Papst Benedikt XVI. besucht Assisi. In rund zehn Stunden hält er vier offizielle Ansprachen,
trifft die Ordensleute, Jugendliche, und besucht privat Rivotorto, San Damiano und
Santa Chiara. Sein erster öffentlicher Auftritt in der Stadt des Heiligen Franziskus
war die Eucharistiefeier auf dem Platz vor der Unterkirche der Basilika. Wir dokumentieren
hier seine Predigt in einer eigenen Übersetzung:
Liebe Brüder und Schwestern,
was sagt uns der Herr heute, während wir vor diesem beeindruckenden
Szenario dieses Platzes Eucharistie feiern, wo sich acht Jahrhunderte Heiligkeit,
Verehrung, Kunst und Kultur sammeln, verbunden mit dem Namen Franziskus von Assisi?
Alles hier spricht heute von Bekehrung, daran hat auch Bischof Domenico Sorrentino
erinnert, dem ich von Herzen für die warmen Worte an mich danke. Mit ihm grüße ich
die ganze Kirche von Assisi-Nocera-Umbra-Gualdo Tadino sowie die Hirten der Kirche
in Umbrien. Ein dankbarer Gruß geht an Kardinal Attilio Nicora, meinen Gesandten für
die beiden päpstlichen Basiliken dieser Stadt. Voll Zuneigung grüße ich die Söhne
Franziskus', die gemeinsam mit ihren Generalministern der verschiedenen Orden hier
sind. Meine Hochachtung gilt dem Premierminister und allen zivilen Autoritäten, die
uns mit ihrer Anwesenheit ehren.
Von Bekehrung zu sprechen,
bedeutet, zum Herz der christlichen Botschaft gehen und gleichzeitig zu den Wurzeln
der menschlichen Existenz. Das eben verkündete Wort Gottes erleuchtet uns, führt uns
drei Bekehrte vor Augen. Der erste ist David. Der Text über ihn aus dem zweiten Buch
Samuel liefert uns einen der dramatischsten Diskurse des Alten Testaments. Im Zentrum
dieses Dialogs steht ein hartes Urteil, mit dem das Wort Gottes, prophezeit vom Propheten
Natan, einen König bloß stellt, der an der Spitze seines politischen Erfolgs steht,
aber auch auf tiefstes moralisches Niveau gesunken ist. Um die dramatische Spannung
dieses Moments zu begreifen, muss man den historischen und theologischen Kontext vor
Augen haben, in dem sich die Szene abspielt. Im Hintergrund steht diese Geschichte
der Liebe, mit der Gott Israel als sein Volk erwählt, mit ihm einen Bund schließt
und ihm Land und Freiheit zusagt. David ist ein Glied dieser Geschichte von der ständigen
Sorge Gottes um sein Volk. Er wird in einem schwierigen Moment erwählt und König Saul
an die Seite gestellt, um später sein Nachfolger zu werden. Der Plan Gottes gilt auch
seinen Nachkommen, die entsprechend der Messiasverheißung in Christus, dem "Sohn Davids",
ihre volle Erfüllung finden wird.
Die Person Davids steht so
für geschichtliche und religiöse Größe gleichzeitig. Ein umso größerer Kontrast ist
daher die Niederträchtigkeit, in die er fällt: blind vor Leidenschaft für Betseba,
entreißt er sie ihrem Mann, einem seiner treuesten Krieger und ordnet schließlich
kaltblütig dessen Tod an. Das lässt erschauern: Wie kann ein auserwählter Gottes so
tief fallen? Der Mensch ist wirklich Erhabenheit und Armut: Er ist erhaben, weil er
in sich das Bild Gottes trägt und von ihm geliebt wird; er ist arm, weil er in der
Lage ist, die Freiheit, sein großes Vorrecht, ausnutzen kann, sich am Ende sogar gegen
seinen Schöpfer stellen kann. Das Urteil Gottes, von Natan an David verkündet, erleuchtet
die intimsten Phasern seines Gewissens, dort, wo nicht Streitmächte, Macht und öffentliche
Meinung zählen, sondern man alleine mit Gott ist. „Du bist dieser Mann“: Das ist das
Wort, das David zutiefst an seine Verantwortung erinnert. Zutiefst getroffen von diesem
Wort bereut der König aufrichtig und öffnet sich dem Angebot der Barmherzigkeit. Das
ist der Weg der Bekehrung.
Uns auf diesem Weg neben David zu begleiten,
bietet sich Franziskus an. So wie die Biographen seine Jugendjahre berichten, lässt
nichts an so schwere Vorfälle denken, wie diese Anklage gegen den König des antiken
Israel. Aber derselbe Franziskus betrachtet in seinem Testament, das er in den letzten
Monaten seines Lebens geschrieben hat, seine ersten 25 Lebensjahre als eine Zeit,
in der er in Sünden war (vgl. 2Test1:FF110). Jenseits der einzelnen Taten, Sünde war
seine Art, sein Leben ganz auf sich selbst konzentriert zu verstehen und zu gestalten,
auf der Suche nach dem vergänglichen Traum vom irdischen Ruhm. Es fehlte im nicht
an einer natürlichen Großherzigkeit, als er noch „König der Feste“ unter den Jugendlichen
von Assisi war (vgl. Cel I, 3, 7: FF 588). Aber diese Großherzigkeit war noch weit
entfernt von der christlichen Liebe, die sich ohne Vorbehalt schenkt. Er selbst erinnert
daran: Es war für ihn hart, die Leprakranken zu sehen. Die Sünde versagte ihm, die
körperliche Abscheu zu überwinden, um in ihnen ebenso liebenswerte Brüder zu sehen.
Die Bekehrung bringt ihn dazu, Barmherzigkeit zu üben und er empfängt sie selbst.
Den Leprakranken dienen, sogar sie zu küssen, war nicht nur ein Gestus der Menschenliebe,
sozusagen eine „soziale“ Bekehrung, sondern eine wahrhaft religiöse Erfahrung – freies
Geschenk der Gnade und Liebe Gottes: „Der Herr . sagt er – hat mich zu ihnen geführt“
(2 test 2: FF 110). Die Bitterkeit verwandelte sich also in „Süßigkeit der Seele und
des Leibes“ (2 Test 3: FF 110). Ja, meine lieben Brüder und Schwestern, sich zur Liebe
bekehren heißt, von der Bitterkeit zur „Süßigkeit“ gehen, von der Traurigkeit zur
wahren Freude. Der Mensch ist wahrhaft er selbst, wenn er sich voll und ganz erkennt,
in dem Maß, in dem er mit Gott und von Gott lebt, indem er ihn in den Brüdern erkennt
und liebt.
Im Brief an die Galater tritt ein anderer Aspekt des Wegs der Bekehrung
hervor. Ihn erklärt uns ein anderer großer Bekehrter, der Apostel Paulus. Der Kontext
der Worte ist die Debatte, in der die Urgemeinde sich befindet: Viele Christen, die
aus dem Judentum kamen, wollten das Heil an die Erfüllung der Werke des Alten Gesetzes
binden, vereitelten so das Neue Christi und die Universalität seiner Botschaft. Paulus
tritt als Zeuge und Vertreter der Gnade hervor. Auf dem Weg nach Damaskus, hatten
ihn das strahlende Antlitz und die laute Stimme Christi seines gewalttätigen Eifers
des Verfolgers entraubt, und in ihm den neuen Eifer für den Gekreuzigten entzündet,
der die Nahen und die Fernen in seinem Kreuz vereint (vgl. Eph 2,11-22). Paulus hatte
verstanden, dass in Christus das ganze Gesetz erfüllt ist, und dass, wer zu Christus
gehört und sich mit ihm vereint, das Gesetz erfüllt. Christus, und mit ihm den einen
Gott, zu allen Völkern tragen ist zu seiner Mission geworden. Denn Christus „ist unser
Friede. Er vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riss durch sein Sterben
die trennende Wand nieder...“ (Eph 2,14). Sein ganz persönliches Liebesbekenntnis
ist gleichzeitig Ausdruck des Kerns des christlichen Lebens: „Soweit ich aber jetzt
noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt
und sich für mich hingegeben hat“ (Gal 2,20b). Und wie kann man auf diese Liebe antworten,
wenn nicht mit einer Umarmung des gekreuzigten Christus, bis dahin, sein Leben mitzuleben?
„Ich bin mit Christus gekreuzigt worden. Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt
in mir“ (Gal 2,20a).
Wenn er von seinem eigenen Gekreuzigtsein mit Christus
spricht, spielt Paulus nicht nur auf seine neue Geburt in der Taufe an, sondern auf
sein ganzes Leben im Dienst für Christus. Diese Verbindung mit seinem apostolischen
Leben scheint mit aller Klarheit in den Schlussworten seiner Verteidigung der christlichen
Freiheit am Ende des Galaterbriefes auf: „In Zukunft soll mir niemand mehr solche
Schwierigkeiten bereiten. Denn ich trage die Zeichen Jesu an meinem Leib“ (6,17).
Es ist das erste Mal in der Geschichte des Christentums, dass das Wort „Zeichen Jesu“
auftaucht. Im Diskurs um die rechte Art, das Evangelium zu sehen und zu leben, entscheiden
am Ende nicht die Argumente unseres Denkens, es entscheidet die Realität des Lebens,
die gelebte und gelittene Gemeinschaft mit Jesus, nicht nur in Gedanken und Worten,
sondern bis zum Grund der Existenz, den Körper, das Fleisch eingeschlossen. Die blauen
Flecken einer langen Leidensgeschichte sind Zeugnis von der Gegenwart des Kreuzes
Jesu am Leib des Paulus, sind seine Stigmen. Nicht die Beschneidung bringt ihm Heil:
Die Stigmen sind die Folge seiner Taufe, Ausdruck seines täglichen Sterbens mit Christus,
sicheres Zeichen dafür, neue Schöpfung zu sein (vgl. Gal 6,15). Paulus spielt mit
dem Wort Stigma auch auf den antiken Brauch an, auf der Haut des Sklaven das Sigel
des Besitzers einzubrennen. Der Sklave war so stigmatisiert als Eigentum des Herrn
und stand unter seinem Schutz. Das Zeichen des Kreuzes, durch lange Leiden in die
Haut des Paulus eingeschrieben, ist sein Stolz: Es weist ihn als wahren Diener Christi
aus, geschützt durch die Liebe des Herrn.
Liebe Freunde, Franz von Assisi
gibt uns heute all diese Worte des Apostels Paulus wieder, mit der Kraft seines Zeugnisses.
Seit das Antlitz der Leprakranken, geliebt aufgrund der Liebe Gottes, ihn auf bestimmte
Weise das Geheimnis der Kenosis erahnen ließ, das Geheimnis des Herabsteigen Gottes
in das Fleisch des Menschensohns, seit die Stimme des Kreuzes von San Damiano ihm
das Programm seines Lebens ins Herz pflanzte: „Geh, Franziskus, und stelle mein Haus
wieder her“ (2 Cel I,6,10: FF 593), war sein Weg nichts anderes als die tägliche Anstrengung,
sich Christus ähnlich zu machen. Die Wunden des Kreuzes verwundeten sein Herz, bevor
sie auf La Verna seinen Körper zeichneten. Er konnte wirklich mit Paulus sagen: „Nicht
mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“.
Kommen wir zum Kern des Evangeliums
des heutigen Wortes Gottes. Jesus selbst, erklärt uns im eben gelesenen Abschnitt
des Lukasevangeliums die Dynamik einer authentischen Bekehrung, zeigt uns als Modell
die Sünderin, die durch die Liebe erlöst wurde. Man muss erkennen, dass diese Frau
viel gewagt hat. Ihre Art, sich vor Jesus zu stellen, seine Füße mit ihren Tränen
zu waschen und mit ihren Haaren zu trocknen, sie zu küssen und mit kostbarem Öl zu
salben, war dafür gemacht, den, der Personen ihres Standes mit dem unbarmherzigen
Auge des Richters betrachtet, zu provozieren. Im Gegenteil, die Zärtlichkeit, mit
der Jesus diese Frau, die von vielen missbraucht und von allen verurteilt wird, behandelt,
beeindruckt. Sie hat in Jesus endlich ein reines Auge gefunden, ein Herz, das fähig
ist zu lieben, ohne zu auszunutzen. Im Blick und im Herzen Jesu erfährt sie die Offenbarung
Gottes, der die Liebe ist!
Um Missverständnisse zu vermeiden, muss man feststellen,
dass die Barmherzigkeit Jesu sich nicht zeigt, indem sie das moralische Gesetz ausklammert.
Für Jesus ist das Gute gut und das Böse schlecht. Die Barmherzigkeit verändert nicht
die Merkmale der Sünde, aber sie verbrennt sie im Feuer der Liebe. Dieser reinigende
und heil machende Effekt realisiert sich, wenn es im Menschen eine entsprechende Liebe
gibt, die einschließt, das Gesetz Gottes anzuerkennen, die aufrichtige Reue, den Vorsatz,
ein neues Leben zu führen. Der Sünderin im Evangelium ist viel vergeben, denn sie
hat viel geliebt. In Jesus gibt Gott uns Liebe und bittet uns um Liebe.
Was,
meine lieben Brüder und Schwestern, war das Leben des bekehrten Franziskus, wenn nicht
ein großer Liebesakt? Das zeigen seine glühenden Gebete, reich an Betrachtung und
Lobpreis, seine zärtliche Umarmung des Gotteskindes in Greccio, seine Betrachtung
der Passion auf La Verna, sein „leben nach der Vorschrift des Heiligen Evangeliums“
(2 Test 14: FF 116), seine Entscheidung für die Armut und sein Suchen nach Christus
im Antlitz der Armen.
Seine Bekehrung zu Christus, bis zur Sehnsucht, sich
in ihn zu „verwandeln“, indem er ein vollkommenes Abbild wurde, erklärt das Typische
seines Lebens, die Wirkungskraft, in der er uns auch angesichts der großen Themen
unserer Zeit so aktuell erscheint: die Suche nach Frieden, der Schutz der Natur, die
Förderung des Dialogs zwischen allen Menschen. Franziskus war ein wahrer Meister dieser
Dinge. Aber er ist es von Christus her. Christus ist „unser Friede“ (vgl Eph 2,14).
Christus selbst steht am Beginn des Kosmos, weil in ihm alles geschaffen ist (vgl.
Joh 1,3). Christus ist die göttliche Wahrheit, der ewige „Logos“, in dem jeder „Dialog“
der Zeit sein letztes Fundament findet. Franziskus hat diese „christologische“ Wahrheit
in seinem Fleisch zutiefst angenommen; sie steht an den Wurzeln der menschlichen Existenz,
des Kosmos, der Geschichte.
Ich kann beim heutigen Anlass nicht die Initiative
meines Vorgängers heiliger Erinnerung vergessen. Johannes Paul II. hat 1986 hier die
Repräsentanten der christlichen Konfessionen und der verschiedenen Weltreligionen
zu einem Gebetstreffen für den Frieden versammelt. Das war eine prophetische Eingabe
und ein Moment der Gnade, wie ich es auch vor einigen Monaten in meinem Brief an den
Bischofs dieser Stadt aus Anlass des 20. Jahrestags dieses Ereignisses geschrieben
habe. Die Entscheidung, dieses Treffen in Assisi abzuhalten, war wirklich eingegeben
vom Zeugnis des Franziskus als Mann des Friedens, dem auch andere kulturelle und religiöse
Bekenntnisse sich verbunden fühlen. Gleichzeitig war das Licht des Poverello auf dieser
Initiative auch die Garantie für christliche Authentizität, da sein Leben und seine
Botschaft so offensichtlich auf der Wahl Christi beruhen, alle Versuchung der religiösen
Unterscheidung schon vorab zurückzuweisen; sie hätte nichts mit einem glaubwürdigen
interreligiösen Dialog zu tun. Der „Geist von Assisi“, der sich seit diesem Ereignis
in der Welt verbreitet, stellt sich dem Geist der Gewalt entgegen, dem Missbrauch
der Religion als Vorwand für Gewalt. Assisi sagt uns, dass die Treue zur eigenen religiösen
Überzeugung, vor allem die Treue zu Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen,
sich nicht in Gewalt und Intoleranz ausdrückt, sondern im aufrichtigen Respekt des
anderen, im Dialog, im Aufruf zur Freiheit und zur Vernunft, im Einsatz für Frieden
und Versöhnung. Es könnte weder auf das Evangelium gründen, noch auf Franziskus, wenn
es nicht gelänge, Annahme, Dialog und Respekt für alle mit der Gewissheit des Glaubens
zu verbinden. Dazu ist jeder Christ aufgerufen, ebenbürtig dem Heiligen von Assisi,
indem er Christus als Weg, Wahrheit und Leben des Menschen (vgl. Joh 14,6) verkündet,
als einzigen Retter der Welt.
Franz von Assisi gewähre dieser Ortskirche,
der Kirche in Umbrien, der Kirche in ganz Italien, dessen Patron er zusammen mit der
Heiligen Katharina von Siena ist, und allen, die sich in der Welt auf ihn berufen,
die Gnade einer authentischen und vollen Bekehrung zur Liebe Christi. (Übersetzung:
Birgit Pottler)