Die neue indische
Staatspräsidentin Pratibha Patil ist heute in einer feierlichen Zeremonie in der Hauptstadt
Neu Delhi vereidigt worden. Mit der 72-Jährigen Juristin übernimmt erstmals eine Frau
das höchste Staatsamt in Indien. Dies könnte als deutliches Zeichen der Gleichberechtigung
gedeutet werden – die Realität in Indien scheint jedoch anders auszusehen. Regierungsangaben
zu Folge sind 10.000 Mädchen in den vergangenen Jahren von ihren Eltern ermordet worden.
Unsere Kollegen vom Domradio in Köln haben mit der Länderreferentin des katholischen
Hilfswerks Misereor gesprochen, Benazir Lobo-Bader. Sie stammt selbst aus Indien.
Auf die Zahlen der Regierung ist kein Verlass, so Lobo-Bader: „Die Dunkelziffer
ist viel höher. Laut „Indian medical association“ – das ist eine Organisation, die
das genauer untersucht hat – werden jährlich etwa fünf Millionen weibliche Föten abgetrieben.
Es gibt viele Gründe dafür: Die liegen unter anderem in den traditionellen sozioökonomischen
Strukturen in Indien, zum Beispiel dass Söhne auch nach der Hochzeit in den Familien
bleiben und den Familiennamen weiter tragen. Aus diesem Grund werden sie oft bevorzugt,
im Gegensatz zu den Mädchen. Es gibt ein Sprichwort in Indien: ‚Ein Mädchen groß zu
ziehen ist, wie den Garten des Nachbars zu gießen.’ Das heißt, es wird sehr wenig
in sie investiert, weil sie nach der Hochzeit zu der Familie des Mannes gehören.“ Die
neue Präsidentin Patil bisher Gouverneurin des Bundesstaates Rajasthan, ist sehr umstritten.
Ihr werden Unregelmäßigkeiten vorgeworfen. Benazir Lobo-Bader dazu: “Es gibt
Gerüchte, dass sie eine Bank gegründet hat, um Kredite für arme Frauen zu vergeben.
Aber ob es tatsächlich so war, dass die Kredite eher an ihre Verwandten vergeben wurden
oder ob es sich um Missmanagement handelt, das bleibt unklar. Es gibt außerdem Korruptionsvorwürfe
– die sind momentan sehr schwer einzuschätzen. Nichtsdestotrotz hoffen wir, dass die
Zivilbevölkerung in Indien weiterhin Druck auf die Politiker ausübt: Indien hat laut
UNO die meisten Gesetze zum Schutz der Frauen und Mädchen, aber sie werden nicht umgesetzt.
Misereor hofft weiterhin, dass das Thema „Geschlechtergerechtigkeit“ gefördert wird.“