Vatikan: Einheitsrat, "Durchaus positive Reaktionen auf Kirchendokument"
Das Papier der Glaubenskongregation
zum Kirchenverständnis hat – wenigstens in Deutschland – für große Unruhe unter den
Protestanten gesorgt. Viele halten es für einen Rückschritt in der Ökumene, andere
für eine hilfreiche Verdeutlichung der bestehenden Lehre der katholischen Kirche.
Der Präsident des Päpstlichen Rats für die Einheit der Christen, Kardinal Walter Kasper,
hat in einer eigenen Stellungnahme die Erklärung als Einladung zum Dialog definiert. Matthias
Türk ist im Einheitsrat für die Beziehung zu den kirchlichen Gemeinschaften im protestantischen
Spektrum zuständig. Wir haben mit ihm gesprochen.
Vor zwei Wochen ist
das Papier der Glaubenskongregation veröffentlicht worden. Wie ist nach Ihrem Eindruck
das Papier auf evangelischer Seite aufgenommen worden?
Neben raschen
ersten Reaktionen, die vor allem im deutschen Sprachraum zu Enttäuschungen und Irritationen
geführt haben, gibt es nachdenkliche und weitaus positivere Reaktionen vor allem aus
dem englischsprachigen Raum, die das Papier als Anstoß zu wichtigen weiteren ökumenischen
Klärungen verstanden haben.
Was ist vor allem kritisiert worden?
Grundlage aller Kritik ist letztlich die Interpretation der Aussagen
des II. Vatikanischen Konzils, dass dort, wo das historische Bischofsamt in apostolischer
Sukzession und die volle Bewahrung des eucharistischen Mysteriums fehlt, nicht von
Kirche im eigentlichen Sinn gesprochen werden kann.
Ist es richtig
verstanden worden?
Das Dokument sagt nicht, die evangelischen Kirchen
seien keine Kirchen, sondern sie seien keine Kirchen im eigentlichen Sinn, das heißt,
wie Kardinal Kasper es ausgedrückt hat, „sie sind nicht in dem Sinn Kirchen, wie die
katholische Kirche sich als Kirche versteht“.
Warum waren die
Reaktionen so heftig?
Hinter der Kritik steht m. E. die Tatsache,
dass sich die evangelische Seite klar werden muss, dass sie die theologischen aber
auch strukturellen und institutionellen Inhalte, die zur vollen, sichtbaren Einheit
der Kirche gehören, also die Übereinstimmung im Glaubensbekenntnis, im sakramentalen
Leben und in der Frage des kirchlichen Amtes ernst nehmen muss und nicht einfach herunterspielen
darf mit Verweis auf ihre eigenen reformatorischen Prinzipien.
Gibt
es einen Unterschied zwischen den Reaktionen in Deutschland und auf internationaler
Ebene?
Weitaus positivere Rückmeldungen kenne ich von der evangelisch-lutherischen
Kirche in den U.S.A., von methodistischer und anglikanischer Seite.
Wenn
ja, wie sehen diese aus!
Der leitende Bischof der Lutheraner in den
USA, Mark Hanson, der auch Präsident des Lutherischen Weltbundes ist, stellt klar,
dass das Papier die Aussage des Konzils, dass die getrennten Kirchen und kirchlichen
Gemeinschaften vom Heiligen Geist als Mittel des Heils gebraucht werden, keinesfalls
schmälert und ruft dazu auf, die bestehenden Fragen ökumenisch intensiv im Geist der
Geschwisterlichkeit und des Gebetes anzugehen.
Auch der methodistische Ökumeneexperte
Geoffrey Wainwright (England) nimmt das Papier zum Anlass, über die Fragen: „Was ist
die Kirche?“ und „Wo ist sie zu finden?“ ökumenisch intensiver nachzudenken und verurteilt
die Negativauslese in vielen Pressemeldungen zum Papier.
Die Vereinigte Methodistische
Kirche in den USA erklärt, dass sie in diesem Papier nichts Neues oder radikal Unterschiedliches
zur klassischen röm.-kath. Lehre von der Kirche findet. Sie beeilt sich, in ihrer
Reaktion auf den Text die bereits ökumenisch erreichte Gemeinschaft zwischen Methodisten
und Katholiken ins Gedächtnis zu rufen und freut sich auf die Fortsetzung des ökumenischen
Dialogs mit der katholischen Kirche.
Auch der anglikanische Ökumeneexperte
Bischof John Baycroft schätzt das Dokument als eher hilfreich ein, weil es den katholischen
Ansatz für den ökumenischen Dialog verdeutlichen kann, besonders auch was das Einheitsamt
des Papstes für die Universalkirche betrifft.
Was ist Ihrer Meinung
nach das eigentliche Ziel des Papiers?
Wie sein Titel sagt, hat es
sich zur Aufgabe gestellt, „Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der
Lehre über die Kirche“ zu geben. Es will also zu einem vertieften Verständnis über
das, was die Kirche ist, beitragen und bestimmte theologische Abweichungen und Ungenauigkeiten
richtig stellen. Das ist zunächst eine Reaktion auf innerkatholische theologische
Probleme, die natürlich auch ökumenisch relevant sind, wie der gesamte Inhalt der
Glaubenslehre.
Warum wurde es jetzt veröffentlicht?
Weil
ein solches Papier theologisch sorgfältig besprochen werden muss, und jetzt zu seinem
Abschluss gebracht werden konnte.
Wie sollte es verstanden werden?
Ich
verstehe es als Aufruf zu einem vertieften theologischen Bemühen um den Kirchenbegriff
in der kath. Kirche und in der Ökumene. Theologische Ökumene und Gemeindeökumene lassen
sich einfach nicht so leicht auseinander dividieren, wie es in schnellen Kommentaren
leider oft der Fall ist. Wer sich vorschnell in der Ökumene über die grundlegenden
Glaubensinhalte hinwegsetzt, läuft letztlich ins Leere und erreicht das Gegenteil.
Wie müsste zum gegenwärtigen Moment ökumenisch weitergegangen werden?
Im
Vatikan gibt es derzeit – vor allem wenn man dabei an den evangelisch-katholischen
Dialog denkt – eine besondere personelle Konstellation. Beide, der Papst und der Präsident
des Einheitsrates sind Theologen aus Deutschland, dem „Land der Reformation“. Beide
sind mit der evangelischen Theologie und Kirche eng vertraut und kennen viele ihrer
Leiter und Vertreter aus persönlicher Nähe. Beide haben auch durch ihren ganz persönlichen
Einsatz diesem Dialog nachhaltige Impulse gegeben. Darf man da nicht hoffen, dass
diese besondere personale Konstellation nicht verstreicht, ohne dem Dialog zwischen
katholischer und evangelischer Kirche neue Impulse zu geben? Ist es gar eine neue
geschichtliche Chance, etwas wie ein neuer „Kairos“ für die Ökumene, der hilft, Dialogmüdigkeit
und Konfessionsverdrossenheit zu überwinden und den Dialog ebenso beharrlich wie zuversichtlich
fortzusetzen?
Was sind die entscheidenden theologischen Fragen,
die jetzt in der Ökumene anstehen?
Sieht man auf den Ertrag der Dialoge,
so kann man ohne Zögern sagen: In den vergangenen Jahrzehnten haben Katholiken und
Lutheraner mehr an Gemeinsamkeit erreicht, als in den fünf Jahrhunderten vorher seit
der Reformation. Gewiss gilt ebenso, dass dem ökumenischen Dialog und überhaupt der
ökumenischen Bewegung eine geschichtliche Unumkehrbarkeit zukommt. Wir täten gut,
uns des nachkonziliaren Beginns und der ersten Jahrzehnte des evangelisch/katholischen
Dialogs zu erinnern. Dieser Dialog war damals ganz entscheidend getragen von einem
Indikativ: der tiefen Überzeugung, dass zwischen den Kirchen das Gemeinsame
größer ist und tiefer reicht als das Trennende. Dieser ökumenische Indikativ
muss die Grundlage unserer Bemühungen bleiben, denn er trifft auf jede einzelne der
kirchentrennenden Streitfragen zu. Gleichgültig, welcher Kontroversfrage man sich
auch zuwendet – ob der Abendmahlsfrage, dem Amtsproblem, dem Kirchenverständnis, der
Mariologie oder selbst der Papstfrage -, stets zeigt es sich, dass es in jeder dieser
Fragen eine Tiefenschicht an Gemeinsamen gibt, die allem Streit vorausliegt und so
„extra controversiam“ bleibt. Die einzig sachgemäße Erörterung der Kontroversfragen
muss also beim ökumenischen Indikativ, das heißt, bei den schon gegebenen Gemeinsamkeiten
einsetzen, und von dort her weiterführen zur Prüfung der Verschiedenheiten und ihrer
„Versöhnbarkeit“. Von daher geht es zum gegenwärtigen Zeitpunkt vor allem um die
Frage des Amtsverständnisses und des diesem zugrunde liegendem Kirchenverständnisses,
wie es ja auch die Reaktionen auf das neue Papier gezeigt haben.
Was
wäre jetzt der falsche Weg? Wovor warnen Sie?
Erstens muss der Dialog
in jedem Fall versachlicht werden. Es ist niemandem zu unterstellen, dass er sich
nicht nach Kräften für die Wiedererlangung der verlorenen kirchlichen Einheit einsetzen
wollte. Für uns Katholiken heißt das: Katholisch sein heißt ökumenisch sein, wie es
schon Papst Johannes Paul II. prägnant formuliert hat. Zweitens gibt es eine Reihe
von Konsensdokumenten, die noch keineswegs ausreichend zur Kenntnis genommen worden
sind. Ohne aber eine verbindliche Vergewisserung des schon Erreichten wird es kaum
zu einer sinn- und verheißungsvollen Fortführung der Ökumene kommen.
Was
empfehlen Sie ökumenisch engagierten Christen in den Gemeinden vor Ort?
Der
beste Ökumeniker ist der, der seinen eigenen Glauben gut kennt und ihn dann zusammen
mit den anderen Christen praktiziert. Wer vorschnell Meinungen von sich gibt oder
übernimmt, ohne das Warum der Sache genauer zu kennen, tut zu wenig und schadet letztlich
der Ökumene. In der Gemeinde sollten die Seelsorger Glaubenswissen und ökumenisches
Wissen engagiert an die Gläubigen weitergeben. Das setzt natürlich die eigene Information
und Weiterbildung des Seelsorgers voraus. Dann sind über das liturgische Jahr hin
viele gemeinsame ökumenische Gebetstreffen und Initiativen möglich, von der Weltgebetswoche
für die Einheit der Christen bis hin zum ökumenischen Kreuzweg der Jugend, die, wo
sie einen Platz im Leben der Gemeinden gefunden haben, bereits fest im Glaubensleben
verwurzelt sind. So wächst ökumenische Gemeinschaft „von unten“ und „von oben“,
von den Menschen und von Gott her, von den Theologen und von den Betern her. Alle
gehören zusammen, und jeder kann einen eigenen unverzichtbaren Beitrag dazu leisten.