Die „Theologie der
Befreiung“ – letzte Woche haben wir mit dem Vordenker Gustavo Gutierrez gesprochen,
diese Woche haben wir seinen Freund, den Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller
um eine abschließende Einschätzung des Falls Jon Sobrinos gebeten. Gudrun Sailer hat
sich mit Bischof Müller unterhalten:
Was sagen Sie denn jetzt zu der Warnung
des Vatikans vor Teilen des Werkes von Pater Sobrino?
Diese Warnung bezieht
sich nicht auf die eigentlich befreiungstheologischen Ansätze – gerade in diesem Schreiben
der Notifikation wird ausdrücklich gesagt, dass die vorrangige „Option für die Armen“
ein ganz wesentliches, theologisches Thema ist und auch einen bedeutenden Ansatz darstellen
kann, besonders unter den Voraussetzungen in Südamerika oder Afrika. Es geht in
diesen Beiden Büchern – „Christus der Befreier“ und „Der Glaube an Jesus Christus“,
um bestimmte Fragen des theologischen Ansatzes und um ganz spezielle Fragen der Christologie.
Bei dem Ansatz handelt es sich um die Frage, von woher der Ausgangspunkt der Theologie
gewonnen wird. Das ist für die katholische Theologie die Offenbarung. Die zweite Frage
bezieht sich auf das explizite Bekenntnis zur Gottheit Jesu Christi. Sicher ist bei
Sobrino der Ansatz, oder das Bestreben, Jesus in seiner ganzen Menschlichkeit darzustellen
und so versucht er die Nähe zu den Armen und Leidenden herauszustellen. Aber dabei
darf nicht die Gottheit Jesu Christi vergessen werden.
Haben Sie sich, Bischof
Müller, eigentlich jemals darüber gewundert, dass so eine Notifikation, ein Schreiben
der römischen Glaubenskongregation, für Sobrino nicht längst eingetroffen ist?
Ja,
ich habe diese beiden Bücher natürlich schon seit längerer Zeit zur Kenntnis genommen
und hab doch auch ähnliche Vorbehalte, gerade bezüglich dieser beiden Punkte geäußert.
Aber das zeigt eben auch, dass die Glaubenskongregation keine Schnellschüsse macht,
sondern das Werk genau studiert und studieren lässt, von vielen kompetenten Theologen.
Wird
denn auf der Celam-Generalversammlung von Aparecida der ganze Streit von vor zwanzig
Jahren über die Befreiungstheologie von vorne losgehen? Wie schätzen Sie das ein?
Ich
hoffe eigentlich nicht, weil dazu kein Anlass vorliegt. Man muss nur bedenken, was
Johannes Paul II. bei seinen Reisen nach Südamerika immer wieder betont hat: Dass
wir als Kirche nicht einfach auf der Seite der Mächtigen und Reichen stehen können,
sondern dass die Kirche der ursprüngliche Anwalt ist, auch der Armen und Zurückgesetzen
und dass das auch in der ursprünglichen Intention der Botschaft Jesu liegt. Ich meine,
dass das zweite vatikanische Konzil, die Kirchen der Welt von heute, genau diese beiden
Aspekte sehr gut zusammengebracht hat: Die Kirche geht vom konkreten Menschen aus
– Freude und Hoffnung, Trauer, Not, Leid – alles das macht sich die Kirche zu eigen.
Aber sie sagt zugleich, dass in Jesus Christus, dem Sohn Gottes, der unser Menschsein
angenommen hat, Gott selbst eine konkrete Antwort gegeben hat, dass der konkrete Mensch
im Mittelpunkt des Heilswirkens Gottes steht. Wir als Kirche und als einzelne Christen
sind dazu aufgerufen, somit am Reich Gottes in dieser und in jener Welt mit zu arbeiten.
Besteht nicht die Gefahr, dass der Vatikan, wenn er nun die Auswüchse in der
Befreiungstheologie rügt, dass er damit den ganzen Einsatz für die Armen in Lateinamerika
und sonst wo gleichzeitig mitbeschädigt?
Es muss natürlich möglich sein, sowohl
das Gute als auch das weniger Gute zu benennen – „Prüfet alles, das Gute behaltet“!
Denn was wäre letztlich gewonnen, wenn Jesus nur ein Mensch wäre, dadurch wäre er
nicht der Erlöser und dadurch würde die Welt vielleicht ein bisschen besser werden
– aber es soll ja darum gehen, dass die Menschen voll und ganz das Heil Gottes erfahren
dürfen.