Die Augen zu öffnen
und mit dem Herzen zu sehen – das ist laut Papst Benedikt XVI. der tiefere Sinn des
Kreuzwegs, mit dem Christen das Leiden und Sterben Jesu nachvollziehen. Gestern Abend
betete der Papst den traditionellen Kreuzweg am römischen Kolosseum.
Zehntausende
Menschen hatten sich mit brennenden Kerzen an dem antiken Amphitheater eingefunden,
das als zeitlose Metapher blutigen Leidens gilt. Jugendliche aus China, Ecuador oder
dem Kongo halfen dem Papst symbolisch, das Kreuz zu tragen. Benedikt übernahm es an
der ersten und der letzten Station. Die Meditationen stammten in diesem Jahr aus der
Feder des italienischen Bibelwissenschaftlers Gianfranco Ravasi. Jesus rufe allen
Menschen die Pflicht in Erinnerung, von der Wahrheit Zeugnis zu geben, hieß es in
seiner Betrachtung zur dritten Station:
„Dieses Zeugnis muss auch dann
zum Ausdruck gebracht werden, wenn die Versuchung stark ist, sich zu verbergen, sich
im Strom der vorherrschenden Meinung treiben zu lassen. Eine junge jüdische Frau,
die in einem Konzentrationslager sterben musste, sagte: „Jedem weiteren Verbrechen,
jeder weiteren Grausamkeit müssen wir ein weiteres Stück Liebe und Güte gegenüberstellen,
das wir in uns selbst erobern müssen. Wir dürfen zwar leiden, aber wir dürfen nicht
daran zerbrechen“.
Sie kamen zur Schädelhöhe; dort kreuzigten sie ihn,
hieß es in der zehnten Station. „Unter jenem sterbenden Leib geht die Menge
vorüber, die ein makabres Schauspiel „sehen“ will. Es ist das Abbild der Oberflächlichkeit,
der banalen Neugier, der Suche nach starken Empfindungen, ein Bild, in dem man auch
eine Gesellschaft wie die unsrige wiederkennen kann, in der Provokation und Ausschweifung
fast als Droge dienen, um eine bereits abgestumpfte Seele, ein gefühlloses Herz, einen
getrübten Verstand anzuregen.“ Christsein heißt indessen, für das Leid der
anderen empfindlich zu sein, erinnerte Papst Benedikt in seiner kurzen abschließenden
Betrachtung am Ende des Kreuzwegs.
„Unser Gott ist kein ferner Gott, unnahbar
in seiner Glücksseligkeit. Unser Gott hat ein Herz aus Fleisch, er ist Fleisch geworden,
um mit-leiden zu können, um uns in unserem Schmerz zur Seite zustehen. Bitten wir
den Herrn, dass er uns ein Herz aus Fleisch gibt und uns zu Botschaftern seiner Liebe
nicht nur mit Worten macht, sondern mit unserem ganzen Leben.“ (07.04.2007
gs)