2007-06-11 14:57:21

Nah Ost: 40 Jahre nach dem Sechs-Tage-Krieg


RealAudioMP3 Vergangene Woche hat sich der Sechstagekrieg zum 40. Mal gejährt. Seitdem hat es immer wieder Versuche gegeben, den Friedensprozess im Nahen Osten wieder in Gang zu bringen – vergeblich. Unübersehbares Mahnmal des Konflikts ist die riesige Sperranlage, die Israel seit fünf Jahren baut. Sie soll einmal 620 Kilometer lang werden und zieht sie sich von Norden nach Süden, manchmal an der Waffenstillstandsgrenze von 1967 entlang, immer wieder aber auch tief in das Gebiet hinein, das nach internationalem Recht den Palästinensern zugesprochen ist. Israel nennt die Anlage „Anti-Terror-Zaun“, weil sie Selbstmordattentäter stoppen solle. Für Palästinenser ist sie hingegen eine „Apartheid-Mauer“, die ihnen Gebiet raubt und das Leben schwer macht.
Auch die Kirche ist von der Sperranlage betroffen – indirekt durch Häuser einheimischer Christen, die der Mauer weichen mussten, und weil mehrere Heiligtümer vom ungehinderten Zugang nach Jerusalem abgeschnitten wurden. Aber auch direkt auf oder bei ihren Grundstücken. Gabi Fröhlich hat sich umgesehen:
Die Passionisten in Bethanien haben einen neuen Gartenzaun: acht Meter hoch, grauer Stahlbeton. Der Hausobere, Pater Gianni Sgreva, führt uns durch die mit Olivenbäumen bepflanzte Parkanlage. Dort sieht es aus wie auf einer Baustelle: „Hier fahren Jeeps entlang, Tag und Nacht. Sie haben eine Straße mitten durch den Park gezogen. Ich habe protestiert, habe an die Verantwortlichen geschrieben. `Geduld`, haben sie geantwortet... ein Desaster.“
Begonnen hat das Desaster für die christlichen Häuser im biblischen Bethanien Anfang 2006. Die Wallfahrtsstätte der Franziskaner und das Lazarusgrab – wichtige Pilgerziele – sind nun durch die Mauer von Jerusalem abgetrennt. Den Passionisten einige hundert Meter weiter westlich ging es etwas besser. Sie durften immerhin entscheiden, dass sie der Jerusalemer Seite zugeschlagen würden. Aber der Tag X kam für die Gemeinschaft doch überraschend. „Stellen Sie sich vor: An jenem Morgen sind wir aufgewacht und haben festgestellt, dass sie unsere alte Klostermauer einfach eingerissen hatten. Über Nacht! Ich habe mich vor die Bulldozer gestellt und gesagt, `Stopp! Wir müssen erst mit den Verantwortlichen sprechen`. Aber natürlich ließ sich nichts mehr machen. Wir wurden einfach vor vollendete Tatsachen gestellt.“
Das Grundstück der Passionisten ist nicht der einzige Kirchenbesitz, der von den israelischen Sperranlagen direkt betroffen ist: Beim Ölberg sowie bei Bethlehem zog das israelische Militär die Trasse gleich mehrfach über kirchliches Eigentum - oder daran entlang. So konnten die griechisch-katholischen Benediktinerinnen durch Einspruch gerade noch verhindern, dass der Zugang zu ihrem Kloster vermauert wurde. Die Salesianer sehen sich bei ihrem Weingut „Cremisan“ mit den heranrollenden Planierraupen konfrontiert. Das Franziskanergrundstück im biblischen Bethphage wurde durch die Mauer durchtrennt. Sogar der „Papst-Hügel“ bei Ostjerusalem ist betroffen: Der wurde seinerzeit dem Heilig-Land-Pilger Paul VI. vom jordanischen Königshaus geschenkt. Aber selbst vatikanische Diplomatie konnte nicht verhindern, dass der Sperrwall das päpstliche Grundstück zerschneidet: Die Geographie erlaubte keine andere Trassenführung. Besonders misslich ist die Lage der Comboni-Schwestern: Die Afrika-Missionarinnen haben ihren Konvent direkt neben den Passionisten, auf deren Grundstück. Die Mauer umschließt sie von drei Seiten. „nser Haus ist vor allem ein spirituelles Zentrum – zumindest war es das“ so die Oberin, Schwester Gianfranca Silvestri. Denn nun bleiben die Pilger aus, und auch der Kindergarten der Schwestern ist halb leer.
Verschärft wird die Lage auf dem Passionistengrundstück dadurch, dass eine Klage von palästinensischen Anwohnern vor dem Obersten Gerichtshof den Mauerbau gerade hier vorläufig gestoppt hat. Bis die Richter über den genauen Verlauf der Trasse entschieden haben, stopft das israelische Militär die Lücke in der Mauer mit Wachen im Klostergarten. Das bedeutet, dass schwer bewaffnete Grenzpolizisten den Durchgang zwischen den Schwestern und den Patres im Blick behalten, Jeeps dort patrouillieren und nachts der Klostergarten taghell erleuchtet wird.
In dieser schwierigen Situation versuchen die Ordensleute, ihren Auftrag neu zu entdecken: „Was ich im Herzen jeder meiner Mitschwestern sehe, ist: Wir wollen einfach hier sein, sozusagen an der Front des Konflikts“, erklärt Schwester Gianfranca. „Wir haben zum Beispiel ein gutes Verhältnis zu den einzelnen Soldaten.“ Pater Sgreva hat eigens Hebräisch gelernt, um mit den israelischen Posten gute Kontakte aufbauen zu können: „Wie oft ist es mir passiert, dass ein Soldat mir sagte: `Wir hätten niemals gedacht, dass Christen so freundlich zu uns sein könnten. Uns wurde immer gesagt, dass die Christen uns hassen und verfolgen.` Und ich spreche da von hunderten junger Soldaten, denen wir hier begegnen. Das heißt, es geht dabei auch um die Zukunft: wir müssen an diesen jungen Seelen arbeiten, um die Basis für ein neues Verhältnis zu legen.“
Auf der anderen Seite wollen die Ordensleute aber auch ihre traditionell guten Kontakte zur palästinensischen Bevölkerung pflegen. Schwester Gianfranca: „Unser Tor ist immer offen, unser Garten gehört nicht mehr uns. Die Leute gehen rein, versuchen, über unser Grundstück nach Jerusalem zu kommen, werden zurückgeschickt. Und bitten uns dann, dass wir die Soldaten überzeugen. Aber was sollen wir denn tun? Wir sind ja völlig machtlos. Wir widmen sehr viel mehr Zeit als früher dem Gebet. Denn wir wissen, dass wir diese Situation nicht ändern können. Nur Gott kann das. Insgesamt ist es für uns eine echte Wüstenzeit.“
Obwohl die Belastung für die betroffenen Ordenshäuser durch die Mauer groß ist, redet die Kirche nicht gerne laut über das Thema: Ihre Diplomaten haben genug weitere Schwierigkeiten im ständig stockenden israelisch-vatikanischen Dialog zu lösen – da will man die Stimmung nicht noch weiter aufheizen. Zudem kann allzu vehementer Protest dazu führen, dass das Militär das Problem kurzerhand in den Garten der palästinensischen Nachbarn verlegt. In einem Bethlehemer Fall ist das bereits passiert, und das will man natürlich nicht wieder riskieren.
Den Passionisten ist die bittere Lage indessen auf unverhoffte Weise etwas versüßt worden: Bei Sondierungsarbeiten vor dem Mauerbau stieß man nämlich auf Ruinen aus biblischer Zeit. Die Arbeiten wurden gestoppt, bis israelische Fachleute das Gelände genauer untersucht hatten. Pater Sgreva berichtet: „Die archäologischen Funde sind hochinteressant: Genau unter unserem Grundstück lag das biblische Bethanien! Dort, wo die Christen bisher hingepilgert sind hingegen, war die Begräbnisstätte - und damit auch das Grab des Lazarus. Die Häuser jedoch waren genau hier. Das heißt, dass Jesus hierher kam, wenn er seine Freunde Marta, Maria und Lazarus besuchte.“ Die Freude des Italieners wird jedoch dadurch getrübt, dass Teile der Ruinen der Militärstraße weichen mussten. Die israelischen Archäologen arbeiteten zudem ohne Rücksprache mit den Gründstückseigentümern, wertvolle Funde verschwanden einfach im Magazin.
Für Sgreva ist dieses eigenmächtige Vorgehen besonders ärgerlich: „Wenn man mit den Kommandanten spricht, sind sie höflich und verständnisvoll“, berichtet er. Auch verlaufe der Sperrwall möglichst genau auf der Grundstücksgrenze, zerstörte Blumenbeete würden neu bepflanzt. „Aber am Ende machen sie doch fast immer, was sie wollen.“ Dass die Sperrmauer nur „vorübergehend“ sein soll, wie man ihnen versichert, lässt bei den Kirchenverantwortlichen auch keine große Hoffnung aufflammen: „In dieser Region“, so ein Vatikansprecher lakonisch, „sind die Zeiten biblisch.“
(rv 11.06.2007 gf)








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