Heinrich Böll nannte
ihn einen leidenschaftlichen Katholiken. Wladyslaw Bartoszweski - Auschwitz-Häftling,
Widerstandskämpfer, "Gerechter unter den Völkern", Solidarnosc-Gründer und nach der
Wende Außenminister.Ein bewegtes Leben. Heute wird Bartoszewski - einer der wichtigsten
Brückenbauer zwischen Deutschen und Polen 85. Daniel Kaiser hat ihn getroffen.
Wladyslaw
Bartoszewski liebt die deutsche Sprache. In der Schule macht er im Fach Deutsch Abitur.
Über Minna von Barnhelm. Kurze Zeit später erlebt er die Deutschen von der schlimmsten
Seite. Mit 18 war ich schon an einem Appellplatz in Auschwitz, als politischer
Häftling, Pole, 44 27. Also einer der ersten Tausender politischer polnischer Häftlinge,
die im Rahmen der Vorbeugmaßnahmen, also Drohmaßnahmen, massenweise verhaftet waren
und die in das KZ-System eingebracht wurden. Nach 7 Monaten wird er auf Druck
des Roten Kreuzes entlassen. Er geht in den Untergrund. Sein Ziel ein freies Polen. Ich
habe genug Schreckliches gesehen, erlebt, aber ich muss offen sagen, ich habe viel
Glück gehabt. Ich war relativ kürzer in dem Lager als viele andere Leute. Bis heute
natürlich sind mir im Kopf geblieben, die Bilder des Grauens. Bartoszewski
– ein Patriot. Er kämpft auf den Barrikaden beim Warschauer Aufstand gegen die deutschen
Besatzer. Als klar wird, dass Hitler die Juden vernichten will und die Menschen zu
hunderttausenden aus den Ghettos nach Osten deportiert, beginnt er, ihnen zu helfen.
Ein gefährlicher Job! Das war lebensbedrohlich, weil auf jede Hilfe die Todesstrafe
stand, die durch offizielle Bekanntmachungen der NS-Deutschen Polizei überall angeklebt
war. Der Pianist Wladyslaw Szpielman ist einer der Juden, denen geholfen wird.
Roman Polanski hat sein Schicksal in dem Film „Der Pianist“ festgehalten. Wir
haben nämlich falsche Dokumente für die Flüchtlinge aus Ghettolagern besorgt, wir
haben Unterkunft, Arzneien, Geld gesucht. Haben genau das getan, was die Betreuer
für Spielmann getan haben, im Film „Der Pianist“. Genau das, nur unsere Zöglinge waren
nicht bekannte Schauspieler. Waren ganz einfache Menschen. Der Staat Israel
verlieh Wladyslaw Bartoszewski nach dem Krieg dafür den Ehrentitel „Gerechter unter
den Völkern!“ Die Versöhnung mit den Deutschen fällt vielen Polen schwer - bis heute.
Bartoszewski wirbt für Verständnis, wenn die polnische Politik nicht immer nachvollziehbar
empfindlich reagiert. Wenn es um Souveränität geht, verstehen die Polen einfach keinen
Spaß. Das macht die Diskussionen in der EU manchmal schwierig. Die Polen sind
hier empfindlich, das kann man wohl verstehen. Nach der Erfahrung der letzten zwei
Generationen müssen sie überempfindlich sein. Es kann sein dass die jetzigen Schulkinder
anders denken. Auch über die Nachbarn, auch über die Zukunft. Aber momentan sind noch
Millionen Menschen, die die bösen Erfahrungen im Kopf haben, am Leben. Bartoszewski
hat immer gegen Unrecht gehandelt. Er ist eine humanistische Lichtgestalt. Ein moralischer
Imperativ durchzieht sein Leben als Leitmotiv. Aber bitte, jemand muss das doch
tun! Ich denke, wenn jemand bei einem großen Unglück vorüberkommt, Hochwasser, Brand,
auch jetzt, das wird angesprochen, und man sagt: „Um Gottes Willen, dass so etwas
Schreckliches passiert, jemand muss doch was tun“. Das ist sehr menschlich, eine sehr
menschliche Reaktion, egal in welchem Lande. Immer gegen den Strom schwimmen. Drei
mal aber war Bartoszewski wirklich verzweifelt. Einmal, als die westdeutschen
Truppen Warschau besetzt haben, 1939 und für Hitler war eine Siegesparade auf der
Hauptstrasse Warschaus. Zum zweiten Mal, als der Warschauer Aufstand war, und eine
große Hoffnung niedergemetzelt wurde durch die SS-Truppen. Und zum dritten Mal, als
die Rote Armee uns befreit hat. Ich habe das erlebt in Krakau, als ich diese Armee
gesehen habe, diese Menge, die sich zivilisatorisch unterschiedlich von uns benommen
haben. Dann habe ich, ohne Visionen zu haben, doch verstanden, dass ein neues, sehr
schweres Kapitel in der Geschichte meines Volkes anfängt. Kann sein in der Geschichte
Europas. Leider habe ich Recht gehabt. Ich habe gehört, das Kapitel dauerte 45 Jahre. Das
kommunistische Regime ist für den gläubigen Katholiken Bartoszewski ein Gräuel. So
gehört er zu den Gründungsmitgliedern der Freien Gewerkschaft Solidarnosc. Auch hier
mit dramatischen Folgen. Er wird oft verhaftet, manchmal über Monate interniert. Und
weil mein Name mit „B“ beginnt, stehe ich immer ganz oben auf jeder Liste. Da wurde
ich natürlich bei der ersten Unterdrückung der Solidarität sofort verhaftet in der
ersten Nacht und interniert in ein Internierungslager, zufällig zusammen mit, und
das war eine Bereicherung für mich, mit … anderen bekannten Menschen, Intellektuelle,
Schriftsteller, Journalisten. Heinrich Böll nannte seinen Freund Bartoszewski
einmal einen „leidenschaftlichen Katholiken“. Und für diesen führenden Vertreter der
katholischen Intelligenz war es natürlich ein Wendepunkt, als ein Pole Papst wurde. Ohne
diesen Papst wären diese Prozesse nicht so schnell und so umfangreich gegangen. Er
hat doch gesagt, … Europa hat zwei Lungen, West und Ost und Europa muss und wird mit
zwei Lungen atmen. Und plötzlich sind sie in die Häuser gekommen, in die Wohnungen,
in den Alltag ihres Lebens - diese Bewertung der Situation der Menschen. Die Worte
der Liebe der Toleranz aber auch der unnachgiebigen Härte und den Aufruf „Ihr sollt
keine Angst haben“. „Ihr sollt keine Angst haben“, das hat er mehrmals wiederholt,
bei der Polen-Reise, bei anderen Reisen, besonders in der Wende, wo man diese Worte
brauchte. Nach der Wende wird Bartoszewski zuerst Botschafter in Wien und
dann zweimal Außenminister. Gern erinnert er sich an die Zusammenarbeit mit den deutschen
Amtskollegen Kinkel und Fischer. Diese beiden Fälle habe ich sehr gut in Erinnerung,
die faire, kameradschaftliche, offene und sozusagen anständige Zusammenarbeit mit
deutschen Außenministern. Wladyslaw Bartoszewski - ein leidenschaftlicher Kämpfer
für die gerechte Sache und für Polen. Sein Leben – eine Jahrhundertbiographie. Die
Botschaft: Es lohnt sich, anständig zu sein. Niemand hat bisher bewiesen: “Es
lohnt sich nicht.” (rv)