2007-06-03 17:12:15

Vatikan: Martino, „es gibt ein Recht auf Entwicklung“


Kommende Woche tagen in Heiligendamm die G-8-Staaten. Hohe Erwartungen gibt es weltweit, auch und gerade seitens der Kirchen. Zu den Erwartungen des Vatikans an den Gipfel hat die Katholische Nachrichtenagentur Kardinal Renato Raffaele Martino befragt. Er ist als Präsident des Päpstlichen Rats „Justitia et Pax“ für Entwicklungspolitik und Menschenrechte zuständig. Mit diesen Themen vertrat der aus Süditalien stammende 74-jährige Kirchenjurist und Diplomat die katholische Kirche zuvor bei verschiedenen internationalen Konferenzen. Von 1986 bis 2002 war er Ständiger Beobachter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in New York.
Er sagt: „Die G-8 haben eine größere Verantwortung als andere politische Gruppen. Als entwickelten Ländern fällt ihnen eine starke Führungsrolle zu. Wir erwarten viel: Dank des Engagements, das Bundeskanzlerin Merkel bekundet hat, rechnen wir mit einem verbindlicheren und stärkeren Einsatz für Afrika. Auch auf dem Feld des Klimawandels muss Europa aktiv werden.“
Schließt die Globalisierung also auch ethische Forderungen ein?
„Dazu hat sich schon Johannes Paul II. grundlegend geäußert. Was er und ebenso Benedikt XVI. wünschen, ist eine Globalisierung der Solidarität. Solidarität ist nicht bloße gute Absicht oder ein Gefühl von Mitleid, sondern solide, konkrete Hilfe, besonders für die sich entwickelnden Länder. Diese müssen in die Lage versetzt werden, Protagonisten ihrer eigenen Entwicklung zu sein.“
Deshalb gibt es ein Recht auf Hilfsleistungen?
„Es gibt ein Recht auf Entwicklung, das jede Person hat. Was das im Einzelnen umfasst, muss man klären. Aber offensichtlich gibt es eine Verantwortlichkeit nicht nur der
Betroffenen, sondern auch derjenigen, von denen die Hilfe abhängt.“
Welche Forderungen richten Sie an die reichen Länder?
„Der Papst hat Frau Merkel schon um einen Schuldenerlass für die armen Länder gebeten. Dieser Erlass muss so organisiert werden, dass es kein Almosen ist, sondern eine strukturierte, effektive Maßnahme, die dem Aufbau der betreffenden Länder dient. Und wie viele Menschen haben nichts zu essen! Fast eine Milliarde weltweit lebt unterhalb der Armutsgrenze. Vor 34 Jahren haben sich Industrienationen dazu verpflichtet, 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für die Entwicklungshilfe aufzuwenden. Nur fünf Länder haben es geschafft. Einige bleiben bei rund 0,2 Prozent, andere liegen auch darüber. Wenn nur die reichen Nationen ihre Abgabe von 0,7 Prozent einhalten würden, ließen sich eine Menge Probleme in den Entwicklungsländern lösen.“
Die Medien liefern fast täglich Elendsbilder. Bewirkt das eine Sensibilisierung für das Leiden anderer, oder löst das eher eine kollektive Verdrängung aus?
„Ja, es gibt eine ,poverty fatigue’, eine Armutsmüdigkeit. Die Leute sind es leid, sie wollen nichts vom Elend der anderen hören. Diese Versuchung gilt es zu überwinden. Denn die Not ist real und verlangt dringend eine Antwort.“
Wie kann die katholische Kirche auf internationaler politischer Ebene handeln?
„Die Kirche hat keine harten Instrumente. Sie kann nicht sagen: ,Mach das, andernfalls passiert dies und jenes.’ Das hat sie nie getan und kann sie nicht tun, weil sie weder über Armeen noch über politische oder finanzielle Mittel zur Durchsetzung verfügt. Die Kirche hat nur die Macht der Vernunft und der Moral, um andere zu überzeugen. Ich war 16 Jahre als Vertreter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen, und wenn ich dabei einige Erfolge hatte, war das genau wegen der Kraft der Überzeugung.“
Die Fragen stellte Burkard Jürgens. Wir dokumentieren im Audiofile das Interview in einer eigenen Fassung.
(kna 01.06.2007 bp)







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