San Damiano. Nicht
einmal einen Kilometer von der Basilika des Heiligen Franziskus entfernt - und doch
in einer anderen Welt. Vor mehr als 800 Jahren erhielt der adlige junge Mann den Auftrag,
„Geh’ und bau’ meine Kirche wieder auf!“ Hier begann seine Bekehrung, draußen vor
der Stadt. Seine Gefährtin Chiara ließ sich hier später mit den Klarissinnen nieder,
Francesco schrieb zwischen Olivenhainen mit Blick in die umbrische Weite den Sonnengesang. San
Damiano ist eine andere Welt geblieben, lädt zur Stille und Umkehr ein, erzählt der
niederländische Pater Loek Bosch, seit rund fünf Jahren im kleinen Franziskanerkonvent.
Birgit Pottler hat vor dem Papstbesuch mit ihm gesprochen.
Pater Loek,
hier ist es heute sehr ruhig, ist das so etwas wie die Ruhe vor dem Sturm, den der
Papstbesuch mit sich bringt? Lacht. Nein, das denke ich nicht. Das ist
abhängig vom Tag. San Damiano ist am Wochenende sehr voll mit Italienern. In der Woche
hat es Zeiten, in denen es ruhig ist. Dann sind die deutschen Gruppen hier. San Damiano
ist speziell für Deutsche, hab’ ich die Erfahrung gemacht, es gibt sehr viele deutsche
Gruppen, die hierher kommen, Jugendgruppen, und es gibt sogar eine Gruppe „Freunde
von San Damiano“ in Deutschland, die uns unterstützt. Wie erklären Sie sich
die große Zuneigung gerade der Deutschen? Weil hier Andacht ist für Deutsche.
In der Vesper werden die Seitennummern und die Liednummern in Deutsch gesagt, auch
die Lesung ist in Deutsch. Das gibt den Deutschen das Gefühl: „Wir sind daheim, man
hört uns“. In ganz Assisi wird kaum eine andere Sprache gesprochen als Italienisch.
San
Damiano ist vor allem ein Ort des Gebetes, der Meditation… Ja, es gibt immer
mehr Leute, die kommen als Touristen nach Assisi: filmen, Fotos machen… Wir versuchen
hier, wieder zurückzukehren zu dem, was wir sind. Wenn man hierher kommt, um Fresken
anzuschauen… hier gibt es kaum Fresken, einige, schöne. Wenn man hierher kommt, um
Steine zu berühren, wie die Italiener das gerne machen, die sie küssen, gibt es hier
Steine genug. Aber dafür ist San Damiano nicht da. San Damiano ist ein Ort der Stille
und das „verkaufen“ wir hier. Wir versuchen, in dieser Stille, die Frage von Francesco,
,Herr, was willst Du, dass ich tue mit meinem Leben?’ in seiner Krisenzeit, zwischen
1203 und 1206, hochkommen zu lassen, und Leute auch zu senden. Wir geben keine Führungen,
wir geben Einführungen hier auf der Piazza, und dann senden wir, wir bitten die Leute
eine Pilgerfahrt zu machen, hier im Gebäude, und ihre je eigene Frage zu hören. Die
gleiche Frage wie ,Herr, was willst Du, dass ich dir tue?’ ist ,Wie ist meine Zukunft?’,
oder ,Was ist Glück in meinem Leen?’ oder ,Was hat wirklich Würde in meinem Leben?’
Das sind dieselben Fragen. Dass Leute diese Frage mitnehmen, das wollen wir hier.
Wir leben in einer Welt, in der wir ganz verrückt gemacht werden von Ökonomie, das
ist unser Gott, und die Ökonomie sagt ,kaufen, kaufen, kaufen, haben, haben, haben“,
aber das Evangelium sagt etwas anderes. Das Evangelium sagt, es geht um Liebe, und
es geht nicht über die Ökonomie in unserem Leben, es geht über unser Glück, und Glück
ist immer etwas – wie bei Franziskus und der Begegnung mit dem Aussätzigen in dieser
Nähe – dass wir einander in die Augen schauen, und dass wir einander anerkennen als
Mitmensch, verwundet, wie dieser Aussätzige, verwundet wie ich selbst bin, auch Francesco
war verwundet im Krieg mit Perugia, nicht an seinem Leib, aber in seinem Geist war
er verwundet. So müssen wir einander begegnen, und das ist etwas anderes als die Ökonomie
sagt; die sagt ‚kaufen, haben ist wichtig, dann bist du jemand’, aber wir „sind jemand“
in der Begegnung: Wenn wir in die Augen eines Menschen schauen, schauen wir in die
Augen Gottes.“ Sie sagten, sie „verkaufen“ hier die Stille. Ist
genau diese Stille das, was der Papst hier in San Damiano sucht, bei seinem privaten
Besuch, bevor er dann nach Assisi hinauf geht? Ja, das denke ich. San Damiano
ist ein Ort, wo es angefangen hat, wo Franziskus in einer Krisenzeit endlich sieht,
was geschehen muss. Er hört die Frage vom Kreuz von San Damiano, ,Franziskus, siehst
du nicht, dass mein Haus zerfallen ist? Geh und erbaue mein Haus.’ Oder in unseren
Worten: ,Mensch schau rund, fang an, tu etwas.’ Und hier an diesem Ort, dem Ort von
Stille, hat es angefangen, und wir leben hier in Assisi im Jahr der Bekehrung, der
Konversion. Auch der Papst kommt hier nach Assisi, um das mitzuerleben. In zwei Jahren,
2009, besteht der Franziskanische Orden, bestehen die Gemeinschaften, 800 Jahre. In
diesem Anfangsjahr kommt der Papst nach San Damiano, um die Stille zu suchen. Darum
ist er hier auch privat, um einen Moment zu haben, um hier zu beten. ,Ich muss kein
Papst sein, ich muss nicht denken, dass ich den ganzen Tag all diesen Leuten begegnen
muss.’ Ich bin ganz nüchtern in dieser Sache. Die ganze Gemeinschaft von Assisi ist
aufgeregt, ist nervös. Alles muss sauber gemacht werden, auch hier in unserem Konvent,
aber ich bin ganz nüchtern in dieser Sache und denke: Schön, er kommt, zehn Minuten
hier in San Damiano, muss dafür alles so sauber gemacht werden? Ich liebe diesen
Papst. Im Anfang, als Johannes Paul gestorben war und er gewählt wurde, hab’ ich gedacht:
Oh mein lieber Herrgott, was geschieht uns? Aber als er seine Enzyklika „Deus Caritas
Est“ geschrieben hat, hat er mein Herz gestohlen. Er hat mein Herz gestohlen mit diesen
Worten, denn es geht um die Liebe in unserer Kirche. Es geht um die Liebe in unserem
Glauben. Und der Rest ist nicht so wichtig. Werden Sie dem Papst
denn persönlich begegnen? Wie stellen Sie sich den Sonntag vor? Lacht.
Er kommt hier an mit einem Wagen und einem großen Gefolge, unserem Minister General,
denke ich, unserem Minister Provinzial. Wir wissen es noch nicht, wir stehen vielleicht
da in einer Doppelreihe und dann geht er dazwischen durch, geht in die Kirche und
vielleicht gehen wir mit ihm hinein. Es ist Stille. Er betet, und vielleicht sagt
er ,Auf Wiedersehen.’ Ich weiß es nicht, wir hören es noch. Was ich wohl weiß:
Wir haben um halb acht und um halb zehn eine Messe in San Damiano, es gibt diesen
Sonntag keine Messe hier. Wir feiern sie am Samstag Abend um sieben Uhr, an Stelle
der Vesper. Lacht. Wir haben sehr viel übrig für den Papst… Was
bedeutet für Assisi, für San Damiano besonders, dieser Papstbesuch? Es ist der 17.
Papst, der Assisi im Laufe der Jahrhunderte besucht… Ich habe hier gehört,
dass es viele viele Jahre her ist, dass Papst nach San Damiano kommt, hunderte Jahre.
Sie sind hier gewesen, Johannes Paul als Kardinal, ich denke auch Benedikt ist hier
gewesen als Kardinal. Aber ich denke, es ist für uns doch sehr besonders, dass er
hier anfängt. Wie werden sie persönlich den Rest des Tages erleben? Wir
haben am Nachmittag eine Begegnung in San Rufino, der Kathedrale von Assisi, mit den
Ordensleuten, und ich denke, dass San Damiano offen ist für die Leute, die in Assisi
sind und jetzt denken, .Wir gehen noch einmal nach San Damiano, vielleicht gibt es
auch noch irgendwo Ruhe, Stille in Assisi.’ Denn Assisi wird voll sein. Franziskus
hat vor 800 Jahren hier seine Bekehrungsbotschaft erhalten, den Auftrag „Tu etwas!“
Was könnte denn in Ihren Augen, in Ihrem Herzen die Botschaft an Benedikt sein, wo
hat er etwas zu tun? Offen sein für die Jugendlichen, hören, was dort lebt,
offen sein auch für die Randgruppen und sie lieben. Ich gebe ein Beispiel: Es gibt
sehr viele Leute in unserer Welt, die sind homosexuell. Und sehr oft haben sie das
Gefühl, als ob die Kirche nicht eine Mutter ist, sondern eine Stiefmutter, eine sehr
strenge Mutter, bei der sie nicht zu Hause sind. Ich denke, all diese Menschen, das
sind ungefähr fünf bis zehn Prozent unserer Welt, müssen auch das Gefühl haben, dass
sie zu unserer Kirche gehören. Wir können allen sagen, ‚Ja, aber das musst du so oder
so sehen’, aber sie haben das Gefühl, dass sie nicht als richtige Kinder der Kirche
betrachtet werden. Haben Sie selbst, der Sie stets in San Damiano
leben, diese Bekehrungsbotschaft öfter? Gibt es Aufträge an Sie persönlich? Ja.
Ich habe San Damiano ausgewählt, ich bin Holländer und gehöre zu der holländischen
Provinz, aber ich habe diesen Ort gewählt, um mehr Gleichgewicht zu finden zwischen
Kontemplation und Aktion. Ich habe immer gearbeitet, gearbeitet, gearbeitet, und ich
habe mein ganzes Leben lang die Sehnsucht gehabt auch nach Stille, nach Gebet, nach
Kontemplation. Die Bekehrungsbotschaft von San Damiano ist ,nicht nur arbeiten, sondern
Zeit geben für Stille’. Jeder von uns muss Zeit haben für Gebet in seinem Leben.“ (rv
14.06.2007 bp)