2007-05-16 19:42:58

Vatikan: Bibliotheksnutzer hoffen auf Kompromiss


RealAudioMP3 Wegen Renovierungsarbeiten schließt die Vatikanische Bibliothek im Juli für drei Jahre. Eine trockene Mitteilung, die die Welt der Wissenschaft, in der es im allgemeinen eher still und gemessen zugeht, in einige Aufruhr versetzte. Arrivierte Forscher müssen sich neue zu beackernde Themenfelder suchen, junge Forscher mitunter sogar ihre Karriereplanung ändern, dann nämlich, wenn sie ihre Projekte auf die Bestände der Vaticana ausgerichtet haben. Nun hoffen die Wissenschaftler, dass vielleicht doch nicht ganz so heiß gegessen wie gekocht wird. Gudrun Sailer hat nachgefragt.

Der Rezeptionist am Empfang der Vatikan-Bibliothek ist sympathisch wie immer, aber er wirkt einen Grad gehetzer als sonst. Vor einer Viertelstunde, um 8:45 Uhr, hat die altehrwürdige Biblioteca Apostolica Vaticana ihre Pforten geöffnet, und ebenfalls gehetzt wirkende Benutzerinnen und Benutzer strömen herein.

„Für mich als Doktorand schließt die Bibliothek nicht am 14. Juli sondern am 13. Juno, also für mich ist jetzt die Zeit sehr knapp“, sagt die 29-jährige deutsche Historikerin Maria Teresa Börner.

„Für mich war das ein Schlag, mir fehlen die Worte, ich bin ziemlich enttäuscht, ich arbeite hier seit vier Jahren und es hat nie Probleme gegeben, es war immer sehr angenehm, und jetzt auf einmal krieg ich hier Ende April im Internet, wie ich die Homepage aufgerufen habe, schwirrt mir ein Banner entgegen, die Bibliothek wird für drei Jahre schließen – das hat mich schon sehr enttäuscht die Art und Weise wie man da umgeht.“

Auch für den Archäologie-Professor Stefan Heid war es ein schwarzer Tag, an dem die Vatikan-Bibliothek ihre lang hinausgeschobene Entscheidung bekannt gab.

„Ich habe vor einem Jahr ein großes Projekt angefangen, das jetzt so nicht weiterführbar ist, weil es mich gezwungenermaßen in die Vaticana führt.“

Allerdings: Die Renovierungsarbeiten an der Vaticana sind nötig, betont der Bibliothekspräfekt, Bischof Raffaele Farina.

„Die Anordnung zur Schließung ist in den vergangenen drei, vier Jahren gereift. Wir müssen zunächst die Fußböden des Raumes verstärken, in dem unsere Restaurierungswerkstätten untergebracht sind. Dieser Raum ist nicht sehr groß, aber zentral: Er liegt über dem Manuskript-Lesesaal. Gleichzeitig werden wir den gesamten rechten Flügel des Hofes renovieren, wo unsere Zeitschriftenbestände lagern. Auch dort ist eine Verstärkung des Fußbodens unerlässlich. Bei der Gelegenheit werden wir auch die Klimaanlage verbessern. Und auch die numismatische Abteilung wird rundumerneuert. In anderen Worten: die Unannehmlichkeiten für unser Publikum wären so groß, dass wir beschlossen haben, die Bibliothek für die Dauer der Arbeiten komplett zu schließen.“

In den 20er-Jahren habe es an der Vaticana einmal einen Unfall gegeben. Eine Decke sei eingestürzt und habe zwei Angestellte erschlagen, erzählt uns Marco Buonocore, der seit 26 Jahren an der Bibliothek wirkt. Er ist Scriptor latinus – so lautet der Titel der leitenden Angestellten. Buonocore, ein jovialer Herr mit grauem Schnurrbart, Mitglied in der Berliner Akademie der Wissenschaften, dirigiert an der Vatikan-Bibliothek die Abteilung Archive.

„Sicher, das bringt den Forschern Unannehmlichkeiten, aber viele andere Bibliotheken hier in Rom mussten für Renovierungsarbeiten schließen, die Hertziana ist seit fünf Jahren zu. Die Vaticana war 400 Jahre lang nicht geschlossen, und die nun angefallenen Arbeiten sind eben notwendig. Wir müssen versuchen, die Probleme der Statik in der Bibliothek zu lösen. Ich denke, die Sicherheit des Personals ist vorrangig.“

Buonocore verweist auch auf den Service, den die Bibliothek in ihrer Schließzeit für die Forscher aufrecht erhält: Auf Anfrage und gegen Bezahlung kann das Personal Mikrofilme, Fotografien und Fotokopien anfertigen. Ein Service, der nur bedingt hilft, wenden die Forscher ein. Stefan Heid, Priester und Professor am Päpstlichen Institut für Christliche Archäologie:

„Das sind Tausende von Akten, die man ja auch nicht einfach kopieren oder filmen lassen kann, zumal die Möglichkeit der Fotokopien nur relativ ist. Denn ich muss ja wissen, was ich fotokopieren lassen will, bevor ich den Auftrag geben kann, dh ich muss in jedem Fall die Akten eingesehen haben.“

Mit der kompletten Schließung wollen sich viele Forscher nicht so recht abfinden. Zumal andere Bibliotheken benutzerfreundlichere Wege gefunden haben, wenn sie renovieren.

„Wir haben einen Parallelfall in der Unibibliothek Freiburg, die wegen Neubau schließt, und dort sind alle Bestände verfügbar in provisorischen Lesesälen.“

Nun ist die Vaticana aber auch nicht irgendeine Universitätsbibliothek. Sie vereint 150.000 Handschriften – so viel wie keine andere Sammlung der Welt - , weiters 8.300 Inkunabeln, eineinhalb Millionen ältere und neuere Bücher sowie 300.000 Münzen und Medaillen. Stefan Heid:

„Sie können sagen, dass die Vatikanbibliothek eine der wichtigsten der Welt ist. Und so eine Totalschließung einer weltberühmten Bibliothek ist ein dramatisches Ereignis. Stellen Sie sich vor ich komme aus dem Rheinland, der Bürgermeister von Köln sagt, wir schließen jetzt den Kölner Hauptbahnhof komplett für drei Jahre, Reisen ist jetzt nicht möglich, da wäre natürlich eine Weltöffentlichkeit alarmiert. Ich kann aus meiner Erfahrung sagen, zu mir kommen verzweifelte und aufgelöste Studenten, die sagen, ja – es ist alles vorbei.“

Heid sieht so wie die übrigen Mitglieder der Forschungsgemeinde ein, dass die Renovierung durchgeführt werden muss. Aber eine typisch italienische Kompromisslösung wäre eben schön.

„Das betrifft nicht Tausende von Mensche, ich würde sagen, hier würden 30 Sitzplätze reichen, das wäre schon ein Segen, wenn das möglich gemacht würde.“

Was kann man tun, um diesem Anliegen Nachdruck zu verleihen? Die junge Historikerin Maria Teresa Börner:

„Für den kleinen Doktoranden wird’s sicher schwierig, aber Universitätsprofessoren, Institutsleiter könnten vielleicht was tun, ein offener Brief, auch ein geschlossener Brief, eine Unterschriftenliste… ich denke dass da was drin wäre. Auf jeden Fall muss man Position beziehen und sagen, dass das vielleicht doch größere Auswirkungen auf die Wissenschaft im Bereich Geschichte Kunstgeschichte Archäologie Theologie haben wird. Das sollte klar gesagt werden“.

„Rebellion im Vatikan führt nie zum Ergebnis“, ruft Stefan Heid in Erinnerung. Aber:

„Ich habe auf jeden Fall noch Hoffnung, denn es wurde einiges signalisiert, das mich hoffen lässt!“

Bis auf weiteres heißt es für die Forschenden freilich:

„Bibliothek Bibliothek Bibliothek von morgens bis abends.“

(rv 16.05.2007 gs)








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