Wegen Renovierungsarbeiten
schließt die Vatikanische Bibliothek im Juli für drei Jahre. Eine trockene Mitteilung,
die die Welt der Wissenschaft, in der es im allgemeinen eher still und gemessen zugeht,
in einige Aufruhr versetzte. Arrivierte Forscher müssen sich neue zu beackernde Themenfelder
suchen, junge Forscher mitunter sogar ihre Karriereplanung ändern, dann nämlich, wenn
sie ihre Projekte auf die Bestände der Vaticana ausgerichtet haben. Nun hoffen die
Wissenschaftler, dass vielleicht doch nicht ganz so heiß gegessen wie gekocht wird.
Gudrun Sailer hat nachgefragt.
Der Rezeptionist am Empfang der Vatikan-Bibliothek
ist sympathisch wie immer, aber er wirkt einen Grad gehetzer als sonst. Vor einer
Viertelstunde, um 8:45 Uhr, hat die altehrwürdige Biblioteca Apostolica Vaticana ihre
Pforten geöffnet, und ebenfalls gehetzt wirkende Benutzerinnen und Benutzer strömen
herein.
„Für mich als Doktorand schließt die Bibliothek nicht am 14. Juli
sondern am 13. Juno, also für mich ist jetzt die Zeit sehr knapp“, sagt die 29-jährige
deutsche Historikerin Maria Teresa Börner.
„Für mich war das ein Schlag,
mir fehlen die Worte, ich bin ziemlich enttäuscht, ich arbeite hier seit vier Jahren
und es hat nie Probleme gegeben, es war immer sehr angenehm, und jetzt auf einmal
krieg ich hier Ende April im Internet, wie ich die Homepage aufgerufen habe, schwirrt
mir ein Banner entgegen, die Bibliothek wird für drei Jahre schließen – das hat mich
schon sehr enttäuscht die Art und Weise wie man da umgeht.“
Auch für den
Archäologie-Professor Stefan Heid war es ein schwarzer Tag, an dem die Vatikan-Bibliothek
ihre lang hinausgeschobene Entscheidung bekannt gab.
„Ich habe vor einem
Jahr ein großes Projekt angefangen, das jetzt so nicht weiterführbar ist, weil es
mich gezwungenermaßen in die Vaticana führt.“
Allerdings: Die Renovierungsarbeiten
an der Vaticana sind nötig, betont der Bibliothekspräfekt, Bischof Raffaele Farina.
„Die Anordnung zur Schließung ist in den vergangenen drei, vier Jahren
gereift. Wir müssen zunächst die Fußböden des Raumes verstärken, in dem unsere Restaurierungswerkstätten
untergebracht sind. Dieser Raum ist nicht sehr groß, aber zentral: Er liegt über dem
Manuskript-Lesesaal. Gleichzeitig werden wir den gesamten rechten Flügel des Hofes
renovieren, wo unsere Zeitschriftenbestände lagern. Auch dort ist eine Verstärkung
des Fußbodens unerlässlich. Bei der Gelegenheit werden wir auch die Klimaanlage verbessern.
Und auch die numismatische Abteilung wird rundumerneuert. In anderen Worten: die Unannehmlichkeiten
für unser Publikum wären so groß, dass wir beschlossen haben, die Bibliothek für die
Dauer der Arbeiten komplett zu schließen.“
In den 20er-Jahren habe es an
der Vaticana einmal einen Unfall gegeben. Eine Decke sei eingestürzt und habe zwei
Angestellte erschlagen, erzählt uns Marco Buonocore, der seit 26 Jahren an der Bibliothek
wirkt. Er ist Scriptor latinus – so lautet der Titel der leitenden Angestellten. Buonocore,
ein jovialer Herr mit grauem Schnurrbart, Mitglied in der Berliner Akademie der Wissenschaften,
dirigiert an der Vatikan-Bibliothek die Abteilung Archive.
„Sicher, das
bringt den Forschern Unannehmlichkeiten, aber viele andere Bibliotheken hier in Rom
mussten für Renovierungsarbeiten schließen, die Hertziana ist seit fünf Jahren zu.
Die Vaticana war 400 Jahre lang nicht geschlossen, und die nun angefallenen Arbeiten
sind eben notwendig. Wir müssen versuchen, die Probleme der Statik in der Bibliothek
zu lösen. Ich denke, die Sicherheit des Personals ist vorrangig.“
Buonocore
verweist auch auf den Service, den die Bibliothek in ihrer Schließzeit für die Forscher
aufrecht erhält: Auf Anfrage und gegen Bezahlung kann das Personal Mikrofilme, Fotografien
und Fotokopien anfertigen. Ein Service, der nur bedingt hilft, wenden die Forscher
ein. Stefan Heid, Priester und Professor am Päpstlichen Institut für Christliche Archäologie:
„Das sind Tausende von Akten, die man ja auch nicht einfach kopieren oder
filmen lassen kann, zumal die Möglichkeit der Fotokopien nur relativ ist. Denn ich
muss ja wissen, was ich fotokopieren lassen will, bevor ich den Auftrag geben kann,
dh ich muss in jedem Fall die Akten eingesehen haben.“
Mit der kompletten
Schließung wollen sich viele Forscher nicht so recht abfinden. Zumal andere Bibliotheken
benutzerfreundlichere Wege gefunden haben, wenn sie renovieren.
„Wir haben
einen Parallelfall in der Unibibliothek Freiburg, die wegen Neubau schließt, und dort
sind alle Bestände verfügbar in provisorischen Lesesälen.“
Nun ist die
Vaticana aber auch nicht irgendeine Universitätsbibliothek. Sie vereint 150.000 Handschriften
– so viel wie keine andere Sammlung der Welt - , weiters 8.300 Inkunabeln, eineinhalb
Millionen ältere und neuere Bücher sowie 300.000 Münzen und Medaillen. Stefan Heid:
„Sie können sagen, dass die Vatikanbibliothek eine der wichtigsten der
Welt ist. Und so eine Totalschließung einer weltberühmten Bibliothek ist ein dramatisches
Ereignis. Stellen Sie sich vor ich komme aus dem Rheinland, der Bürgermeister von
Köln sagt, wir schließen jetzt den Kölner Hauptbahnhof komplett für drei Jahre, Reisen
ist jetzt nicht möglich, da wäre natürlich eine Weltöffentlichkeit alarmiert. Ich
kann aus meiner Erfahrung sagen, zu mir kommen verzweifelte und aufgelöste Studenten,
die sagen, ja – es ist alles vorbei.“
Heid sieht so wie die übrigen Mitglieder
der Forschungsgemeinde ein, dass die Renovierung durchgeführt werden muss. Aber eine
typisch italienische Kompromisslösung wäre eben schön.
„Das betrifft nicht
Tausende von Mensche, ich würde sagen, hier würden 30 Sitzplätze reichen, das wäre
schon ein Segen, wenn das möglich gemacht würde.“
Was kann man tun, um
diesem Anliegen Nachdruck zu verleihen? Die junge Historikerin Maria Teresa Börner:
„Für
den kleinen Doktoranden wird’s sicher schwierig, aber Universitätsprofessoren, Institutsleiter
könnten vielleicht was tun, ein offener Brief, auch ein geschlossener Brief, eine
Unterschriftenliste… ich denke dass da was drin wäre. Auf jeden Fall muss man Position
beziehen und sagen, dass das vielleicht doch größere Auswirkungen auf die Wissenschaft
im Bereich Geschichte Kunstgeschichte Archäologie Theologie haben wird. Das sollte
klar gesagt werden“.
„Rebellion im Vatikan führt nie zum Ergebnis“,
ruft Stefan Heid in Erinnerung. Aber:
„Ich habe auf jeden Fall noch Hoffnung,
denn es wurde einiges signalisiert, das mich hoffen lässt!“
Bis auf weiteres
heißt es für die Forschenden freilich:
„Bibliothek Bibliothek Bibliothek
von morgens bis abends.“