D: Evangelische Kirche lässt sich das Kirchesein nicht vorschreiben
Das Papier der Glaubenskongregation
hat für große Unruhe unter den deutschen Protestanten gesorgt, viele halten es für
einen Rückschritt in der Ökumene. In Bensheim an der Bergstraße ist das konfessionskundliche
Institut ansässig, das von der Evangelischen Kirche getragen wird. Radio Vatikan hat
ein Interview mit Alexander Gemeinhardt geführt, dem Geschäftsführer des Instituts.
RV:
Es ist jetzt eine gute Woche seit der Publikation vergangen. Wie ist nach Ihrem Eindruck
das Papier auf evangelischer Seite aufgenommen worden? Gemeinhardt: „Einerseits
haben einige Bischöfe der evangelischen Kirchen sehr emotional reagiert und darauf
verwiesen, dass in dieser Weise sich die evangelische Kirche nicht in ihr eigenes
kirchliches Selbstverständnis und die eigene Definition von Kirche reinreden lassen
möchte. Es ist auch mit Unverständnis darauf reagiert worden, dass relativ kurz nach
dem letzten ähnlichen Papier „Dominus Jesus“ aus dem Jahr 2000 nun wieder in dieser
Art und dieser Schärfe anderen Kirchen offenbar Prinzipien des ‚Kircheseins’ ins Stammbuch
geschrieben werden müssen. Andererseits ist natürlich in der letzten Woche versucht
worden einzuordnen, was aus Rom kam. Das haben sicherlich die evangelischen mit den
katholischen Theologen gemein, dass das was aus Rom kommt, ja doch erstmal theologisch
bewertet werden muss. Dort ist zu Tage getreten, dass sich dieses Schreiben nun nicht
nur an die evangelischen und orthodoxen Kirchen richtet, sondern auch innerkatholisch
einiges klären soll.“ RV: Kardinal Kasper hat in einer eigenen Stellungnahme
die Erklärung als Einladung zum Dialog definiert? Nehmen sie diese Einladung an? Gemeinhardt:„Kardinal Kasper ist ein ausgesprochen dialogfähiger Mann und wir hatten schon
die Freude, ihn hier im Institut für Diskussionen und Veranstaltungen gewinnen zu
können. Er ist auch regelmäßiger Leser unserer Zeitschriften (zum Beispiel dem „Materialdienst“,
Anm. d. Red.) – das macht ihn natürlich um so dialogfähiger mit der evangelischen
Seite. Es ist nun mal auch sein Amt und auch sein Charisma, in diesem Papier eine
Einladung zum Dialog zu sehen. Es ist von evangelischer Seite her sicherlich nur mit
ein bisschen Schmunzeln als Dialogeinladung zu verstehen, wenn eine andere Glaubensgemeinschaft
‚Regeln für das Kirchesein’ vorschreibt. Ich würde es andersherum definieren: Evangelische
Kirchen sind nun auch in den letzten fünfhundert Jahren so selbstbewusst und gestärkt
geworden, dass sie auch trotz eines solchen Papiers sicherlich auf allen Ebenen weiter
den Dialog suchen werden. Aber eine Einladung zum Dialog ist das sicherlich nicht
gewesen.“ RV: Was sind die entscheidenden Fragen, die jetzt in der Ökumene
anstehen? Gemeinhardt: „Die Fragestellungen haben sich nicht sehr verändert,
sie sind nur neu ins Bewusstsein gerufen worden. Die Fragen von Amt und von der Zuordnung
des Kirchenverständnisses sind weiter die wesentlichen Fragen. Die evangelische Seite
muss sich im ökumenischen Dialog jetzt durchaus von der Form des Dialogs her noch
ernsthafter fragen: Wie geht man überhaupt mit einem ökumenischen Partner um, nämlich
der römisch-katholischen Kirche, die ihrerseits ‚Kriterien für das Kirchesein’ für
andere Kirchen definiert. Und vielleicht muss da die evangelische Kirche auch umschalten.
Vielleicht geht es letztlich gar nicht darum, ob die evangelischen Kirchen aus Rom
als Kirche akzeptiert werden, sondern vielleicht muss sich Rom daran gewöhnen, von
protestantischer Seite her akzeptiert zu werden – und zwar als christliche Glaubensgemeinschaft.“