2007-05-30 18:32:34

China: Gott im Reich der Mitte


RealAudioMP3 Papst Benedikt hat einen Brief an die katholischen Gläubigen in China geschrieben. Das Dokument steht kurz vor der Veröffentlichung. Religion, Glaube und Gott im Reich der Mitte: Mit diesem Thema hat sich die deutsche Philosophin Raphaela Schmid beschäftigt. Sie leitet den römischen Ableger des US-amerikanischen Becket-Instituts, das sich mit Fragen der Religionsfreiheit beschäftigt. Soeben hat Raphaela Schmid ihre Fernseh-Dokumentation „Gott in China“ vorgelegt.

Das deutsch-amerikanische Filmteam war zweimal in China: Einmal, um mit Gläubigen der Untergrundkirche zu sprechen. Und ein zweites Mal, um Führer und Angehörige der offiziellen katholischen Kirche zu treffen, die über die „Patriotische Vereinigung“ von Peking kontrolliert wird. Keiner sollte den Filmleuten in Quartiere von Untergrund-Gläubigen folgen können. Zum Beispiel ins Priesterseminar.

„Die Untergrundkirche hat immer noch riesige Probleme mit der Priesterausbildung. Es ist immer noch so, dass die Seminare nicht so gut versorgt sind, und dass der Rektor die meisten Fächer unterrichtet, aber schön langsam sieht man auch da, dass sich die Strukturen etwas verändern, und dass die Untergrundkirche in manchen Diözesen, wo es einen offiziellen Bischof gibt, der die Approbation Roms hat, doch so der offiziellen Kirche vertraut, dass sie ihre eigenen Studenten dort ins Seminar schickt.“

Freilich mussten die Filmemacher ihre Gesprächpartner aus dem katholischen Untergrund – auch die Seminaristen - schützen. Namen und Gesichter gibt der Film nicht preis. 1995 hatte eine französische Fernsehdokumentation zu einer Verhaftungswelle bei den Untergrundchristen geführt. Einer der Festgenommenen ist heute noch in Haft.

Dennoch hat Raphaela Schmid bei ihren Recherchen und Interviews in China beobachtet: Die Unterschiede zwischen der offiziellen und der Untergrundkirche werden schwerer nachvollziehbar. Unter den Gläubigen der offiziellen Kirche gebe es viele,

„…die ganz romtreu sind, und die sagen, wir haben jetzt eine neue Freiheit, wir können für den Papst in der Messe beten, wir können den Katechismus der Katholischen Kirche drucken hier in China, obwohl ein Satz ausgelassen werden muss, in dem es heißt, dass die Kirche Abstand nimmt von dem Totalitarismus, der im 20. Jahrhundert mit dem Kommunismus und Sozialismus einherging. Dieser Satz muss dann ausgelassen werden, aber trotzdem die Tatsache, dass man den Katechismus publizieren kann, dass die katholischen Zeitungen der offiziellen Kirche voller Bilder des Papstes sind – da sieht man schon, da gibt’s eine neue Freiheit, und es ist jetzt nicht mehr so, dass man dem Papst wirklich abschwören muss.“

Allerdings hat diese Freiheit klare Grenzen.

„Zum Beispiel die Einkindpolitik, Abtreibung, Todesstrafe, und es gibt in China 10.000 Exekutionen im Jahr - zu solchen Themen kann sich die offizielle Kirche nicht aussprechen.“

„Die Kirche ist jung“, rief ein frisch gewählter Papst Benedikt XVI. bei seinem Amtsantritt den Gläubigen der Welt zu. In China, diesem Riesenreich mit 1,3 Milliarden Menschen, stimmt diese Diagnose mehr als in vielen anderen Teilen der Welt. Bis vor kurzem haben offizielle Pekinger Statistiken bloß fünf Prozent Gläubige aller Religionen zusammen zugegeben. Die jüngste Erhebung stammt von Anfang 2007. Und sie enthält eine Sensation. Raphaela Schmid:

„Die letzte Umfrage zum Thema wurde geleitet von einem prominenten Mitglied der Shanghai Akademie der Sozialwissenschaften, ein Professor, der der kommunistischen Partei angehört, und da kam heraus, dass 30 Prozent der Chinesen sagen, sie sind religiös. Das würde bedeuten, dass 300 Millionen Chinesen sagen wir beten! Eine überraschende große Zahl, dass die von einer offiziellen Quelle kommt, ist erstaunlich. Das bedeutet, es gibt eine neue Offenheit, mit der man zugibt, dass Religion in China wichtiger ist, als man es bisher zugegeben hat.“

Manch anderes Positivbeispiel für eine beginnende neue Offenheit bringt Schmids Dokumentation „Gott in China“ ans Licht. Zum Beispiel einen kommunistischen Bürgermeister und einen Untergrund-Priester, die im gegenseitigen Respekt arbeiten und Seite an Seite vor die Kamera treten.

„Und es gibt eine ganz interessante Bewegung unter jungen Juristen in Peking, die sich darum bemühen, die schon existierenden Gesetze Chinas besser anzuwenden. In der chinesischen Verfassung heißt es, dass die Menschen Religionsfreiheit haben. Rechtlich gesehen könnte man gegen solche vorgehen, die Gläubige ohne Gerichtsverfahren für bis zu drei Jahren in Arbeitslager schicken. Aber de facto ist es noch nie passiert.“

Immer noch hat das postkommunistische China Angst vor der Kirche. Angst vor der Gewissensfreiheit der Gläubigen, die Anweisungen und Parolen der Partei radikal in Frage stellt. Bestes Beispiel: Lebensschutz.

„Abtreibungen sind in China gang und gäbe. Bei unseren Filmarbeiten sind wir da ganz beeindruckenden Menschen begegnet, zB ein Vater, der ein Pastoralassistent ist, dem Priester hilft, spielt auch die Orgel in der Kirche, und der hat fünf Kinder. Ich habe ich gefragt, ob er Schwierigkeiten gehabt hätte, er sagte natürlich, man muss Strafe bezahlen, aber wir waren zu arm, um die zu bezahlen. Dann kam die Polizei und hat die Möbel mitgenommen. Und obwohl er es sich selbst schon überlegt hatte, keine weiteren Kinder zu haben, war es seine Frau die gesagt hat, nein, wenn ich jetzt schwanger bin, möchte ich unbedingt das Kind auf die Welt bringen, und sie wurde dafür dann festgenommen. Und er sagte: ja, ich muss mich so schämen, denn ich habe selbst schon an Abtreibung gedacht. Bei uns ist das so normal, wenn nicht der Priester erklären würde, dass das falsch ist, käme nie jemand auf die Idee, dass daran etwas falsch sein kann. Es war meine Frau, die damals nicht Katholikin war, die gesagt hat: Das kann nicht richtig sein, sein eigenes Kind zu töten.“

Angst hat Peking nicht nur vor dieser Form von Freiheit. Angst hat es auch vor einer Art Parallelstruktur. Deshalb besteht Peking auf der Ernennung von katholischen Bischöfen, was der Heilige Stuhl nicht toleriert, auch wenn man in diesem Punkt mittlerweile zu einem Kompromiss gefunden hat. Der Vatikan ist heute involviert in die Bischofsernennungen der offiziellen Kirche.

„Das heißt, der Vatikan sucht jemanden aus, der nachher pro forma von der patriotischen Assoziation gewählt wird, und somit hat man einen Kandidaten, der beiden Recht ist. Dieser Schritt hat aber den Nachteil, dass man der Untergrundkirche abverlangt, diesen Bischöfen zu vertrauen. Denn die Untergrundhierarchie wird seitdem nicht mehr fortgesetzt. Das bedeutet schon, dass man den Menschen, die so große Opfer erbracht haben, ein weiteres großes Opfer verlangt, nämlich, jemandem zu vertrauen, der aus einer anderen Tradition kommt und dass man mit der Approbation Roms der Untergrundkirche sagt: Gebt ihm eine Chance.“

Der Brief des Papstes an die Katholiken in China steht unmittelbar vor seiner Veröffentlichung. Was die Philosophin und Fachfrau für Religionsfreiheit Raphaela Schmid sich davon erhofft?

„Ich würde mir erhoffen, dass dieser Brief an die chinesischen Katholiken erstens ihnen diese lange Leidenszeit, mit der man diese Treue zu Rom gelebt hat, zu einem Punkt der Freude bringt, indem sich die chinesischen Katholiken ganz eng verbunden mit der Universalkirche fühlen können, dass sie wissen, wir denken an sie, wir beten für sie, wir wissen, was dort los ist. Und ich würde mir sehr wünschen, dass dieser Brief diese Tapferkeit und den Heroismus und die Leidensbereitschaft der Untergrundkirche anerkennt in einer Art und Weise, dass vielleicht auch die Menschen außerhalb Chinas, die das lesen werden, davon inspiriert sein können. Und dass er gleichzeitig der offiziellen Kirche, die das ja auch lesen wird, in Erinnerung bringt, dass die große Tradition des Christentums in China zwei Seiten hat.“
(rv 30.05.07 gs)









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