Palmsonntag: Papstpredigt, "Nachfolge ist innere Verwandlung"
Gegen Korruption, Verbrechen und Egoismus der heutigen Gesellschaft und für Wahrheit
und Liebe als „authentische Kriterien des Lebens“ hat Benedikt XVI. zu Beginn der
Karwoche plädiert. In seiner Predigt zum Palmsonntag erinnerte der Papst daran, dass
Leben und Leiden Jesu mit dem Leben eines jeden Einzelnen zu tun haben. Wir dokumentieren
hier die Predigt in der offiziellen deutschen Übersetzung: Lieber Brüder und Schwestern, In
der Palmsonntagsprozession schließen wir uns der Menge der Jünger an, die den
Herrn in festlicher Freude nach Jerusalem geleiten. Wie sie loben wir den Herrn mit
lauter Stimme für all die Wunder, die wir erlebt haben. Ja, auch wir haben die wunderbaren
Taten Christi gesehen und sehen sie: Wie er Menschen dazu bringt, auf ihr eigenes
bequemes Leben zu verzichten und sich ganz in den Dienst der Leidenden zu stellen;
wie er Menschen den Mut gibt, der Gewalt und der Lüge zu widerstehen und der Wahrheit
in der Welt Raum zu schaffen; wie er ganz im stillen Menschen bewegt, einander Gutes
zu tun, Versöhnung zu schaffen, wo Hass war; Friede zu schaffen, wo Feindschaft herrschte.
Die Prozession ist zuallererst ein freudiges Bekenntnis zu Jesus Christus, in
dem uns das Antlitz Gottes sichtbar geworden ist; durch den das Herz Gottes für uns
offen steht. Im Lukas-Evangelium ist der Anfang der Prozession zum Teil wörtlich nach
dem Krönungsritual gestaltet, mit dem – dem Buch der Könige zufolge – Salomon zum
Erben von Davids Königtum bestellt wurde (1 Kön 1, 33 – 35). So ist die Palmprozession
auch eine Christkönigsprozession: Wir bekennen uns zum Königtum Jesu Christi, bekennen
ihn als den Davidssohn, den wahren Salomon – den König des Friedens und der Gerechtigkeit.
Ihn als König anerkennen heißt: Ihn als den Wegweiser annehmen, dem wir trauen und
dem wir folgen. Es heißt: Sein Wort als gültigen Maßstab für unser Leben annehmen
Tag um Tag. Es bedeutet, in ihm die Autorität zu sehen, der wir uns beugen. Ihm beugen
wir uns, weil seine Autorität die Autorität der Wahrheit ist. Die Palmprozession
ist – wie damals bei den Jüngern – zunächst einfach Ausdruck der Freude darüber, dass
wir Jesus kennen dürfen; dass wir ihm Freunde sein dürfen; und dass er uns den Schlüssel
zum Leben geschenkt hat. Diese Freude, die am Anfang steht, ist aber auch Ausdruck
unseres Ja zu Jesus und unserer Bereitschaft, mit ihm zu gehen, wohin er uns führt.
Der Aufruf, mit dem die Liturgie heute begonnen hat, deutet deswegen die Prozession
auch als symbolische Darstellung dessen, was wir Nachfolge Christi nennen: „Bitten
wir um die Gnade, ihm zu folgen“, heißt es da. Das Wort Nachfolge Christi ist eine
Beschreibung des Ganzen der christlichen Existenz überhaupt. Worin besteht sie? Was
heißt das praktisch „Christus nachfolgen“? Am Anfang, bei den ersten Jüngern Jesu,
hatte das Wort einen ganz einfachen Sinn. Es besagte, dass diese Menschen sich entschlossen,
ihren Beruf, ihr Geschäft, ihr bisheriges Leben hinter sich zu lassen und stattdessen
mit Jesus zu gehen. Es bedeutete einen neuen Beruf: den des Jüngers. Der grundlegende
Inhalt dieses Berufs ist das Mitgehen mit dem Meister, das vollständige Sich-Anvertrauen
an seine Führung. Nachfolge ist so etwas Äußerliches und zugleich etwas ganz Innerliches
gewesen. Etwas Äußerliches: das Nachgehen hinter Jesus auf seinen Wanderungen durch
Palästina; etwas Innerliches: die neue Orientierung der Existenz, die nicht mehr im
Geschäft, im Broterwerb, im eigenen Wollen ihre Leitpunkte hat, sondern weggegeben
ist an den Willen eines anderen. Ihm zur Verfügung stehen ist nun Lebensinhalt geworden.
Wie viel Verzicht auf das Eigene, welche Wendung von sich selbst das für die Jünger
einschloss, können wir aus einzelnen Szenen der Evangelien recht deutlich erkennen. So
wird aber auch schon sichtbar, was Nachfolge für uns bedeutet und was für uns ihr
eigentliches Wesen ist: Es geht um eine innere Verwandlung der Existenz. Es geht darum,
dass ich nicht mehr in mein Ich eingeschlossen bin und meine Selbstverwirklichung
als meinen hauptsächlichen Lebensinhalt annehme. Es geht darum, dass ich mich frei
gebe an einen anderen hin – für die Wahrheit, für die Liebe, für Gott, der mir in
Jesus Christus vorausgeht und den Weg zeigt. Es geht um die Grundentscheidung, nicht
Nutzen und Erwerb, Karriere und Erfolg als letztes Ziel meines Lebens anzusehen, sondern
Wahrheit und Liebe als die eigentlichen Maßstäbe anzuerkennen. Es geht um die Wahl,
nur für mich selber zu leben oder mich wegzugeben – an das Größere hin. Und bedenken
wir dabei, dass Wahrheit und Liebe nicht abstrakte Größen sind, sondern in Jesus Christus
sind sie Person. Wenn ich ihm folge, dann trete ich in den Dienst der Wahrheit und
der Liebe. Mich verlierend finde ich mich. Kehren wir zur Liturgie der Palmprozession
zurück. Als Prozessionslied wird der Psalm 23 gesungen, der auch in Israel ein Prozessionslied
beim Aufstieg auf den Tempelberg gewesen ist. Der Psalm interpretiert dabei den inneren
Aufstieg, dessen Bild das äußere Hinaufsteigen sein soll, und legt uns damit noch
einmal aus, was Aufsteigen mit Christus bedeutet. „Wer darf aufsteigen zum Berg des
Herrn“, fragt der Psalm. Und er nennt zwei wesentliche Bedingungen. Die Aufsteigenden,
die wirklich nach oben, in die wahre Höhe kommen wollen, müssen Menschen sein, die
nach Gott fragen. Die Ausschau halten nach Gott. Die sein Angesicht suchen. Liebe
junge Freunde – wie wichtig ist das heute: sich nicht einfach im Leben dahintreiben
lassen; nicht mit dem zufrieden sein, was alle denken und sagen und tun. Ausschau
halten nach Gott. Die Frage nach Gott nicht versickern lassen in unseren Seelen. Das
Verlangen nach dem Größeren. Das Verlangen, ihn zu kennen – sein Gesicht… Der
andere sehr praktische Inhalt des Aufsteigens lautet: Am heiligen Ort darf stehen,
wer reine Hände hat und ein lauteres Herz. Reine Hände – das sind Hände, die nicht
zur Gewalttätigkeit gebraucht werden. Es sind Hände, die nicht mit Korruption, mit
Bestechungsgeldern verschmutzt sind. Ein lauteres Herz – wann ist das Herz lauter?
Ein Herz ist lauter, das sich nicht mit Lüge und Heuchelei verstellt und befleckt.
Das durchsichtig bleibt wie Quellwasser, weil es kein Doppelspiel kennt. Ein Herz
ist rein, das sich nicht mit dem Rausch des Vergnügens verfremdet; ein Herz, dessen
Liebe wahr ist und nicht bloß Verlangen des Augenblicks. Reine Hände und ein lauteres
Herz: Wenn wir mit Jesus gehen, steigen wir auf und finden zu den Reinigungen, die
uns wirklich in die Höhe bringen, die dem Menschen zugedacht ist: die Freundschaft
mit Gott selbst. Der Aufstiegspsalm 23 endet mit einer Torliturgie am Eingang des
Tempels: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit.“
In der früheren Liturgie des Psalmsonntags pochte beim Ankommen am Kirchengebäude
der Priester mit dem Vortragekreuz mächtig an die verschlossene Kirchentür, die sich
auf das Pochen des Kreuzes hin auftat. Das war ein schönes Bild für das Geheimnis
Jesu Christi selbst, der mit dem Stab seines Kreuzes, mit der Kraft seiner sich verschenkenden
Liebe von der Welt her an das Tor Gottes klopfte; von einer Welt her, die den Zugang
zu Gott nicht finden konnte. Mit dem Kreuz hat Jesus die Tür Gottes, die Tür zwischen
Gott und Mensch aufgestoßen. Sie steht offen. Aber der Herr klopft mit seinem Kreuz
auch umgekehrt an die Türen dieser Welt, an die Türen unserer Herzen, die so oft und
so weithin für Gott verschlossen sind. Und er sagt uns gleichsam: Wenn schon die Gottesbeweise
der Schöpfung dich nicht für Gott auftun können; wenn schon das Wort der Schrift und
die Botschaft der Kirche dich unberührt lassen – sieh doch mich an, den Gott, der
für dich zu einem Leidenden geworden ist, der selber mitleidet – sieh, dass ich leide
um dich, und tu dich auf für mich, deinen Herrn und deinen Gott. Diesen Anruf
lassen wir in dieser Stunde in unser Herz dringen. Möge der Herr uns helfen, die Tür
unseres Herzens, die Tür der Welt aufzutun, damit er, der lebendige Gott, in seinem
Sohn ankommen kann in dieser unserer Zeit, in unserem Leben. Amen. (rv)