2007-02-12 17:06:16

Israel: Explosiver Tempelberg


RealAudioMP3 In den Konflikt um die israelischen Grabungsarbeiten am Tempelberg ist Bewegung gekommen: Am späten Sonntagabend kündigte Jerusalems Bürgermeister Uri Lupolianski unerwartet an, den umstrittenen Bau einer neuen Fußgängerrampe zum Platz vor der Al-Aksa-Moschee zu verschieben.
Wegen der Grabungen war es diese Woche zu massenhaften Protesten in den palästinensischen Gebieten und einigen arabischen Staaten gekommen. Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und israelischer Polizei hatte es Verletzte gegeben. Hören Sie Gabi Fröhlich mit Hintergründen zu dem Geschehen in der heiligen Stadt:
Zunächst ist es wichtig, festzuhalten: Es gibt keinen Stopp der bereits begonnenen Grabungen am Fuß des Tempelbergs. Die israelischen Archäologen arbeiten weiter, beschützt von rund 2000 Soldaten und Polizisten, die neue Unruhen in der Jerusalemer Altstadt verhindern sollen. Die Grabungen verfolgen ein doppeltes Ziel. Zum einen soll die vor vier Jahren teilweise eingestürzte Fußgängerrampe zum Mugrabi-Tor auf dem Tempelberg abgetragen und durch eine neue ersetzt werden. Weil aber unter den Trümmern dieser Rampe historische Funde aus mehreren Jahrtausenden zu erwarten sind, sind zunächst die Archäologen an der Reihe. Die rechnen damit, ganz unten auf die Fortsetzung einer bereits zum Teil freigelegten römischen Straße zu stoßen. Der Start dieser Grabungen am vergangenen Dienstag hatte in der muslimischen Welt wütende Proteste hervorgerufen.
Auch der Leiter der Al-Aksa-Moschee, Mufti Mohammed Hussein, und seine Mitarbeiter auf dem Tempelberg sind verärgert. Für sie heißt der Hügel "Al-haram al- Scharif" - das edle Heiligtum. Denn hier oben stehen, im Andenken an des Propheten berühmte Reise in den Himmel, der Felsendom und die Al-Aksa-Moschee. Zu Besuch beim Mufti waren am Samstag namhafte Vertreter der Jerusalemer Kirchen. Die orthodoxen, katholischen, lutherischen und anglikanischen Bischöfe wollten den Muslimen auf dem Platz vor der Moschee ihre Solidarität kundtun. Die Kirchenmänner, allesamt arabischer Herkunft, können die Erregung der Muslime über die Grabungen nicht weit von den bedeutsamen Heiligtümern des Islam gut verstehen. Der palästinensische lutherische Bischof, Munib Younan, erklärt: "Jeder religiöse Ort, egal welcher Religion, ist sehr sensibel in Jerusalem. Wir fordern alle auf, die anderen zu respektieren und nicht einfach die Empfindlichkeiten der anderen zu übergehen. Denn dadurch werden politische Konflikte zu religiösen Kriegen. Religion ist hier enorm wichtig. Jeder bei uns, auch wenn er nicht praktiziert, fühlt sich tief mit seiner Religion verbunden. Wir sagen deshalb: Es ist wichtig, die Sensibilität aller heiligen Stätten zu respektieren, die der Christen, die der Moslems, und die der Juden."
Genau hier sehen die einheimischen christlichen und muslimischen Führer aber das Problem: Vor allem beklagen der Mufti und seine Leute, dass die Grabungen und der geplante Rampenbau nicht mit ihnen abgesprochen worden seien. Sie seien einfach vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Zwar erklärt Israel, dass die Grabungen die Moschee nicht beträfen, aber das sehen die Muslime anders. Sie fürchten, dass damit an die Fundamente ihrer Heiligtümer gerührt werden könne. Allein schon der Verdacht wirkt in der derzeitigen gereizten Stimmung explosiv. Der lateinische Patriarch von Jerusalem, Michel Sabbah, kann deshalb absolut nicht begreifen, warum die Grabungen ausgerechnet jetzt begonnen werden mussten: "Unsere Botschaft ist: Wir wollen Frieden in dieser Stadt. Dieser Ort ist explosiv. Schon jetzt hat es massive Demonstrationen gegeben und man spricht von einer drohenden neuen El-Aksa-Intifada. Wir hoffen, dass die israelische Regierung vernünftig genug ist, die Grabungen zu stoppen. Denn wenn jetzt trotz der Proteste weitergearbeitet wird, dann riskieren wir, dass die heiligen Stätten wieder zu Orten des Krieges werden. Darum lasst uns lieber warten, bis wir eine stabile Lage im Land haben. Dann können wir uns auch wieder der Archäologie widmen. Und der Friede zwischen den Religionen ist wichtiger als die Archäologie. Der Friede kann nicht warten. Die Archäologie kann warten, auch noch ein paar Dutzend Jahre."
Das Misstrauen zwischen den verfeindeten Gruppierungen im Heiligen Land sitzt tief. Die Muslime beklagen, sie würden immer mehr aus Jerusalem herausgedrängt, durch Enteignungen, Mauerbau und Benachteiligung bei Baugenehmigungen. Das einseitige Vorgehen Israels beim Neubau der Fußgängerrampe gibt diesen Vorwürfen neue Nahrung. Der unerwartete Beschluss von Bürgermeister Uri Lupolianski soll solchen Verdächtigungen die Grundlage entziehen. Man wolle absolute Transparenz bei den Arbeiten, erklärte der eigentlich aus der ultraorthodoxen jüdischen Szene stammende Lupolianski der Presse. Und man wolle den Bau der Rampe verschieben, bis ein Gesamtkonzempt für die Zone entworfen sei. Dabei aber würden die Behörden die Vertreter der Muslime Ostjerusalems einbeziehen. Das Dialogangebot des Bürgermeisters – übrigens ohne Zustimmung der Regierung in Tel Aviv – kommt spät. Jetzt muss es sich zeigen, ob beide Seiten auch zu einem echten Dialog bereit sind. (rv)








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