Die deutschen Bischöfe
haben heute ihre Pilgerreise ins Heilige Land beendet. der Vorsitzende der Deutschen
Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, warnte bei einer Pressekonferenz in Jerusalem
eindringlich vor einem Vertrauensverlust zwischen Palästinensern und Israelis. Der
Kardinal rief dazu auf, den Exodus von Christen aus dem Heiligen Land nicht hinzunehmen.
Mit Blick auf einen möglichen Papstbesuch in Israel meinte Kardinal Lehmann, dazu
müßten wohl erst einmal Vereinbarungen zwischen Israel und dem Vatikan über strittige
Fragen fertig ausgehandelt werden. Die internationale Gemeinschaft rief Lehmann zu
mehr Einsatz für einen Frieden in Nahost auf.
Lesen Sie hier das Abschluß-Statement
von Kardinal Lehmann heute in Jerusalem im vollen Wortlaut.
Wenn wir heute
Nachmittag zurück nach Deutschland fliegen, liegen ereignisreiche und intensive Tage
im Heiligen Land hinter uns. Viele Eindrücke werden sich erst mit etwas Abstand richtig
setzen und verarbeitet werden. So möchte ich heute nur ein erstes Resümee ziehen. Es
war das erste Mal, dass der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz, also die
Ortsbischöfe der 27 deutschen Diözesen, eine Pilgerreise ins Heilige Land unternommen
hat. Es war überhaupt die erste Zusammenkunft des Ständigen Rates im Ausland, sieht
man von einem Treffen in Rom einmal ab. Und ich glaube auch für meine Mitbrüder sagen
zu dürfen: Wir haben dieses Experiment nicht bereut. Im Gegenteil, wir sind froh,
dass wir uns auf diesen Weg gemacht haben. Es ist auch für die deutschen Bischöfe
wichtig, ihre Verantwortungsgemeinschaft lebendig zu erfahren und zu erneuern. Das
gibt neuen Schwung und neue Kraft im Alltag unseres Wirkens. Ins Heilige Land
sind wir in erster Linie als Pilger gekommen. Wir wollten zu den Quellen des biblischen
und zumal des christlichen Glaubens gehen. Es ist für uns Bischöfe bereichernd, nicht
nur als Einzelne, sondern auch gemeinsam unseren Glauben und unsere Aufgabe von den
tiefsten Gründen her zu erneuern. An bedeutenden christlichen Wallfahrtsstätten haben
wir die heilige Messe und das Stundengebet der Kirche gefeiert: in der Brotvermehrungskirche
und der Primatskapelle in Tabgha, in Nazareth vor der Verkündigungsgrotte, in der
Grabeskirche in Jerusalem, in der Katharinenkirche bei der Geburtsgrotte in Bethlehem
und heute hier mit den deutschen Benediktinern in der Dormitio-Basilika auf dem Zionsberg
in Jerusalem. So kamen wir nicht nur mit den Heiligen Stätten, den geschichtlichen
Zeugnissen des Christentums, in Berührung, sondern haben die heilbringende Gegenwart
Gottes auch in unserer Zeit erfahren. Besonders herausstellen möchte ich, dass
wir gleich zu Beginn unserer Reise in Tabgha an der Grundsteinsegnung für einen Neubau
des Benediktiner-Klosters teilnehmen durften. Es freut uns, dass die benediktinische
Gemeinschaft immer wieder Novizen aufnehmen kann. Ebenso wichtig wie der Besuch
heiliger Stätten waren für uns die Begegnungen und das Gespräch mit den Christen
vor Ort und der Besuch ihrer sozialen Einrichtungen und Schulen. Wir haben unserer
Verbundenheit mit den Christen hier im Heiligen Land Ausdruck gegeben, die nur knapp
zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen. Oft leben sie unter schwierigen Bedingungen.
Besonders in Zeiten gewalttätiger Konflikte erfahren Minderheiten besonders stark
ihre gesellschaftliche Randlage. In Israel sind sie als Christen und Araber in einer
doppelten Minderheitenposition. In den palästinensischen Gebieten sind sie durch einen
wachsenden Islamismus herausgefordert. Nach wie vor bedrückend ist die hohe Zahl derer,
die das Land verlassen. In Galiläa, Bethlehem, Nazareth, Ramallah und Jerusalem
sind wir Christen und christlichen Gemeinden begegnet, die uns an ihren Alltagserfahrungen
haben teilhaben lassen. Unsere bischöflichen Mitbrüder, Erzbischof Elias Chacour (griech.-kath.),
Bischof Paul Sayah (maronitisch), Bischof Giacinto Marcuzzo, Erzbischof Antonio Franco
(Apostolischer Nuntius in Israel und Zypern und Apostolischer Delegat in Jerusalem
und Palästina), der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Michel Sabbah, aber auch
viele Priester und Ordensleute haben uns anschaulich von der Situation der Christen
berichtet. Wir haben erfahren können, dass es im Heiligen Land eine sehr vitale
katholische Kirche gibt, die sich nicht nur durch ihr gottesdienstliches Leben, sondern
auch durch ihre soziale Arbeit auszeichnet. In der Schule der Salvatorianerinnen in
Nazareth, in der Schmidt-Schule in Ost-Jerusalem und in der Katholischen Bethlehem-Universität
konnten wir erleben, wie Christen und Muslime gemeinsam lernen. Ein Beispiel für das
soziale Engagement der Kirche ist das Babyhospital der Caritas in Bethlehem, wo unter
schwierigen Bedingungen versucht wird, palästinensischen Familien und ihren Kindern
wirkungsvolle medizinische Hilfe zukommen zu lassen. Es ist insgesamt beachtlich,
in welchem Maß die Kirche im Heiligen Land durch Schulen und soziale Einrichtungen
aller Art einen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben leistet. In diesem Zusammenhang
sind die rechtliche Stellung der Kirche und die Besteuerung kirchlicher Organisationen
und kirchlichen Besitzes von hohem Belang. Dies haben wir auch im Gespräch mit Shimon
Peres, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten des Staates Israel, deutlich herausgestellt.
Es ist erfreulich, dass Peres unserer Delegation zugesichert hat, sich persönlich
dafür einzusetzen, dass die Verhandlungen zwischen Israel und dem Vatikan zügig abgeschlossen
werden. Wir werden weiterhin das in unserer Macht Stehende tun, um unsere Solidarität
mit der christlichen Minderheit vor Ort zum Ausdruck zu bringen. Wir wollen mit dazu
beizutragen, dass die Christen hier eine Zukunft haben. Das Heilige Land darf kein
Freilicht-Museum des Christentums werden. Der freie Zugang zu den Heiligen Stätten
muss für die Angehörigen aller Religionen gewährleistet sein. Wir ermutigen ausdrücklich
alle Gläubigen, ins Heilige Land zu pilgern. Eine der wichtigsten Stationen unserer
Reise war der Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Für uns alle war dies
ein bewegender und auch erschütternder Moment. Wir haben an diesem Ort unterstrichen,
dass es für alle Deutschen – letztlich auch für die ganze Menschheit – unerlässlich
bleibt, sich dem Völkermord an den Juden auch in Gegenwart und Zukunft zu stellen.
Dies habe ich auch in meiner Eintragung in das Gedenkbuch zum Ausdruck bringen wollen:
„Niemand kann frei sein, der frei sein will vom Gedenken an die Shoa.“ Vor diesem
Hintergrund bin ich besonders dankbar für den herzlichen Willkommengruß des aschkenasischen
Oberrabbiners von Israel, Yona Metzger, der am Mittwoch eine Delegation mit dem Vorsitzenden
unserer Unterkommission für die Beziehungen zum Judentum in Jerusalem empfangen hat.
Dies zeigt, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten neue Kapitel des christlich-jüdischen
Dialogs haben aufschlagen können. Natürlich war es auch ein wichtiges Ziel unserer
Reise, uns über die politische Situation im Heiligen Land zu informieren. Was die
israelische Seite betrifft, dienten dazu Gespräche mit dem stellvertretenden israelischen
Ministerpräsidenten Shimon Peres und dem ehemaligen israelischen Botschafter in Deutschland
Avi Primor. Daneben gab es eine Begegnung mit dem palästinensischen Präsidenten, Mahmud
Abbas, und leitenden Mitarbeitern der Autonomiebehörde. In all diesen Gesprächen
ist deutlich geworden, wie verfahren sich die politische Situation im Augenblick
darstellt und wie wenig Hoffnung auf eine tragfähige Lösung auf beiden Seiten besteht.
Die Israelis betonen beständig ihr Interesse an Sicherheit, die durch Terroristen
nachhaltig bedroht wird. Die Palästinenser wiederum sehen den alleinigen Grund des
Konfliktes in der Besetzung palästinensischer Gebiete durch Israel. Das ohnehin geringe
Vertrauen zwischen beiden Konfliktparteien scheint – so haben wir bei vielen Begegnungen
erfahren – immer noch weiter abzunehmen. Der Vertrauensverlust wird von Vielen als
geradezu irreparabel gesehen. Das ist eine gefährliche Sackgasse. Dies hat uns gerade
in den letzten Tagen trotz einiger Lichtblicke, vor allem in der Begegnung mit jungen
Menschen, bedrückt. Unter den Palästinensern hat sich darüber hinaus der Eindruck
verdichtet, dass mit dem Ausbau der Siedlungen, dem Bau von Sicherheitszäunen und
Mauern, der Schaffung getrennter Straßennetze und dem System der Check-Points zunehmend
Tatsachen geschaffen werden, die auf eine Verfestigung des Status Quo hinauslaufen.
Wir haben den Eindruck gewonnen, dass all diese Maßnahmen zusammengenommen zwar einen
aktuellen Gewinn an Sicherheit für die Israelis bedeuten, dem Frieden auf lange Sicht
aber nicht dienen können. Als Bischöfe können wir keine politischen Vermittler
sein und keine politischen Auswege aus der Misere vorzeichnen. Wohl aber können und
müssen wir immer wieder auf das Leiden der Menschen aufmerksam machen. Wir wissen
um die Angst der Israelis, die von Terrorismus bedroht sind und deren staatliches
Existenzrecht von manchen immer noch in Frage gestellt wird. Bei unseren Besuchen
in der Westbank haben wir aber auch die erschreckende, geradezu katastrophale Situation
kennen gelernt, der die Palästinenser ausgesetzt sind: eine Arbeitslosigkeit von
bis zu 60%, drastische Behinderungen der Bewegungsfreiheit, die manche Familien auf
Dauer voneinander trennen, eine Praxis an den Kontrollpunkten, die viele Palästinenser
als demütigend empfinden – all dies lässt viele in Hoffnungslosigkeit versinken und
befördert auch eine politische und religiöse Radikalisierung. Besonders schlimm haben
wir die Lage in Bethlehem erlebt, wo sich die Menschen angesichts des Verlaufs der
Sicherheitsanlagen geradezu als eingeschlossen empfinden. Immerhin verbinden viele,
auch in den Kirchen, eine gewisse Hoffnung mit den wieder aufgenommenen Bemühungen
des Nahost-Quartetts und mit der deutschen Ratspräsidentschaft in der Europäischen
Union. Angesichts der Realitäten wird man in seinen Erwartungen aber bescheiden bleiben
müssen. Dies gilt auch für alles, was die Kirche vor Ort und weltweit unternehmen
kann, um zur Lösung des Konflikts beizutragen. Dennoch gehört es zur Grundstruktur
unseres Glaubens, Hoffnung gegen alle Hoffnung zu bewahren. Anlass dafür bietet ganz
sicher auch das mutige Zeugnis der Kirchen im Heiligen Land, nicht zuletzt der Orden,
die wichtige Beiträge für eine Aussöhnung leisten. Ein besonderer Dank für mannigfaltige
Hilfe gilt an dieser Stelle dem Deutschen Botschafter in Israel, Dr. Harald Kindermann,
und dem Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ramallah,
Jörg Ranau. Auch der Deutsche Verein vom Heiligen Lande hat Vieles zum Gelingen unserer
Pilgerreise beigetragen.