Wie „Europa“ in Zukunft aussehen und funktionieren soll, darüber lässt sich kräftig
streiten. Nach langen Verhandlungsnächten ist das EU-Gipfeltreffen in Brüssel zu Ende
gegangen. Streit gab es vor allem mit der nationalkonservativen Regierung Polens beim
Thema Abstimmungsrecht. Silke Schmitt fragte den Erzbischof von Gnesen, Henryk Muszynski
nach den Folgen der Auseinandersetzungen.
* Nun steht Angela Merkel, als EU-Ratsvorsitzende
natürlich auch in gewisser Weise auch für Deutschland. Glauben Sie, diese Auseinandersetzungen
haben die deutsch-polnischen Beziehungen belastet, oder glauben Sie, dass das wirklich
nur auf der Ebene der EU zu betrachten, und auch dort zu lassen ist?
„Sicherlich
ist es auf der Ebene der EU betrachten. Die Lage von Angela Merkel ist sehr delikat
– sie ist Vorsitzende in diesem Moment und außerdem tritt sie im Namen des deutschen
Volkes als Bundeskanzlerin auf. Ich glaube, für die weitere Zeit wird es die Beziehungen
nicht so sehr belasten, für den Moment vielleicht schon, von beiden Seiten. Man kann
ja verschiedenes in den Zeitungen lesen. Aber ich versuche, Verständnis zu haben für
diese Leute. Ich glaube, auf lange Sicht müssen wir ja zusammenarbeiten – Deutsche,
Polen, die Engländer, Franzosen und alle anderen – denn das ist ja das Problem von
Europa: Die Vielfalt und die vielen unterschiedlichen Interessen. Aber man muss ja
zu einer Kompromisslösung kommen, die für ALLE annehmbar ist. Anders geht es ja gar
nicht in Europa!“ * Stichwort Gnesen. Dort war gerade Kardinalstaatssekretär
Tarcisio Bertone bei einer Versammlung anwesend, an der Sie ja auch teilgenommen haben.
Tarciso Bertone meinte, man müsse die Position Osteuropas auch weiterhin stärken,
damit sie im Gesamtgefüge nicht untergeht. Was sagen Sie dazu und wie schätzen Sie
die Rolle Osteuropas im Gesamteuropa ein?
„Ja, es war ein sehr wichtiges
Treffen. Das war ein europäisches Treffen mit vielen hunderten von Leuten und meistens
junge Menschen von den kirchlichen Bewegungen – eine Formation der jungen Leute für
die Zukunft. Es war nämlich ein ökumenisches Treffen, ein interreligiöses Treffen:
Gnesen oder Polen, wir verstehen uns hier als ein Bindeglied zwischen Ost und West.
Es waren viel Teilnehmer der ehemaligen UDSSR, also aus Kasachstan, aus der Ukraine,
aus Weißrussland und anderswo. Das war ein sehr wichtiges Treffen. Osteuropa, wie
Sie gesagt haben, braucht mit Sicherheit einen Ausgleich zwischen einem Europa, das
seit vielen Jahren in der Freiheit lebte und einem Europa, dass sehr mühsam und mit
großer Anstrengung Demokratie aufbaut. Hier muss es einen Ausgleich geben uns ich
stimme Kardinal Bertone in diesem Punkt völlig zu. Auch Professor Pöttering, der Präsident
des Europäischen Parlaments hat sich hier ganz stark eingesetzt für die ‚Würde des
Menschen’, so wie sie im Christentum dargestellt wird. Ich bin zutiefst überzeugt:
Nachdem was wir überlebt haben nach den zwei Totalitarismen – ich gehöre ja dieser
Generation an – ist es sehr wichtig. Dass der Mensch auch einen Bezugspunkt hat zu
Gott, der der absolute Garant der menschlichen Würde ist. Alle sprechen davon, dass
diese Würde ‚unantastbar’ ist und wie es damit in Wirklichkeit aussieht, sehen wir
ja sehr oft. Und deshalb wollen wir als Christen hier Mitspracherecht haben und nicht
nur Mitspracherecht, sondern wir würden uns wünschen, dass die menschliche Würde in
allen Bereichen respektiert wird: in der Politik, der Kultur, der Wirtschaft. Natürlich
sind nicht alle Menschen Christen, aber man kann ja hier viele Motive einflechten,
dass unser gesamtes Wirken dem Menschen dient und nicht den Menschen übersieht oder
sogar den Menschen unterdrückt.“ (23.07.2007 sis)