Das „neue Verhältnis von Juden und Christen“ hat nach den Worten des römischen Kurienkardinals
Walter Kasper als „Modell versöhnter Verschiedenheit“ einen besonderen Vorbildcharakter.
Gerade heute könne es ein brauchbares und dringend notwendiges Modell dafür sein,
wie religiös und kulturell verschiedene Menschen mit dem Hintergrund einer schwierigen
Geschichte sich wieder versöhnen, schätzen lernen, in Frieden und oft sogar in Freundschaft
zusammenleben könnten. Das sagte Kasper heute bei einer Veranstaltung der Gesellschaft
für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Sie markierte den Start der diesjährigen
„Woche der Brüderlichkeit“. Ihr Thema lautet diesmal: „Redet die Wahrheit“. Es greift
den Titel eines am 11. September 2000 von mehr als 200 angesehenen Rabbinern und jüdischen
Gelehrten zum gewandelten jüdischen Verhältnis verfassten programmatischen Artikels
auf.
Für die katholische Kirche bedeute dieses Wort, dass das Recht des jüdischen
Volkes auf das Land seiner Väter und „nicht nur die Existenz, sondern auch das Existenzrecht
des Staates Israel“, anerkannt werde, sagte der Kurienkardinal. Ebenfalls erkenne
die Kirche das Recht der dort seit Jahrhunderten lebenden Araber auf ein gesichertes,
lebensfähiges, ihrer Menschenwürde entsprechendes eigenes Staatswesen an. In diesem
Kontext bedeute das Wort auch, dass Jerusalem einen Status haben solle, der Juden,
Christen und Muslimen einen rechtlich garantierten freien Zugang zu ihren heiligen
Stätten und das Lebensrecht ihrer caritativen und schulischen Einrichtungen gewährleiste.
Die Aufforderung, die Wahrheit zu reden, sei nicht folgenlos. Auf beiden Seiten
müsse die Geschichte aufgearbeitet werden. „Die Shoah zu leugnen oder sie auch nur
zu minimalisieren, wie es leider geschieht – ist neues Unrecht an den Opfern und ist
in Deutschland zu Recht unter Strafe gestellt“, sagte Kasper wörtlich. Geschichtliche
Schuld, und sei es nur die Schuld der Unterlassung von Hilfeleistung, müsse anerkannt
werden. Die katholische Kirche fürchte die Wahrheit nicht. Die immer wieder geforderte
Öffnung der vatikanischen Archive sei im Gang und für den aus archiv-technischen Gründen
noch nicht zugänglichen Teil „beschlossene Sache“.
Kardinal Kasper empfahl
ausdrücklich, den Blick auf die Gegenwart und auf eine gemeinsame Zukunft zu richten.
Juden und Christen verbinde die messianische Hoffnung „gegen alle schleichende und
oft zynische Resignation, gegen alle bleierne Hoffnungslosigkeit, die meint, dass
man doch nichts machen und nichts ändern kann“. Wer solle, so fragte er, die Fackel
dieser Hoffnungswahrheit hochhalten, „wenn nicht Christen und Juden“. Das Judentum
sei die Wurzel, in die das Christentum „eingepfropft ist und die es bleibend trägt“.
So stünden Juden und Christen in einem religionsgeschichtlich einmaligen Verhältnis
zueinander, das es sonst in der ganzen Religionsgeschichte nicht gebe.