Versöhnung - dieses Wort prägte viele Äußerungen beim Requiem am Samstag für den verstorbenen
österreichischen Politiker Kurt Waldheim. Kardinal Christoph Schönborn erinnerte im
Wiener Stephansdom mit Blick auf den verstorbenen Altbundespräsidenten und einstigen
UNO-Generalsekretär an den Auftrag Jesu in der Bergpredigt: "Versöhne dich, bevor
du vor Gott hintrittst". Aus dem "Letzten Wort" Waldheims mit seiner großen Versöhnungsbitte
werde, so Schönborn, ein tiefes Wissen um das spürbar, was die Welt heller machen
könnte: "Die bedingungslose, erwartungsfreie Versöhnung". Kurt Waldheim sei, wie
Kardinal Schönborn betonte, mit seinem eigenen Leben und seiner Aufgabe als Friedenssucher
wie kaum ein Zweiter am Kreuzungspunkt der "menschlichen und politischen Grundfrage"
gestanden, "wie viel Vergessen und wie viel Bewahren der Mensch braucht". Beides sei
im rechten Maß notwendig: "Würden wir uns an alles Böse erinnern, das auf unserer
Geschichte lastet, wir könnten nicht leben. Umgekehrt aber gilt auch: Würden wir alles
vergessen, was falsch und böse war, wir wären keine Menschen. Wir könnten nichts bedenken
und nichts lernen. Wir hätten keine Vergangenheit und damit auch keine Zukunft". Versöhnung
könne niemandem verordnet werden, hielt der Wiener Erzbischof fest. Dieser Anruf könne
nicht von außen erzwungen werden, er müsse von innen kommen, und er brauche den Raum
der Gnade. Kardinal Schönborn zitierte das Wort des Apostels Paulus: "Seid gütig zueinander,
seid barmherzig, vergebt einander, weil auch Gott euch durch Christus vergeben hat".
Die Regel des Umgangs miteinander müsse lauten: "Wie Gott mir, so ich dir". In einer
gnadenlosen "Beschuldigungsgesellschaft" sei es so schwer, Schuld und Versagen ehrlich
zu thematisieren, weil der "Raum des Wohlwollens" fehle. Ohne diesen "Raum des Wohlwollens"
werde die Selbstrechtfertigung zum Überlebenszwang.Waldheim war bei seinem Amtsantritt
als Bundespräsident Ziel einer bis dahin beispiellosen internationalen Kampagne geworden.
Sie warf ihm als früherem Soldaten der deutschen Wehrmacht Verwicklung in Kriegsverbrechen
auf dem Balkan vor. Wie Kardinal Schönborn betonte, könne niemand bestreiten,
dass Kurt Waldheim nach der Erfahrung von Diktatur und Krieg, von Tod und Elend sein
Leben ganz auf Versöhnung gesetzt habe - in seiner Berufsentscheidung, in seinem jahrzehntelangen
Wirken für Österreich und die Völkergemeinschaft, das auch von Papst Benedikt XVI.
in seinem Kondolenztelegramm zum Begräbnis gewürdigt werde. Vielleicht habe Waldheim
auch dort noch zu verbinden und Belastendes auszuklammern versucht, wo Unversöhnliches
gegeneinander steht und als unversöhnlich benannt werden muss. Mit Bundespräsident
Heinz Fischer an der Spitze waren die Repräsentanten des offiziellen Österreich beim
Requiem im Dom anwesend. Auch zahlreiche Vertreter des Diplomatischen Corps waren
gekommen. Auch Bundespräsident Heinz Fischer plädierte in seiner Ansprache im Dom
am Ende des Trauergottesdienstes für Versöhnung. Fischer nahm auf den Lernprozess
Bezug, der zu einer anderen Sicht der NS-Zeit in Österreich geführt habe. "Kurt Waldheim
wurde zu einer Projektionsfläche für schlechtes Gewissen im Zusammenhang mit unserem
Umgang mit der NS-Zeit und mit Versäumnissen in der Nachkriegsgeschichte. Vielleicht
auch zu einer Projektionsfläche für manche unbeantwortet gebliebene Frage von Kindern
und Enkelkindern der Kriegsgeneration an ihre Väter und Großväter", so der Bundespräsident.
Kurz vor 14 Uhr setzte sich auf dem Zentralfriedhof der Trauerzug in Richtung
Präsidentengruft vor der Karl-Borromäus-Kirche in Bewegung. Nach Abspielen der Bundeshymne
erfolgte die Einsegnung durch Kardinal Schönborn.