Die Ergebnisse der
ersten Parlamentswahlen in Osttimor stehen soweit fest: Keine Partei hat eine absolute
Mehrheit erhalten. Am Samstag gingen gut 400.000 Timorer zur Urne. Seit fünf Jahren
ist die ehemalige portugiesische Kolonie Osttimor unabhängig. Im vergangenen Jahr
musste das Land eine politische und humanitäre Krise überwinden. In Osttimor sind
Wahlen ein regelrechter „Erfahrungsprozess“, erklärt der Jesuitenpater Ruedi Hofmann
aus Dili:
„Die meisten Leute sind zufrieden, dass die Wahlen friedlich
verlaufen sind. Aber über das Resultat sind fast alle enttäuscht. Praktisch alle Parteien
hätten mehr Stimmen erwartet, als sie bekommen haben. Die Schwierigkeit ist jetzt,
dass keine der Parteien die absolute Mehrheit hat. Die meisten Stimmen hat Fretelin.
Das ist die Partei, die bei den Unabhängigkeitskämpfen die große Rolle gespielt hat,
sehr patriotisch und konsequent in dem, was sie immer gesagt haben – im Gegensatz
zu den anderen Parteien. Aber sie haben keine Freunde.“
Die Fretelin-Partei
wird aus diesem Grund Schwierigkeiten haben, einen Koalitionspartner im Parlament
zu finden, erklärt Ruedi Hofmann. Im Hintergrund der Probleme Osttimors sieht er einen
persönlichen Konflikt zwischen dem früheren Präsidenten Xanana Gusmao und dem früheren
Ministerpräsidenten Mari Alkatiri. Diese Auseinandersetzungen waren bereits vor einem
Jahr für die politische Krise Osttimors verantwortlich. Derzeit möchte Xanana Gusmao
gerne Ministerpräsident werden, erklärt Ruedi Hofmann, um Mari Alkatiri auszuschalten.
Dafür hat er eigens eine Partei gegründet, die bei diesen Wahlen jedoch weniger Stimmen
bekommen hat als seine Rivalen. Ruedi Hofmann:
„Kann dieser Streit friedlich
gelöst werden, oder nicht – das ist die Frage. Das Volk wird von den Führern und vor
allen von Xanana und Alkatiri aufgestachelt. Und wenn das noch einmal passiert, jetzt
aufgrund dieser Lage, dann haben wir dieselbe Situation wie vor einem Jahr – aber
das hoffen wir nicht.“
Der Jesuitenpater bedauert, dass keine der angetreten
Parteien Lösungen für die gesellschaftlichen Probleme anbietet. Die Wirtschaft Osttimors
liegt am Boden, mehr als die Hälfte der Bewohner sind arbeitslos. Das politische Chaos
und die Frustration der Bevölkerung hatten im Mai 2006 zu blutigen Unruhen geführt.
Die Folgen seien immer noch sichtbar, erklärt Hofmann:
„Wir haben in der
Stadt jetzt noch etwa 30.000 Menschen die in Flüchtlingslagern leben, auf öffentlichen
Plätzen, in Klöstern und so weiter – sehr viele Menschen unter miserablen Bedingungen.
Und dazu rechnet man, dass etwa 70.000 die geflohen sind, bei ihren Verwandten sind
oder sonst in notdürftigen Unterkünften leben, unter anderem, weil die Häuser noch
nicht wiederaufgebaut wurden. Das ist ein ganz großes Problem. Und eigentlich hat
keine der Parteien in ihrem Programm eine Lösung dafür.
Die ersten Parlamentswahlen
in Osttimor sollten zum Umdenken anregen, so Hofmann:
„Das ganze, würde
ich sagen, ist ein Erfahrungsprozess. Jene, die an der Macht sind, sehen jetzt viel
deutlicher als vor einem Jahr, in welcher Position sie sind. Und das ist eine Gelegenheit,
zur Reflexion. Die große Mehrheit des Volkes ist sehr daran interessiert, dass möglichst
bald wieder normale Zustände herrschen. Wenn wir diese beiden dinge betrachten, dann
glaube ich, dass doch eine große Hoffnung besteht für die Zukunft.“