
sowohl der Untergrund- als auch der offenen Kirche, und es ist schon bewegend, aus
der Ferne mitzubekommen, wie begeistert die chinesischen Katholiken sind, dass der
Papst sich direkt an sie gewandt hat, und wie wichtig es ist, so ein Papier zu haben,
dessen Öffentlichkeitscharakter es einfacher macht für alle Katholiken Chinas, mit
der Regierung zu verhandeln.
Warum macht dieser Brief den Katholiken das Leben
einfacher? Benedikt hat ja an die Katholiken geschrieben und nicht an das chinesische
Regime…
Ich glaube, das war besonders gut durchdacht, da es sich beim Heiligen
Vater ja nicht um eine politische Gestalt handelt, sondern wirklich um den Vater der
Katholiken – und so kümmert er sich dort um seine Herde, in der es Schwierigkeiten
gibt. Er fängt deshalb auch mit einem Paulusbrief-Zitat an, das zeigt, dass diese
Art des Kommunizierens ja ganz früh schon in der Kirchengeschichte angefangen hat. Eine
Sache, die Kardinal Zen von Hongkong auch betont hat, ist: Dieser Brief wird es viel
einfacher machen, um die Patriotische Vereinigung herumzukommen, wenn man als katholische
Kirche in China jetzt mit der Regierung verhandeln will. Denn die Patriotische Vereinigung
hat sich ja als Mittelsmann positioniert; Liu Bainian, der Vizepräsident, aber de
facto der Chef dieser Organisation, war eigentlich immer der Vermittler, der der Regierung
gegenüber die Position der Kirche dargestellt hat. Nun gibt`s aber dieses Papier des
Papstes, und es verhindert, dass man es neu darstellt oder umschreibt und sagt: Die
eigentliche katholische Position ist eine andere, und man kann hier Kompromisse machen
usw…. Die Rhetorik der Patriotischen Vereinigung war immer schon, zu sagen: Wir
haben ja gar kein Problem mit dem Papst – der Papst hat Probleme mit uns, denn solange
die Katholiken in China genau das tun, was wir wollen, dann haben wir kein Problem
damit, den päpstlichen Primat anzuerkennen. Diese Rhetorik gab es schon immer, und
ich sehe das, was Liu Bainian jetzt sagt, in Kontinuität mit dieser Rhetorik. Eines
der Probleme sind Bischofsweihen. Was im Ausland kaum bekannt ist: Es gibt schon einige
Kandidaten, die von Rom approbiert sind und von der offiziellen Kirche gewählt, die
jetzt aber wegen Verzögerungstaktiken der Patriotischen Vereinigung und des Religionsbüros
einfach nicht geweiht werden. Die sitzen da und warten!
Bischofsweihen bleiben
ja wohl auch ein dorniges Problem, das dieses Vatikan-Papier nicht einfach aus der
Welt schaffen kann. Das merkt man an der verhalten-zweckoptimistischen Reaktion von
Kardinalstaatssekretär Bertone auf die Nachricht, dass in Peking ein neuer Bischof
von der Regierung ernannt worden sei…
Eine Sache, die der Kardinalstaatssekretär
nicht sagen kann, ist die, dass wir Berichte haben, dass natürlich dieser Kandidat
in Peking schon längst auf einer Liste stand, die vom Vatikan auch vorher schon approbiert
wurde. Doch in dieser Kompromisslösung wird vieles stillschweigend hingenommen, damit
jede Seite sich so darstellen kann, dass sie die Eigentlichen sind, die die Wahl vornehmen.
Denn man kann jetzt nicht einfach sagen: In China, da suchen wir schon längst die
Bischöfe aus! Das würde die Pekinger Regierung provozieren.
Das würde aber
doch heißen: Der Vatikan ist untergründig schon viel weiter, als nach außen sichtbar
ist – oder?
Man will da natürlich immer vorsichtig sein, denn erstens kann
sich in China alles von einem auf den anderen Tag ändern, und zweitens wissen nur
ganz wenige Menschen genau Bescheid. Aber es scheint schon so, als hätte der Vatikan
einen deutlichen Vorteil, denn in der offiziellen, in der offenen Kirche Chinas gibt
es eine ganz deutliche Bewegung an der Basis. Die Menschen wollen die Vereinigung
mit Rom – und es sind viele. Die offizielle Kirche wird immer kleiner im Vergleich
zur offenen Kirche, der sich auch die Untergrundkatholiken sozusagen, die sich jetzt
mit immer größeren Freiheiten in diese Richtung hin bewegen, anschließen. Es gibt
übrigens einen interessanten Altersunterschied: Bischöfe in China sind entweder sehr
alt oder sehr jung, denn durch die Kulturrevolution gibt es sozusagen die Baby-boomer-Bischöfe
nicht. Die jungen Bischöfe sind alle um die vierzig, die alten sind alle um die neunzig,
der Rest ist entweder im Gefängnis gestorben oder wurde nie geweiht, denn während
der Kulturrevolution bis Anfang der achtziger Jahre konnte man ja auch gar keine Seminare
haben usw…
Kommen wir mal zu den Begriffen: Untergrund – viele reden gar nicht
mehr von Untergrundkirche, sondern sagen „nicht in der Patriotischen Vereinigung organisierte
Katholiken“ o.ä.; und dann die offene Kirche – wer ist wer?
Da gibt es verschiedene
Schattierungen. Die Untergrundkirche war die, die durch die Gründung der Patriotischen
Vereinigung und durch die von dieser ausgeübten Kontrolle in den Untergrund gezwungen
wurde. Die Regierung weiß natürlich ganz genau, wer die Untergrund-Bischöfe sind;
die werden dauernd überwacht, werden regelmäßig festgenommen und werden wirklich schikaniert.
Wie schlimm das ist, das ist regional verschieden.
Und wer ist die offene Kirche?
Die
offene Kirche ist die, die man jetzt sozusagen als die sichtbare Kirche bezeichnet.
Der Versuch, eine neue Terminologie zu verwenden, hängt damit zusammen, dass, wenn
wir offizielle Kirche sagten, wir immer von denen sprachen, die von der Patriotischen
Vereinigung kontrolliert wurden. Jetzt gibt es aber inzwischen diese Entwicklung,
dass die Patriotische Vereinigung weniger wichtig wird und nicht mehr so große Kontrolle
hat. Von den ungefähr zwölf bis fünfzehn Millionen Katholiken in China sind nur fünf
Millionen von der Patriotischen Vereinigung direkt kontrolliert. Die anderen sind
jetzt nicht unbedingt im Untergrund… Wenn es in Shanghai einen jungen (Weih-) Bischof
gibt, der nicht der Patriotischen Vereinigung beigetreten ist und der ganz romtreu
sein will – dann wäre es nicht mehr richtig, ihn als der offiziellen Kirche zugehörig
zu bezeichnen, und deswegen sprechen wir von der offenen Kirche, die sichtbar ist,
und mit diesem Begriff versuchen wir auch, den immer sichtbarer werdenden Untergrund,
wo das möglich ist, einzubeziehen.
Schauen wir zum Schluss noch einmal auf
dieses Schachbrett Peking-Vatikan: Was wären die nächsten Züge, um zu einer Einigung
und irgendwann mal zu diplomatischen Beziehungen zu kommen?
Das bleibende Problem,
das für eine endgültige Lösung wohl aus dem Weg geschafft werden muss, ist die Patriotische
Vereinigung. Das ist nicht nur ein katholisches Problem, denn alle fünf offiziell
eingetragenen Religionsgemeinschaften Chinas haben eine solche Patriotische Vereinigung,
die sie kontrolliert, und diese Vereinigung wird von den meisten Gläubigen als sehr
problematisch angesehen. Auf lokaler Ebene sind Regierungsbeamte oft gar nicht
so interessiert daran, die Kirche zu kontrollieren - der Aufwand ist sehr groß, und
wenn die keine Schwierigkeiten machen, braucht man sich doch nicht darüber aufzuregen,
wer wo in die Kirche geht. Dagegen ist die Patriotische Vereinigung natürlich sehr
daran interessiert, volle Kontrolle zu behalten. Zunächst einmal hat sie ein finanzielles
Interesse: Man hat alles konfisziert, was jemals der Kirche gehört hat, und es handelt
sich da angeblich um 13 Billionen Yuan - das ist nicht gerade wenig. Und die Patriotische
Vereinigung ist auch eine riesige Bürokratie: Sie hat 3.000 leitende Beamte und viele
Mitarbeiter. Sie hat einen Selbsterhaltungsdrang als Organisation. Für die ist
es natürlich wichtig, weiterhin eine Rolle zu spielen. Für die Regierung hingegen
ist es manchmal von viel größerem Interesse, lokal den Frieden herzustellen.
Raphaela
Schmid lehrt Philosophie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Die Leiterin
des Becket-Instituts für Religionsfreiheit kennt die chinesische Kirche gut.