Der Warschauer Erzbischof Kazimierz Nycz (57) hat sich für eine differenzierte Aufarbeitung
der kommunistischen Vergangenheit in Polen ausgesprochen. „Wenn die Wunden geheilt
sind, dürfen wir sie nicht mehr öffnen“, sagte Nycz gegenüber dem in einen Interview.
Es gäbe aber auch schmutzige Wunden, die nicht so schnell heilten. Eine saubere Aufarbeitung
sei notwendig und Sache der ganzen Gesellschaft. Für die katholischen Bischöfe
Polens stellte Nycz klar, dass diese zur Durchleuchtung ihres Verhaltens in der kommunistischen
Ära bereit seien. Allerdings habe die Kirche vielleicht zu lange mit der Aufarbeitung
gewartet. Nycz betonte, dass nur sehr wenige Priester mit dem kommunistischen Geheimdienst
zusammengearbeitet hätten. Diese müssten ihr Amt verlassen. Für manche von ihnen habe
er jedoch Verständnis. Schließlich habe auch Petrus Jesus verraten. Wenn solche
Geistliche jetzt um Verzeihung bäten, könne er auch verzeihen. Allerdings sei Vorsicht
im Urteil geboten, mahnte der Erzbischof. Wer kollaboriert habe, um Baumaterial für
seine Kirche oder Medikamente für einen Schwerkranken zu bekommen, dürfe nicht sofort
verurteilt werden. Auch habe die Geheimpolizei Priester gewinnen wollen und über sie
berichtet, ohne dass diese sich darauf eingelassen hätten. Die genauen Umstände müssten
mit jedem einzelnen Priester geklärt werden. Bei aller Aufarbeitung gelte es für
die Kirche, auch wieder nach vorne zu schauen, so Nycz. So müsse der Kontakt zu den
Eliten verstärkt werden. Ohne eine engere Zusammenarbeit von Priestern und Laien
könne die Kirche Polens nicht in die Zukunft gehen. Nycz ist seit 1. April Erzbischof
in der polnischen Hauptstadt. Sein Vorgänger Stanislaw Wielgus war nur wenige Tage
nach seiner Ernennung im Zusammenhang mit dem Bekanntwerden von Geheimdienst-Kontakten
im Januar zurückgetreten. (kna/pow 17.06 2007 mc)
Lesen Sie hier das ganz
Interview (Quelle: www.bistum-wuerzburg.de)
„Die Wunden säubern und
heilen“ Interview mit Warschaus neuem Erzbischof Kazimierz Nycz zur Aufarbeitung
der kommunistischen Zeit in der katholischen Kirche Polens – „Nach vorne blicken“
POW: Herr Erzbischof, Sie haben nach dem spektakulären Rücktritt von Bischof
Wielgus eine schwierige Aufgabe übernommen. Was ist Ihnen in diesen ersten Monaten
als Erzbischof von Warschau besonders wichtig?
Erzbischof Kazimierz Nycz: Ich
respektiere die schwierige Situation zu Jahresbeginn, als Erzbischof Wielgus wegen
der Geheimdienst-Vorwürfe zurücktrat. Derzeit beschäftigen mich besonders drei Themen:
das Leben der Kirche im Erzbistum Warschau, die politische Lage in der Hauptstadt
sowie der Kontakt zwischen Politik und Kirche und vor allem der Umgang der Kirche
mit den Medien. Bei allem ist mir dabei ganz wichtig: Ich möchte nach vorne schauen.
POW:
Wie hat der Rücktritt von Erzbischof Wielgus die katholische Kirche in Polen verändert?
Erzbischof
Nycz: Das ist nicht so einfach zu erklären. Die Kirche hat sehr deutlich gezeigt,
dass ihre Bischöfe bereit sind, sich auf ihr Verhalten in der kommunistischen Ära
durchleuchten zu lassen. Bischöfe und Kirche können so ein Beispiel für andere gesellschaftliche
Gruppen wie Wissenschaftler, Politiker oder Journalisten sein, wie die Vergangenheit
aufgearbeitet werden kann. In den vergangenen Monaten waren wir in einer sehr schwierigen
Lage: Wenn vermutet wurde, ein Priester oder Bischof sei unschuldig, wurde das in
der Öffentlichkeit nicht respektiert. Jeder musste beweisen, dass er unschuldig ist.
POW:
Was ist Ihrer Meinung nach in der Kirche bei der Aufarbeitung der kommunistischen
Zeit wichtig?
Erzbischof Nycz: Das Ende der kommunistischen Ära liegt 17 Jahre
zurück. Vielleicht haben wir mit der Aufarbeitung zu lange gewartet. Aber die Kirche
muss in aller Deutlichkeit sagen: Es waren nur sehr wenige Priester, die mit dem kommunistischen
Geheimdienst zusammengearbeitet haben. Einzelne Priester tragen Verantwortung für
diese Kollaboration, nicht aber die ganze Kirche. Ich warne auch vor dem Fehler, über
das Handeln der Kirche in der kommunistischen Zeit aus heutiger Sicht zu sprechen,
ohne die damalige politische Lage zu berücksichtigen. Das Verhalten einzelner Priester
muss mit Blick auf die damaligen schwierigen Bedingungen gesehen werden. Aber: Wir
müssen die Vergangenheit aufarbeiten und abschließen und dann nach vorne blicken.
POW:
Wie sollte die Kirche mit den Priestern und Bischöfen umgehen, die kollaboriert haben?
Erzbischof
Nycz: Wir müssen genau unterscheiden, wenn wir die Priester beurteilen wollen. Die
wenigen, die mit dem kommunistischen Geheimdienst zusammengearbeitet haben, müssen
ihr Amt verlassen. Andere Priester, die aus besonderen Gründen mit dem Geheimdienst
kollaboriert haben – beispielsweise weil sie Baumaterial für ihre Kirche benötigten
oder Medikamente für einen Schwerkranken –, müssen wir vorsichtig behandeln. Sie dürfen
nicht sofort verurteilt werden. Vielmehr müssen wir im Gespräch klären, wie sie zu
einer Zusammenarbeit gedrängt wurden. Wieder andere Priester wollte die Geheimpolizei
bewusst gewinnen. Die Geheimpolizisten schrieben über sie, obwohl diese Priester gar
nicht wussten, dass sie Kollaborateure sind – und es auch nicht waren. Die genauen
Umstände müssen mit jedem einzelnen Priester geklärt werden.
POW: Sie selbst
haben den Kommunisten widerstanden. Haben sie Verständnis für Priester, die kollaboriert
haben?
Erzbischof Nycz: Für manche Priester habe ich schon Verständnis. Den
Priestern, die wie der heilige Apostel Petrus Jesus und die Kirche verraten haben
und jetzt um Verzeihung bitten, kann ich auch verzeihen. Solche Fälle gab es in unserer
Kirche.
POW: Wie muss die polnische Gesellschaft insgesamt mit der Aufarbeitung
dieser Vergangenheit umgehen?
Erzbischof Nycz: Ich habe am Fronleichnamsfest
ganz klar und deutlich gesagt: Wenn die Wunden geheilt sind, dürfen wir sie nicht
mehr öffnen. Es gibt aber auch schmutzige Wunden, die nicht so schnell heilen. Die
ganze Gesellschaft ist gefordert, diese Wunden aus der kommunistischen Zeit zu säubern
und zu heilen. Als die Kirche vor zwei Jahren Kommissionen eingesetzt hatte, um die
Vergangenheit aufzuarbeiten, haben Medienvertreter gesagt, diese Aufarbeitung komme
zu spät und sei nicht intensiv genug. Jetzt, wo man mit einem neuen Gesetz auch andere
Gruppen wie Wissenschaftler, Politiker oder Journalisten auf ihre Kontakte zum kommunistischen
Geheimdienst durchleuchten will, höre ich oft, das sei nicht nötig. Für unsere Gesellschaft
ist aber eine saubere Aufarbeitung notwendig.
POW: Was ist für die Kirche in
Polen in nächster Zeit wichtig?
Erzbischof Nycz: Zuerst müssen wir vor allem
den Glauben vertiefen. Dann gilt es, den Kontakt zu den Eliten zu verstärken. Priester
und Laien müssen enger zusammenarbeiten. Ohne diese Zusammenarbeit können wir nicht
in die Zukunft gehen.