Gleichzeitig mit dem Brief Papst Benedikts an die Katholiken in China veröffentlichte
der Heilige Stuhl heute eine Erklärung, die wir hier in offizieller vatikanischer
Übersetzung dokumentieren. ERLÄUTERNDE ANMERKUNG BRIEF
von Papst Benedikt XVI. an die chinesischen Katholiken 27. Mai 2007 Mit
dem „Brief an die Bischöfe, die Priester, die Personen des gottgeweihten Lebens und
an die gläubigen Laien der katholischen Kirche in der Volksrepublik China“, der das
Datum von Pfingstsonntag trägt, möchte Papst Benedikt XVI. seine Liebe und seine Nähe
zu den Katholiken in China zum Ausdruck bringen. Er tut dies zweifelsohne in seiner
Eigenschaft als Nachfolger Petri und oberster Hirte der Universalkirche.
Zwei
Grundgedanken treten im Text hervor: einerseits eine tiefe Zuneigung zur ganzen katholischen
Gemeinschaft in China und andererseits eine begeisterte Treue zu den großen Werten
der katholischen Tradition im Bereich der Ekklesiologie; also eine Leidenschaft für
die Liebe und für die Wahrheit. Der Papst erinnert an die großen ekklesiologischen
Grundzüge des Zweiten Vatikanischen Konzils und der katholischen Tradition, aber zugleich
zieht er verschiedene besondere Aspekte des Lebens der Kirche in Betracht und ordnet
sie in eine umfassende theologische Sicht ein.
A – Die Kirche in China
in den letzten fünfzig Jahren
Die katholische Gemeinschaft in China hat
die letzten fünfzig Jahre intensiv erlebt und hat dabei einen schwierigen und schmerzvollen
Weg zurückgelegt, der sie nicht nur tief geprägt hat, sondern auch besondere Eigenarten
annehmen ließ, die sie noch heute kennzeichnen.
Die katholische Gemeinschaft
erlitt eine erste Verfolgung in den fünfziger Jahren, die die Vertreibung der Bischöfe
und der ausländischen Missionare, die Inhaftierung fast aller chinesischen Geistlichen
und der Verantwortlichen der verschiedenen Laienbewegungen, die Schließung der Kirchen
und die Isolation der Gläubigen bedeutete. Ende der fünfziger Jahre wurden dann staatliche
Organe wie das Amt für religiöse Angelegenheiten und die Patriotische Vereinigung
der chinesischen Katholiken mit dem Ziel geschaffen, jede religiöse Aktivität zu lenken
und zu „kontrollieren“. 1958 fanden die ersten beiden Bischofsweihen ohne päpstlichen
Auftrag statt. Damit nahm eine lange Reihe von Akten ihren Anfang, die die kirchliche
Gemeinschaft tief verletzen.
In den zehn Jahren von 1966 bis 1976 hat die im
ganzen Land stattfindende Kulturrevolution die katholische Gemeinschaft heftig in
Mitleidenschaft gezogen und dabei auch jene Bischöfe, Priester und gläubige Laien
getroffen, die sich gegenüber den neuen, von den Regierungsautoritäten auferlegten
Orientierungen gefügiger gezeigt hatten.
Mit den von Deng Xiaoping geförderten
Öffnungen in den achtziger Jahren begann eine Zeit religiöser Toleranz mit der einen
oder anderen Möglichkeit zu Bewegung und zum Dialog, die die Wiedereröffnung von Kirchen,
Seminaren und Ordenshäusern sowie eine gewisse Wiederaufnahme des gemeinschaftlichen
Lebens erlaubte. Die Informationen, die von den kirchlichen Gemeinschaften Chinas
kamen, bestätigten, daß das Blut der Märtyrer einmal mehr der Same für neue Christen
war: Der Glaube war in den Gemeinden lebendig geblieben, die Mehrheit der Katholiken
hatte ein glühendes Zeugnis der Treue zu Christus und zur Kirche gegeben, die Familien
waren in ihrem Inneren zu einem Hort der Weitergabe des Glaubens geworden. Das neue
Klima trug aber auch dazu bei, unterschiedliche Reaktionen innerhalb der katholischen
Gemeinschaft hervorzurufen.
In diesem Zusammenhang erinnert der Papst daran,
daß einige Hirten, „die einer widerrechtlichen, über das Leben der Kirche ausgeübten
Kontrolle nicht unterliegen wollten und wünschten, eine volle Treue zum Nachfolger
Petri und zur katholischen Lehre zu bewahren, [….] sich gezwungen [sahen], sich im
geheimen weihen zu lassen“ (Nr. 8), um die Seelsorge für die eigenen Gemeinden sicherzustellen.
Denn „der Untergrund“ – präzisiert der Heilige Vater – „fällt nicht in die Normalität
des Lebens der Kirche, und die Geschichte zeigt, daß Hirten und Gläubige dazu nur
mit dem mit Leid verbundenen Wunsch greifen, den eigenen Glauben unversehrt zu bewahren
und keine Einmischung von staatlichen Organen in Dingen zu dulden, die das Innerste
des Lebens der Kirche berühren“ (ebd.).
Andere, vor allem in Sorge um das Wohl
der Gläubigen und im Blick auf die Zukunft, „haben […] eingewilligt, die Bischofsweihe
ohne päpstlichen Auftrag zu empfangen, haben aber in der Folge darum gebeten, in die
Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri und mit den anderen Brüdern im Bischofsamt aufgenommen
werden zu dürfen“ (ebd.). Der Heilige Vater hat in Anbetracht der Vielschichtigkeit
der Situation und mit dem tiefempfundenen Wunsch, die Wiederherstellung der vollen
Gemeinschaft zu fördern, vielen von ihnen „die volle und rechtmäßige Ausübung der
bischöflichen Jurisdiktion gewährt“.
Bei der sorgfältigen Analyse der Lage
der Kirche in China ist sich Papst Benedikt XVI. der Tatsache bewußt, daß die katholische
Gemeinschaft in ihrem Inneren an einer von starken Gegensätzen gekennzeichneten Situation,
von der Gläubige wie Hirten betroffen sind, leidet. Er hebt aber hervor, daß diese
schmerzliche Situation nicht von unterschiedlichen Lehrmeinungen verursacht wurde,
sondern das Ergebnis der „wichtige[n] Rolle“ ist, „die von jenen Organen wahrgenommen
wird, die als Hauptverantwortliche des Lebens der katholischen Gemeinschaft durchgesetzt
worden sind“ (Nr. 7). Es handelt sich um Staatsorgane, deren erklärte Ziele – besonders
jenes, die Prinzipien der Unabhängigkeit, der Autonomie und der Selbstverwaltung der
Kirche umzusetzen – nicht mit der katholischen Lehre vereinbar sind. Diese Einmischung
hat zu wirklich besorgniserregenden Situationen Anlaß gegeben. Darüber hinaus sahen
sich die Bischöfe und Priester in der Ausübung des eigenen Hirtenamtes kontrolliert
und unter Zwang gestellt.
In den neunziger Jahren haben sich verschiedenerseits
und immer häufiger Bischöfe und Priester an die Kongregation für die Evangelisierung
der Völker und an das Päpstliche Staatssekretariat gewandt, um vom Heiligen Stuhl
genaue Verhaltensanweisungen hinsichtlich einiger Probleme des kirchlichen Lebens
in China zu erhalten. Viele fragten, welche Haltung gegenüber der Regierung und den
dem Leben der Kirche vorgesetzten staatlichen Organen eingenommen werden müsse. Andere
Anfragen betrafen Probleme im Bereich des eigentlichen sakramentalen Lebens der Kirche,
wie die Möglichkeit der Konzelebration mit Bischöfen, die ohne päpstlichen Auftrag
geweiht wurden, oder die Frage des Sakramentenempfangs von Priestern, die von solchen
Bischöfen geweiht worden waren. Einige Teile der katholischen Gemeinschaft fanden
sich schließlich nicht mehr zurecht angesichts der Legitimierung zahlreicher Bischöfe,
die unerlaubt geweiht worden waren.
Das Gesetz zur Registrierung der Kultstätten
und die staatliche Forderung nach der Bescheinigung der Zugehörigkeit zur Patriotischen
Vereinigung haben dann neue Spannungen und weitere Fragen hervorgerufen.
Während
dieser Jahre hat Papst Johannes Paul II. an die Kirche in China mehrmals Botschaften
und Aufrufe gerichtet, die alle Katholiken zur Einheit und zur Versöhnung einluden.
Die Interventionen des Heiligen Vaters wurden gut aufgenommen und riefen Eifer für
die Einheit hervor, aber die Spannungen mit den Autoritäten und innerhalb der katholischen
Gemeinschaft haben leider nicht abgenommen.
Der Heilige Stuhl hat seinerseits
Hinweise zu verschiedenen Problemkreisen gegeben, aber der Lauf der Zeit und das Auftreten
von neuen, immer vielschichtigeren Situationen erforderten ein erneutes Überdenken
des ganzen Sachverhalts, um auf die Anfragen eine möglichst genaue Antwort zu geben
und um sichere Orientierungen für die Seelsorgstätigkeit in den kommenden Jahren bekannt
zu machen.
B – Die Entstehungsgeschichte des päpstlichen Briefes
Die
verschiedenen Problemkreise, die das Leben der Kirche in China während dieser letzten
Jahre näher zu kennzeichnen scheinen, sind ausführlich und sorgfältig von einer eigens
dafür eingerichteten Kommission analysiert worden, die sich aus einigen Sinologen
wie auch aus jenen Personen zusammensetzte, die sich in der Römischen Kurie mit der
Situation dieser Gemeinschaft befassen. Als später Papst Benedikt XVI. die Einberufung
einer Versammlung für den 19. und 20. Januar 2007 beschloß, an der auch mehrere chinesische
Geistliche teilnahmen, war es das Bemühen der genannten Kommission, ein Dokument vorzubereiten,
um eine ausführliche Diskussion über verschiedene Gesichtspunkte zu fördern, um die
praktischen Hinweise der Teilnehmer zu sammeln und um einige mögliche pastoraltheologische
Orientierungen für die katholische Gemeinschaft in China darzulegen. Gütigerweise
hat Seine Heiligkeit an der letzten Sitzung der Versammlung teilgenommen und unter
anderem beschlossen, einen Brief an die Bischöfe, Priester, an die gottgeweihten Männer
und Frauen und an die gläubigen Laien zu richten.
C – Inhalt des Briefes
„Ohne
jedes Detail der komplexen Problemkreise, die euch gut bekannt sind, behandeln zu
wollen“, schreibt Papst Benedikt XVI. an die chinesischen Katholiken, „möchte ich
mit diesem Brief einige Orientierungspunkte in bezug auf das Leben der Kirche und
das Werk der Evangelisierung in China geben, um euch zu helfen, das zu entdecken,
was der Herr und Meister Jesus Christus […] von euch will“ (Nr. 2). Der Papst erinnert
an einige Grundprinzipien der katholischen Ekklesiologie, um die wichtigsten Problemkreise
in dem Bewußtsein zu beleuchten, daß das Licht dieser Prinzipien helfen kann, die
verschiedenen Fragen und die konkreteren Aspekte des Lebens der katholischen Gemeinschaft
anzugehen.
Indem er seine große Freude über die Treue, die die Katholiken
in China in diesen letzten fünfzig Jahren gezeigt haben, zum Ausdruck bringt, bestätigt
Papst Benedikt XVI. den unschätzbaren Wert ihrer Leiden und der aufgrund des Evangeliums
erlittenen Verfolgung und richtet an alle einen innigen Aufruf zur Einheit und zur
Versöhnung. Im Bewußtsein der Tatsache, „daß dieser Weg sich nicht von heute auf morgen
erfüllen können wird“, erinnert er daran, daß dieser Weg „vom Beispiel und vom Gebet
vieler »Glaubenszeugen« getragen wird, die gelitten und vergeben haben, während sie
ihr Leben für die Zukunft der Kirche in China hingegeben haben“ (Nr. 6).
In
diesem Zusammenhang erweist sich die bleibende Geltung des Wortes Jesu „Duc in
altum“ (Lk 5, 4). Dieses Wort „lädt uns ein, dankbar der Vergangenheit
zu gedenken, leidenschaftlich die Gegenwart zu leben und uns vertrauensvoll der Zukunft
zu öffnen.“ Denn in China, wie in der restlichen Welt, ist „die Kirche […] dazu berufen,
Zeugin Christi zu sein, mit Hoffnung nach vorn zu schauen und sich – in der Verkündigung
des Evangeliums – mit den neuen Herausforderungen zu messen, die das chinesische Volk
angehen muß“ (Nr. 3). „Auch in eurem Land“, erinnert der Papst, „wird die Verkündigung
des gekreuzigten und auferstandenen Christus in dem Maß möglich sein, in dem ihr in
Treue zum Evangelium und in Gemeinschaft mit dem Nachfolger des Apostels Petrus und
mit der universalen Kirche die Zeichen der Liebe und der Einheit zu verwirklichen
wißt“ (ebd.).
Bei der Auseinandersetzung mit einigen sehr dringlichen Problemkreisen,
die aus den Bitten hervorgehen, die den Heiligen Stuhl von Bischöfen und Priestern
erreicht haben, bietet Papst Benedikt XVI. Weisungen zum Thema der Anerkennung von
Geistlichen der Untergrundgemeinschaft durch die Regierungsautoritäten (vgl. Nr. 7)
und hebt ausführlich das Thema des chinesischen Episkopats hervor (vgl. Nr. 8) unter
besonderer Bezugnahme auf all das, was die Bischofsernennungen betrifft (vgl. Nr.
9). Eine besondere Bedeutung haben sodann die pastoralen Orientierungen, die der Heilige
Vater der Gemeinschaft schenkt, wobei er vor allem die Figur und die Sendung des Bischofs
in der diözesanen Gemeinschaft unterstreicht: „nichts ohne den Bischof“. Ferner bietet
er Maßgaben zu eucharistischen Konzelebration und fordert dazu auf, die von den kanonischen
Bestimmungen vorgesehenen diözesanen und pfarrlichen Einrichtungen zu schaffen. Des
weiteren gibt er Hinweise zur Ausbildung der Priester und zum Leben der Familie.
Was
die Beziehungen der katholischen Gemeinschaft zum Staat anbelangt, erinnert Papst
Benedikt XVI. mit sachlichem und respektvollem Ton an die katholische Lehre, die auch
vom Zweiten Vatikanischen Konzil erneut vorgelegt worden ist. Er äußert schließlich
den aufrichtigen Wunsch, daß der Dialog zwischen dem Heiligen Stuhl und der chinesischen
Regierung vorangehen möge, um zu einer Übereinkunft über die Ernennung der Bischöfe,
zur vollen Ausübung des Glaubens der Katholiken durch die Achtung echter Religionsfreiheit
und zur Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Regierung
in Beijing zu gelangen.
Der Papst hebt schlußendlich alle Befugnisse und alle
– älteren und neueren – Weisungen pastoraler Natur auf, die der Kirche in China vom
Heiligen Stuhl gegeben worden sind. Die veränderten Umstände der allgemeinen Lage
der Kirche in China und die größeren Möglichkeiten der Kommunikation erlauben es den
Katholiken nunmehr, die allgemeinen kanonischen Normen zu befolgen und, sofern nötig,
sich an den Apostolischen Stuhl zu wenden. Auf jeden Fall finden die Lehrgrundsätze,
die die genannten Befugnisse und Weisungen angeregt haben, nun ihre neue Anwendung
in den im vorliegenden Brief enthaltenen Vorgaben (vgl. Nr. 18).
D – Ton
und Perspektive des Briefes
Geistlich erleuchtet und in einer vorwiegend
pastoralen Sprache wendet sich Papst Benedikt XVI. an die ganze Kirche in China. Es
liegt ihm fern, eine zugespitzte Auseinandersetzung mit Personen oder besonderen Gruppen
hervorzurufen: Auch wenn er einige kritische Situationen hervorhebt, so tut er dies
mit großem Verständnis für die situationsbedingten Aspekte und für die betroffenen
Personen, selbst wenn er sehr deutlich an die theologischen Grundsätze erinnert. Der
Papst möchte die Kirche zu einer größeren Treue zu Jesus Christus einladen und erinnert
alle chinesischen Katholiken an die Sendung, im gegenwärtigen konkreten Kontext ihres
Landes Boten des Evangeliums zu sein. Der Heilige Vater blickt mit Achtung und großer
Sympathie auf die ältere und jüngere Geschichte des großen chinesischen Volkes und
erklärt sich noch einmal bereit zum Dialog mit den chinesischen Regierungsstellen
– im Bewußtsein, daß die Normalisierung des Lebens der Kirche in China einen aufrichtigen,
offenen und konstruktiven Dialog mit den Autoritäten voraussetzt. Wie schon sein Vorgänger
Papst Johannes Paul II. ist Papst Benedikt XVI. außerdem fest davon überzeugt, daß
die genannte Normalisierung einen unvergleichlichen Beitrag zum Frieden in der Welt
leisten wird und so einen unersetzbaren Mosaikstein im Gesamtbild des friedlichen
Zusammenlebens der Völker bilden wird.(rv 30.06.2007 gs)