Die Brasilienreise
Papst Benedikts XVI. hat die Aufmerksamkeit auf die Situation der Kirche in Lateinamerika
gelenkt. Die Katholiken dort haben mit vielen Probleme zu kämpfen. Vor Ort ist unser
Korrespondent Pater Max Cappabianca OP – er ist dort vielen Christen – Bischöfen,
Laien, Katechisten und Priestern – begegnet und hat so sich einen eigenen Eindruck
von der Situation gemacht. Wir haben ihn kurz vor seiner Abreise aus Sao Paulo telefonisch
erreicht und ihn gefragt, was umgekehrt eigentlich die Kirche in den Europa – speziell
in den deutschsprachigen Ländern – von den Christen in Lateinamerika lernen kann. Die
Situation ist natürlich in jedem Land ganz anders und man darf nicht verallgemeinern.
Aber ich würde schon sagen, dass die „Option für die Armen“ in Lateinamerika wirklich
eine ganz zentrale Frage des Glaubens ist, die auch bei uns mehr Bedeutung haben sollte.
Hier ist natürlich der Gegensatz von Arm und Reich viel krasser – und das hat nichts
Romantisches an sich, sondern es geht zum Teil um Leben und Tod: Brasilien ist das
Land mit jährlich vielen, vielen Lepratoten! Nach den Erfahrungen hier empfinde ich
unsere Kirche zuhause als immer noch zu reich und deswegen zu träge – wir müssen aufpassen,
dass unser Herz nicht nur am Geld hängt. Es gibt Menschen, die unsere Millionen viel
dringender brauchen als wir! Ein Besuch hier reicht, um das zu sehen! Heißt
das schlicht mehr politischer und sozialer Einsatz? Papst Benedikt hat aber ja mehrmals
vor falsch verstandener Entwicklungshilfe gewarnt. Nicht als ideologischer Selbstzweck;
ich denke das ist nach den Worten des Papstes klar. Aber wir Christen dürfen soziale
Ungerechtigkeit auch bei uns im Land nicht ausblenden! Ich denke, wir haben bei uns
die Tendenz, den Glauben viel zu sehr zu spiritualisieren, brutal gesagt, weil’s den
meisten von uns zu gut geht! Wir müssen die Augen offen halten für das Leid der anderen
und auch unseren Stimme erheben, wenn’s sein muss, so wie es viele mutige Priester,
Bischöfe und Laien hier im Land tun! Die Menschen in Brasilien schienen via
Bildschirm gesehen sehr viel fröhlicher, beim Gottesdienst wirklich mit Leib und Seele
bei der Sache. Stimmt dieser Eindruck? Auf jeden Fall. Und mich hat in dieser
Beziehung auch Benedikt XVI. überrascht – es heißt ja immer, er sei mehr in der alten
liturgischen Tradition verwurzelt. Das stimmt einerseits – andererseits hat man gesehen,
dass er in Brasilien sich genauso wohl gefühlt hat wie bei einer lateinischen Liturgie
im Petersdom. Das zeigt: Immer dann, wenn Menschen eine Liturgie feiern, die ihrem
Wesen und ihrer Kultur entspricht und es letztlich wirklich um Gott geht, wird „richtig“
Gottesdienst gefeiert . Die Brasilianer feiern gern, und eigentlich tun wir das in
den deutschsprachigen Ländern mittlerweile doch auch. Ich denke, dass könnte man unseren
Gottesdienste mehr noch anmerken! Lateinamerika ist ein mehrheitlich katholisch
– und trotzdem gibt es auch dort Schwierigkeiten mit der Glaubensweitergabe. Ja
– wobei mir klar geworden ist, dass die Gründe dafür wirklich sehr vielfältig sind.
Ich habe ehrlich gesagt gedacht, dass die Idee mit den „Basisgemeinden“ eine Wunschidee
der siebziger und achtziger Jahre war. Tatsächlich haben mir aber alle bestätigt,
dass nur diese Basisgemeinden in der Lage sind, echte Orte des Glaubens zu bieten.
Und sie sind auch heute noch lebendig, sowohl in den Weiten des Amazonasgebiets, wie
auch in den Steinwüsten einer 20-Millionenmetropole wie Sao Paulo. Man kann das nicht
eins zu eins auf Deutschland oder die Schweiz übertragen: Aber die Grundfrage ist
dieselbe: Welche Formen finden wir, um dem Glauben eine Heimat zu bieten! Was
bleibt nach zehn Tagen in Sao Paolo und Aparecida besonders im Gedächtnis? Mich
haben die volksreligiösen Traditionen beeindruckt: 8 Millionen Pilger jährlich in
Aparecida, die Inbrunst der Menschen, die in den Kirchen beten, die Heiligen, die
wirklich das Leben der Menschen begleiten. Ich finde es ja auch interessant, wie der
Papst mit seinem scharfen Intellekt es schafft, auf eine ganz direkte Weise „fromm“
zu sein. Jedenfalls zeigt sein Vorbild, dass das kein Gegensatz sein muss und dass
wir kopflastigen Mitteleuropäer keinerlei Grund haben, uns da als etwas Besseres als
die Menschen hier vorzukommen. Vielleicht können wir da von den Latinos lernen, wieder
ganz einfach „fromm“ zu sein? (rv 14.05.2007 mc)