Karfreitag: Cantalamessa über die Frauen beim Kreuz
Der Hausprediger des Papstes, Raniero Cantalamessa, hat am Karfreitag im Petersdom
gepredigt. Der Kapuzinerpater betrachtete während der Liturgie vom Leiden und Sterben
Jesu die Frauen, die unter dem Kreuz ausgeharrt hatten, und bekräftigte, dass sie
nicht nur zu bewundern und zu ehren, sondern vor allem auch nachzuahmen seien.
Wir
dokumentieren hier die Predigt in einer Übersetzung von ZENIT:
Bei dem Kreuz
Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas,
und Maria von Magdala“ (Joh 19,25). Für dieses eine Mal lassen wir Maria, seine Mutter,
beiseite. Ihre Gegenwart auf dem Kalvarienberg bedarf keiner Erklärungen. Sie war
„seine Mutter“, und das allein erklärt alles: Die Mütter verlassen ihn Sohn nicht
einmal dann, wenn er zum Tode verurteilt worden ist. Warum aber waren die anderen
Frauen dort? Wer waren sie, und wie viele waren es?
Die Evangelien berichten
die Namen einiger von ihnen: Maria Magdalena; Maria, die Mutter des Jakobus des Jüngeren
von Koses; Salome, die Mutter der Söhne des Zebedäus; eine gewisse Johanna sowie eine
gewissen Susanna (vgl. Lk 8,3). Diese Frauen waren zusammen mit Jesus aus Galiläa
gekommen und waren ihm dann weinend auf seiner Reise zum Kalvarienberg gefolgt (vgl.
Lk 23,27-28); jetzt, auf Golgotha, beobachteten sie „aus der Ferne“ (das heißt, aus
der geringsten, ihnen erlaubten Distanz); und von dort werden sie ihn bald traurig
zusammen mit Josef von Arimathäa zum Grab begleiten (Lk 23,55).
Diese
Tatsache ist zu gesichert und zu außerordentlich, als dass man darüber schnell hinweggehen
könnte. Wir nennen sie mit einer gewissen männlichen Herablassung „die frommen Frauen“.
Sie sind aber viel mehr als „fromme Frauen“, ja sie sind ebenso „Mütter Courage“!
Sie sind ein großes Risiko eingegangen; es bestand darin, dass sie so offen ihre Sympathie
für einen zum Tode Verurteilten bekundeten. Jesus hatte gesagt „Selig ist, wer an
mir keinen Anstoß nimmt“ (Lk 7,23). Diese Frauen sind die einzigen, die an ihm keinen
Anstoß nehmen.
Seit einiger Zeit wird lebhaft darüber diskutiert, wer
es war, der den Tod Jesu wollte: die jüdischen Anführer oder Pilatus. Eines ist auf
jeden Fall gewiss: Es waren Männer und keine Frauen. Keine Frau hat mit dem Tod Jesu
zu tun gehabt, nicht einmal indirekt. Selbst die einzige heidnische Frau, die in den
Erzählungen erwähnt wird, die Frau des Pilatus, setzte sich von seiner Verurteilung
ab (vgl. Mt 27,19). Sicher, Jesus starb auch für die Sünden der Frauen, aber unter
einem historischen Gesichtspunkt können sie nur sagen: „Ich bin unschuldig am Blut
dieses Menschen“ (Mt 27,24).
Das ist eines des sichersten Zeichen für
die Aufrichtigkeit und die historische Glaubwürdigkeit der Evangelien: die armselige
Figur, die in ihnen die Autoren der Evangelien und diejenigen machen, die sie inspiriert
haben; und die wunderbare Figur, die in ihnen einigen Frauen zuteil wird. Wer hätte
es zugelassen, dass die schmachvolle Geschichte der eigenen Angst, der Flucht, der
Verleugnung zur ewigen Erinnerung aufbewahrt wird, was durch die so ganz andere Verhaltensweise
einiger Frauen ja noch zusätzliches Gewicht erhält?! Wer hätte es erlaubt, wäre er
nicht von dem Wunsch nach der getreuen Wiedergabe einer Geschichte, die unendlich
größer erschien als die eigene Armseligkeit, dazu veranlasst worden? ****
Man
hat sich immer gefragt, warum es denn die „frommen Frauen“ seien, die den Auferstandenen
als erste sehen und denen der Auftrag gegeben wird, es den Aposteln zu melden. Das
war die sicherste Weise, um die Auferstehung wenig glaubwürdig zu machen. Das Zeugnis
einer Frau hatte nicht das geringste Gewicht. Vielleicht ist deshalb keine Frau im
vom heiligen Paulus verfassten Verzeichnis derjenigen genannt, die den Auferstandenen
gesehen haben (vgl. 1 Kor 15,5-8). Die Apostel selbst fassten die Worte der Frauen
in einem ersten Moment als ein typisch weibliches „Geschwätz“ auf und glaubten ihnen
nicht (vgl. Lk 24,11).
Die alten Schriftsteller meinten, die Antwort auf
diese Frage zu kennen. Romanus der Melode sagt, dass die Frauen die ersten sind, die
den Auferstandenen sehen, weil eine Frau, Eva, die erste war, die gesündigt hatte!
[1] Die echte Antwort aber ist eine andere: Die Frauen waren die ersten, die den Auferstandenen
sahen, weil sie die letzten waren, die ihn, als er schon tot war, verlassen haben
und auch nach seinem Tode kamen, um Salböle zu seinem Grab zu bringen (vgl. Mk 16,1).
Wir müssen uns nach dem Warum dieser Tatsache fragen. Warum haben die
Frauen dem Skandal des Kreuzes widerstanden? Warum sind sie bei ihm geblieben, als
alles zu Ende zu sein schien und auch seine nächsten Jünger ihn verlassen hatten und
heimlich ihre Rückkehr nach Hause organisierten?
Die Antwort hat uns Jesus
im Vorhinein gegeben, als er Simon antwortete und von der Sünderin, die ihm die Füße
gewaschen und geküsst hatte, sagte: „Sie hat so viel Liebe gezeigt!“ (Lk 7,47).
Die
Frauen waren Jesus um seinetwillen gefolgt, aus Dankbarkeit für das Gute, das sie
von ihm empfangen hatten, nicht aus der Hoffnung heraus, einen Vorteil zu erlangen
oder in seinem Gefolge Karriere zu machen. Ihnen wurden keine „zwölf Throne“ verheißen,
und sie hatten auch nicht darum gebeten, in seinem Reich zu seiner Rechten und zu
seiner Linken zu sitzen. Sie folgten ihm, so steht geschrieben, „um ihm zu dienen“
(Lk 8,3; Mt 27,55); nach Maria, der Mutter, waren sie die einzigen, die den Geist
des Evangeliums in sich aufgenommen hatten. Sie waren den „Gründen des Herzens“ gefolgt
und diese hatten sie nicht getäuscht. ****
Darin enthält ihre Gegenwart
neben dem Gekreuzigten und dem Auferstandenen eine lebendige Lehre für uns heute.
Unsere von der Technik beherrschte Zivilisation bedarf eines Herzens, damit der Mensch
in ihr überleben kann, ohne sich gänzlich zu entmenschlichen. Wir müssen den „Gründen
des Herzens“ mehr Raum geben, wenn wir vermeiden wollen, dass die Menschheit in eine
Eiszeit zurückfällt.
In diesem Sinn nützt uns – im Gegensatz zu vielen
anderen Bereichen – die Technik wenig. Seit langem wird an einem Computer gearbeitet,
der „denkt“, und viele sind davon überzeugt, dass es dazu kommen wird. Aber – zum
Glück! – hat noch niemand die Möglichkeit eines Computers in Aussicht gestellt, der
„liebt“, der gerührt ist, der dem Menschen auf der Gefühlsebene entgegenkommt, indem
er ihm die Liebe so leicht macht, wie er die Berechnung der Distanzen zwischen den
Gestirnen, der Bewegung der Atome, der Speicherung von Daten erleichtert…
Mit
der Potenzierung der Intelligenz und der Erkenntnismöglichkeiten des Menschen hält
die Potenzierung seiner Liebesfähigkeit nicht Schritt. Letztere scheint im Gegenteil
nichts zu zählen, während wir sehr wohl wissen, dass das Glück oder das Unglück auf
Erden nicht so sehr davon abhängt, ob man erkennt oder nicht erkennt, sondern vielmehr
davon, ob man liebt oder nicht liebt, ob man geliebt wird oder nicht. Es ist nicht
schwer zu verstehen, warum wir so sehr darauf bedacht sind, unseren Wissensschatz
anwachsen zu lassen, und so wenig darauf, unsere Liebesfähigkeit wachsen zu lassen:
Die Erkenntnis wird automatisch zu Macht, die Liebe zum Dienst.
Einer
der modernen Götzendienste besteht in der Vergötterung des IQ, des Intelligenzquotienten.
Zahlreiche Messmethoden sind entwickelt worden, auch wenn sie sich bisher zum größten
Teil als unverlässlich erwiesen haben. Wer kümmert sich darum, auch dem „Quotienten
des Herzens“ Rechnung zu tragen? Nur die Liebe erlöst und rettet, während die Wissenschaft
und der Durst nach Erkenntnis alleine Faust und seine Nachahmer zur Verdammung führen
können. Das ist das Fazit von Goethes Faust, und es ist auch der vom Regisseur lancierte
Schrei, der symbolisch die wertvollen Werke einer ganzen Bibliothek auf dem Boden
annagelt und dem Protagonisten sagen lässt, dass „alle Bücher der Welt eine Liebkosung
nicht aufwiegen“. [2] Noch vor ihnen allen hatte der heilige Paulus geschrieben: „Die
Erkenntnis macht aufgeblasen, die Liebe dagegen baut auf“ (1 Kor 8,1).
Nach
so vielen Zeitaltern, die ihre Namen vom Mann bekommen haben – homo erectus, homo
faber, bis hin zum homo sapiens-sapiens –, ist es zu wünschen, dass sich für die Menschheit
endlich ein Zeitalter der Frau eröffnet: ein Zeitalter des Herzens, des Mitleids,
des Friedens; und dass diese Erde aufhört, „das Beet zu sein, das uns so wild macht“
[3]. ****
Von überall her kommt das Bedürfnis zum Vorschein, der
Frau in der Gesellschaft und in den Religionen mehr Raum zu geben. Wir glauben nicht,
dass „das ewig Weibliche uns retten wird“ [4]. Die alltägliche Erfahrung zeigt uns,
dass die Frau uns „nach oben bringen kann“, dass sie uns aber auch in die Tiefe fallen
lassen kann. Auch sie bedarf der Rettung durch Christus. Es ist aber gewiss, dass
die Frau, wenn sie einmal von Christus erlöst und auf einer menschlichen Ebene von
alten Diskriminierungen „befreit“ ist, einen Beitrag zur Rettung unserer Gesellschaft
vor einigen großen Übeln leisten kann, die sie bedrohen: Grausamkeit, Wille zur Macht,
geistliche Leere, Verachtung des Lebens…
Man muss es nur vermeiden, den
antiken gnostischen Irrtum zu wiederholen, nach dem die Frau, um sich zu retten, aufhören
muss, Frau zu sein, und sich in einen Mann verwandeln muss [5]. Das Vorurteil ist
so tief in unserer Gesellschaft verwurzelt, dass sogar die Frauen ihm schließlich
erlegen sind. Um ihre Würde zu behaupten, haben sie manchmal geglaubt, dass es notwendig
wäre, den Unterschied zwischen den Geschlechtern zu minimieren oder zu verleugnen,
indem sie ihn auf ein kulturelles Produkt reduziert haben. „Als Frau wird man nicht
geboren, Frau wird man“, wie eine ihrer berühmten Vertreterinnen sagte [6].
Wie
dankbar müssen wir doch den „frommen Frauen“ sein! Entlang der Reise zum Kalvarienberg
war ihr Schluchzen der einzige freundschaftliche Laut, der an die Ohren des Heilands
drang. Und während er am Kreuz hing, waren ihre „Blicke“ die einzigen, die sich mit
Liebe und Mitleid auf ihn richteten.
Die byzantinische Liturgie ehrte
die frommen Frauen, indem sie ihnen einen Sonntag des liturgischen Jahres widmete,
den zweiten nach Ostern, der „Sonntag der Myrrhophores“ heißt: der Sonntag derer,
die die Salböle bringen. Jesus hat Gefallen daran, dass die Frauen, die ihn geliebt
und an ihn geglaubt haben, als er am Leben war, in der Kirche geehrt werden. Über
eine von ihnen – die Frau, die eine Vase mit duftenden Ölen auf sein Haupt ausgoss
– machte er die außerordentliche Prophezeiung, die sich dann über die Jahrhunderte
hinweg bewahrheitet hat: „Überall auf der Welt, wo dieses Evangelium verkündet wird,
wird man sich an sie erinnern und erzählen, was sie getan hat“ (Mt 26,13). ****
Die
frommen Frauen sind jedoch nicht nur zu bewundern und zu ehren, sie sind auch nachzuahmen.
Der heilige Leo der Große sagt, dass „sich das Leiden Christi bis zum Ende der Zeiten
hinstreckt“ [7], und Pascal hat geschrieben, dass „Christus bis zum Ende der Welt
in Agonie liegt“ [8].
Die Passion verlängert sich in den Gliedern des
Leibes Christi. Erben der „frommen Frauen“ sind die vielen Frauen – Ordensfrauen und
Laien –, die heute an der Seite der Armen, der Aids-Kranken, der Gefangenen und all
derer stehen, die auf die ein oder andere Weise von der Gesellschaft ausgestoßen sind.
Ihnen – seien es nun Gläubige oder Ungläubige – wiederholt Christus: „Ihr habt es
für mich getan“ (vgl. Mt 25,40).
Nicht nur wegen der Rolle, die sie während
der Passion spielten, sondern auch wegen jener bei der Auferstehung sind die frommen
Frauen ein Vorbild für die Frauen von heute. In der Bibel findet man überall ein „Geh!“
oder ein „Geht!“, also Sendungen durch Gott. Es ist dies das Wort, das Gott an Moses
richtet („Geh, Moses, in das Land Ägypten“), an die Propheten, an die Apostel: „Geht
hinaus in alle Welt, und predigt das Evangelium allen Geschöpfen.“
All
diese „Geht!“ sind an Männer gerichtet. Es gibt nur ein einziges „Geht!“, das an Frauen
gerichtet ist: jener Aufruf, der an diejenigen ergeht, die am Ostermorgen das Salböl
bringen: „Geht, und sagt meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa gehen, und dort werden
sie mich sehen“ (Mt 28,10). Mit diesen Worten machte er sie zu den ersten Zeugen der
Auferstehung, „Meisterinnen der Meister“, wie sie ein antiker Autor nennt [9].
Es
ist sehr schade, dass es dazu gekommen ist, dass Maria Magdalena aufgrund der falschen
Gleichsetzung mit der Sünderin, die Jesus die Füße wäscht (vgl. Lk 7,37), nicht enden
wollende antike und moderne Legenden genährt hat und in Kult und Kunst fast ausschließlich
als „Büßerin“ eingegangen ist anstatt als erste Zeugin der Auferstehung, „apostola
apostolorum“, wie sie der heilige Thomas von Aquin nennt [10]. ****
„Sogleich
verließen sie das Grab und eilten voll Furcht und großer Freude zu seinen Jüngern,
um ihnen die Botschaft zu verkünden“ (Mt 28,8).Christliche Frauen, fährt damit fort,
den Nachfolgern der Apostel und uns Priestern, ihren Mitarbeitern, die frohe Botschaft
zu bringen: „Der Meister lebt! Er ist auferstanden! Er geht euch nach Galiläa voran,
das heißt überall dorthin, wohin ihr geht!“ Singt weiter das alte Lied, das die Liturgie
der Maria Magdalena in den Mund legt: Mors et vita duello conflixere mirando: dux
vitae mortuus regnat vivus - „Leben und Tod sind einander in einem wunderbaren
Duell entgegengetreten: Der Herr des Lebens war tot, jetzt aber lebt und herrscht
er.“ Das Leben hat in Christus über den Tod triumphiert, und so wird es eines Tages
auch in uns sein. Zusammen mit allen Frauen guten Willens seid Ihr die Hoffnung für
eine menschlichere Welt.
Der ersten unter den „frommen Frauen“ und deren unvergleichbares
Vorbild, der Mutter Jesu, wiederholen wir mit einem alten Gebet der Kirche: „Heilige
Maria, hilf den Armseligen, stütze die Kleinmütigen, stärke die Schwachen. Bitte für
das Volk, trete für den Klerus ein, lege Fürsprache ein für das fromme weibliche Geschlecht“:
Ora pro populo, interveni pro clero, intercede pro devoto femineo sexu [11].
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[1] Romanus der Melode, Hymnen, 45, 6 (G. Gharib (Hg.), Edizioni
Paoline 1981, S. 406) [2] Im Film „Cento chiodi“ von Ermanno Olmi. [3] Dante
Alighieri, Paradies, 22, v.151. [4] W. Goethe, Faust, Schluss Teil II. [5]
Vgl. Koptisches Thomasevangelium114; Auszüge aus Theodotus, 21,3. [6] Simone de
Beauvoir, Le Deuxième Sexe (1949). [7] Leo der Große , Sermo 70, 5 (PL 54, 383).
[8] B. Pascal, Penseés, Nr. 553 Br. [9] Gregorius von Antiochia, Predigt über
die Myrrhophores, 11 (PG 88, 1864 B). [10] Thomas von Aquin, Kommentar zum Johannesevangelium,
XX, 2519. [11] Antiphon zum Magnificat ZENIT-Übersetzung des
italienischen vom Autor zur Verfügung gestellten Originals