Vergangene Woche hat
sich der Sechstagekrieg zum 40. Mal gejährt. Seitdem hat es immer wieder Versuche
gegeben, den Friedensprozess im Nahen Osten wieder in Gang zu bringen – vergeblich.
Unübersehbares Mahnmal des Konflikts ist die riesige Sperranlage, die Israel seit
fünf Jahren baut. Sie soll einmal 620 Kilometer lang werden und zieht sie sich von
Norden nach Süden, manchmal an der Waffenstillstandsgrenze von 1967 entlang, immer
wieder aber auch tief in das Gebiet hinein, das nach internationalem Recht den Palästinensern
zugesprochen ist. Israel nennt die Anlage „Anti-Terror-Zaun“, weil sie Selbstmordattentäter
stoppen solle. Für Palästinenser ist sie hingegen eine „Apartheid-Mauer“, die ihnen
Gebiet raubt und das Leben schwer macht. Auch die Kirche ist von der Sperranlage
betroffen – indirekt durch Häuser einheimischer Christen, die der Mauer weichen mussten,
und weil mehrere Heiligtümer vom ungehinderten Zugang nach Jerusalem abgeschnitten
wurden. Aber auch direkt auf oder bei ihren Grundstücken. Gabi Fröhlich hat sich umgesehen:
Die Passionisten in Bethanien haben einen neuen Gartenzaun: acht Meter hoch, grauer
Stahlbeton. Der Hausobere, Pater Gianni Sgreva, führt uns durch die mit Olivenbäumen
bepflanzte Parkanlage. Dort sieht es aus wie auf einer Baustelle: „Hier fahren
Jeeps entlang, Tag und Nacht. Sie haben eine Straße mitten durch den Park gezogen.
Ich habe protestiert, habe an die Verantwortlichen geschrieben. `Geduld`, haben sie
geantwortet... ein Desaster.“ Begonnen hat das Desaster für die christlichen
Häuser im biblischen Bethanien Anfang 2006. Die Wallfahrtsstätte der Franziskaner
und das Lazarusgrab – wichtige Pilgerziele – sind nun durch die Mauer von Jerusalem
abgetrennt. Den Passionisten einige hundert Meter weiter westlich ging es etwas besser.
Sie durften immerhin entscheiden, dass sie der Jerusalemer Seite zugeschlagen würden.
Aber der Tag X kam für die Gemeinschaft doch überraschend. „Stellen Sie sich vor:
An jenem Morgen sind wir aufgewacht und haben festgestellt, dass sie unsere alte Klostermauer
einfach eingerissen hatten. Über Nacht! Ich habe mich vor die Bulldozer gestellt und
gesagt, `Stopp! Wir müssen erst mit den Verantwortlichen sprechen`. Aber natürlich
ließ sich nichts mehr machen. Wir wurden einfach vor vollendete Tatsachen gestellt.“ Das
Grundstück der Passionisten ist nicht der einzige Kirchenbesitz, der von den israelischen
Sperranlagen direkt betroffen ist: Beim Ölberg sowie bei Bethlehem zog das israelische
Militär die Trasse gleich mehrfach über kirchliches Eigentum - oder daran entlang.
So konnten die griechisch-katholischen Benediktinerinnen durch Einspruch gerade noch
verhindern, dass der Zugang zu ihrem Kloster vermauert wurde. Die Salesianer sehen
sich bei ihrem Weingut „Cremisan“ mit den heranrollenden Planierraupen konfrontiert.
Das Franziskanergrundstück im biblischen Bethphage wurde durch die Mauer durchtrennt.
Sogar der „Papst-Hügel“ bei Ostjerusalem ist betroffen: Der wurde seinerzeit dem Heilig-Land-Pilger
Paul VI. vom jordanischen Königshaus geschenkt. Aber selbst vatikanische Diplomatie
konnte nicht verhindern, dass der Sperrwall das päpstliche Grundstück zerschneidet:
Die Geographie erlaubte keine andere Trassenführung. Besonders misslich ist die Lage
der Comboni-Schwestern: Die Afrika-Missionarinnen haben ihren Konvent direkt neben
den Passionisten, auf deren Grundstück. Die Mauer umschließt sie von drei Seiten.
„nser Haus ist vor allem ein spirituelles Zentrum – zumindest war es das“ so die Oberin,
Schwester Gianfranca Silvestri. Denn nun bleiben die Pilger aus, und auch der Kindergarten
der Schwestern ist halb leer. Verschärft wird die Lage auf dem Passionistengrundstück
dadurch, dass eine Klage von palästinensischen Anwohnern vor dem Obersten Gerichtshof
den Mauerbau gerade hier vorläufig gestoppt hat. Bis die Richter über den genauen
Verlauf der Trasse entschieden haben, stopft das israelische Militär die Lücke in
der Mauer mit Wachen im Klostergarten. Das bedeutet, dass schwer bewaffnete Grenzpolizisten
den Durchgang zwischen den Schwestern und den Patres im Blick behalten, Jeeps dort
patrouillieren und nachts der Klostergarten taghell erleuchtet wird. In dieser
schwierigen Situation versuchen die Ordensleute, ihren Auftrag neu zu entdecken: „Was
ich im Herzen jeder meiner Mitschwestern sehe, ist: Wir wollen einfach hier sein,
sozusagen an der Front des Konflikts“, erklärt Schwester Gianfranca. „Wir haben zum
Beispiel ein gutes Verhältnis zu den einzelnen Soldaten.“ Pater Sgreva hat eigens
Hebräisch gelernt, um mit den israelischen Posten gute Kontakte aufbauen zu können:
„Wie oft ist es mir passiert, dass ein Soldat mir sagte: `Wir hätten niemals gedacht,
dass Christen so freundlich zu uns sein könnten. Uns wurde immer gesagt, dass die
Christen uns hassen und verfolgen.` Und ich spreche da von hunderten junger Soldaten,
denen wir hier begegnen. Das heißt, es geht dabei auch um die Zukunft: wir müssen
an diesen jungen Seelen arbeiten, um die Basis für ein neues Verhältnis zu legen.“ Auf der anderen Seite wollen die Ordensleute aber auch ihre traditionell guten
Kontakte zur palästinensischen Bevölkerung pflegen. Schwester Gianfranca: „Unser
Tor ist immer offen, unser Garten gehört nicht mehr uns. Die Leute gehen rein, versuchen,
über unser Grundstück nach Jerusalem zu kommen, werden zurückgeschickt. Und bitten
uns dann, dass wir die Soldaten überzeugen. Aber was sollen wir denn tun? Wir sind
ja völlig machtlos. Wir widmen sehr viel mehr Zeit als früher dem Gebet. Denn wir
wissen, dass wir diese Situation nicht ändern können. Nur Gott kann das. Insgesamt
ist es für uns eine echte Wüstenzeit.“ Obwohl die Belastung für die betroffenen
Ordenshäuser durch die Mauer groß ist, redet die Kirche nicht gerne laut über das
Thema: Ihre Diplomaten haben genug weitere Schwierigkeiten im ständig stockenden israelisch-vatikanischen
Dialog zu lösen – da will man die Stimmung nicht noch weiter aufheizen. Zudem kann
allzu vehementer Protest dazu führen, dass das Militär das Problem kurzerhand in den
Garten der palästinensischen Nachbarn verlegt. In einem Bethlehemer Fall ist das bereits
passiert, und das will man natürlich nicht wieder riskieren. Den Passionisten
ist die bittere Lage indessen auf unverhoffte Weise etwas versüßt worden: Bei Sondierungsarbeiten
vor dem Mauerbau stieß man nämlich auf Ruinen aus biblischer Zeit. Die Arbeiten wurden
gestoppt, bis israelische Fachleute das Gelände genauer untersucht hatten. Pater Sgreva
berichtet: „Die archäologischen Funde sind hochinteressant: Genau unter unserem
Grundstück lag das biblische Bethanien! Dort, wo die Christen bisher hingepilgert
sind hingegen, war die Begräbnisstätte - und damit auch das Grab des Lazarus. Die
Häuser jedoch waren genau hier. Das heißt, dass Jesus hierher kam, wenn er seine Freunde
Marta, Maria und Lazarus besuchte.“ Die Freude des Italieners wird jedoch dadurch
getrübt, dass Teile der Ruinen der Militärstraße weichen mussten. Die israelischen
Archäologen arbeiteten zudem ohne Rücksprache mit den Gründstückseigentümern, wertvolle
Funde verschwanden einfach im Magazin. Für Sgreva ist dieses eigenmächtige Vorgehen
besonders ärgerlich: „Wenn man mit den Kommandanten spricht, sind sie höflich und
verständnisvoll“, berichtet er. Auch verlaufe der Sperrwall möglichst genau auf der
Grundstücksgrenze, zerstörte Blumenbeete würden neu bepflanzt. „Aber am Ende machen
sie doch fast immer, was sie wollen.“ Dass die Sperrmauer nur „vorübergehend“ sein
soll, wie man ihnen versichert, lässt bei den Kirchenverantwortlichen auch keine große
Hoffnung aufflammen: „In dieser Region“, so ein Vatikansprecher lakonisch, „sind die
Zeiten biblisch.“ (rv 11.06.2007 gf)