Eigentlich: Befreiungstheologien, im Plural. Sehr vielfältiges Phänomen, das es auf
allen Kontinenten gab und gibt; es hat nach Ansicht des Papstes in Lateinamerika die
Ärmsten der Armen nie wirklich erreicht. Als Leiter der vatikanischen Glaubenskongregation
ist Kardinal Ratzinger in den achtziger Jahren dagegen vorgegangen, dass einzelne
Befreiungstheologen in Lateinamerika sich aus seiner Sicht zu sehr dem Marxismus annäherten,
was zu einer attraktiven, aber explosiven „Umdeutung des Christlichen“ führte. Allgemein
stört ihn an der Befreiungstheologie, dass diese „doch sehr intellektuelle Versprechung...
einen Verlust an Trost und Wärme der Religion“ gebracht habe. Die Armen hätten sich
weniger für eine „politisierte religiöse Gemeinschaft“ und mehr für eine „in ihr Leben
hineinreichende Religion“ interessiert, und darum hätten sich viele von ihnen nach
dem Scheitern der Befreiungstheologie in Lateinamerika dann in die Arme von Sekten
geworfen.
Im Kern kritisiert der jetzige Papst am Denken eines marxistisch
orientierten Teils der Befreiungstheologie, dass er das christliche Wort Erlösung
politisch versteht. „Der Mensch ist nicht Gott und die Geschichte ist es nicht“; Politik
könne nicht erlösen, „und wenn sie diesen Anspruch erhebt, wird sie zur Sklaverei“.
Die richtige Antwort auf die durchaus legitimen und wichtigen Fragen der Befreiungstheologie
sind für den Papst mehr „Bekehrung in der Kirche“ und auch eine größere „Radikalität
des Glaubens“.
Eine Instruktion der vatikanischen Glaubenskongregation unter
Leitung von Kardinal Ratzinger zum Thema Befreiungstheologie wies 1984 schon im ersten
Satz darauf hin, dass das Evangelium durchaus „eine Botschaft der Freiheit und eine
Kraft der Befreiung“ ist. Diese Befreiung bedeutet allerdings in erster Linie „eine
Befreiung von der radikalen Knechtschaft der Sünde“, und das vergessen „angesichts
der Dringlichkeit der Probleme … manche, (die) … den Akzent einseitig auf die Befreiung
von der Versklavung auf irdischem und weltlichem Gebiet … setzen“. Andere bedienen
sich wiederum „eines geistigen Instrumentariums, das nur sehr schwer, vielleicht überhaupt
nicht, von ideologischen Vorstellungen“ – gemeint sind marxistische – „gereinigt werden
kann“. „Zuerst das Brot, später das Wort“ – diese Haltung sei „ein tödlicher Irrtum“,
und erst recht sei der „Kampf für Gerechtigkeit und menschliche Freiheit“ aus christlicher
Sicht nicht schon „das Wesentliche und das Ganze des Heils“.
Die von Ratzinger
unterschriebene Instruktion legt aber Wert darauf, dass sie „in keiner Weise“ jene
engagierten Christen verurteilen wolle, „die hochherzig und im authentischen Geist
des Evangeliums auf die vorrangige Option für die Armen antworten wollen“ – eine Option,
die Bischöfe aus ganz Lateinamerika auf einer gemeinsamen Konferenz feierlich ausgesprochen
haben. Es gebe „zahlreiche Priester, Ordensleute und Laien, die sich in wahrhaft evangelischem
Geist der Bildung einer gerechten Gesellschaft widmen“, und durchaus auch eine „authentische
Theologie der Befreiung…, die im recht verstandenen Wort Gottes verwurzelt ist“. Kardinal
Ratzinger hat in einer späteren „Instruktion“ seiner Behörde 1986 versucht, das Wort
Befreiung aus christlicher Sicht mit positivem Inhalt zu füllen. Zwischen diesen beiden
Dokumenten lag 1985 sein Vorgehen gegen den Befreiungstheologen Leonardo Boff wegen
dessen Buch „Kirche – Charisma und Macht“.
Seit seiner Wahl zum Papst hat sich
Benedikt XVI. bis zur Notifikation von gestern nicht mehr zum Thema Befreiungstheologie
geäußert und das Wort „Befreiung“ überhaupt nur selten in einem aktuellen politischen
Zusammenhang erwähnt. Im Mai reist er nach Brasilien.