In den Konflikt um
die israelischen Grabungsarbeiten am Tempelberg ist Bewegung gekommen: Am späten Sonntagabend
kündigte Jerusalems Bürgermeister Uri Lupolianski unerwartet an, den umstrittenen
Bau einer neuen Fußgängerrampe zum Platz vor der Al-Aksa-Moschee zu verschieben. Wegen
der Grabungen war es diese Woche zu massenhaften Protesten in den palästinensischen
Gebieten und einigen arabischen Staaten gekommen. Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten
und israelischer Polizei hatte es Verletzte gegeben. Hören Sie Gabi Fröhlich mit Hintergründen
zu dem Geschehen in der heiligen Stadt: Zunächst ist es wichtig, festzuhalten:
Es gibt keinen Stopp der bereits begonnenen Grabungen am Fuß des Tempelbergs. Die
israelischen Archäologen arbeiten weiter, beschützt von rund 2000 Soldaten und Polizisten,
die neue Unruhen in der Jerusalemer Altstadt verhindern sollen. Die Grabungen verfolgen
ein doppeltes Ziel. Zum einen soll die vor vier Jahren teilweise eingestürzte Fußgängerrampe
zum Mugrabi-Tor auf dem Tempelberg abgetragen und durch eine neue ersetzt werden.
Weil aber unter den Trümmern dieser Rampe historische Funde aus mehreren Jahrtausenden
zu erwarten sind, sind zunächst die Archäologen an der Reihe. Die rechnen damit, ganz
unten auf die Fortsetzung einer bereits zum Teil freigelegten römischen Straße zu
stoßen. Der Start dieser Grabungen am vergangenen Dienstag hatte in der muslimischen
Welt wütende Proteste hervorgerufen. Auch der Leiter der Al-Aksa-Moschee, Mufti
Mohammed Hussein, und seine Mitarbeiter auf dem Tempelberg sind verärgert. Für sie
heißt der Hügel "Al-haram al- Scharif" - das edle Heiligtum. Denn hier oben stehen,
im Andenken an des Propheten berühmte Reise in den Himmel, der Felsendom und die Al-Aksa-Moschee.
Zu Besuch beim Mufti waren am Samstag namhafte Vertreter der Jerusalemer Kirchen.
Die orthodoxen, katholischen, lutherischen und anglikanischen Bischöfe wollten den
Muslimen auf dem Platz vor der Moschee ihre Solidarität kundtun. Die Kirchenmänner,
allesamt arabischer Herkunft, können die Erregung der Muslime über die Grabungen nicht
weit von den bedeutsamen Heiligtümern des Islam gut verstehen. Der palästinensische
lutherische Bischof, Munib Younan, erklärt: "Jeder religiöse Ort, egal welcher
Religion, ist sehr sensibel in Jerusalem. Wir fordern alle auf, die anderen zu respektieren
und nicht einfach die Empfindlichkeiten der anderen zu übergehen. Denn dadurch werden
politische Konflikte zu religiösen Kriegen. Religion ist hier enorm wichtig. Jeder
bei uns, auch wenn er nicht praktiziert, fühlt sich tief mit seiner Religion verbunden.
Wir sagen deshalb: Es ist wichtig, die Sensibilität aller heiligen Stätten zu respektieren,
die der Christen, die der Moslems, und die der Juden." Genau hier sehen die
einheimischen christlichen und muslimischen Führer aber das Problem: Vor allem beklagen
der Mufti und seine Leute, dass die Grabungen und der geplante Rampenbau nicht mit
ihnen abgesprochen worden seien. Sie seien einfach vor vollendete Tatsachen gestellt
worden. Zwar erklärt Israel, dass die Grabungen die Moschee nicht beträfen, aber das
sehen die Muslime anders. Sie fürchten, dass damit an die Fundamente ihrer Heiligtümer
gerührt werden könne. Allein schon der Verdacht wirkt in der derzeitigen gereizten
Stimmung explosiv. Der lateinische Patriarch von Jerusalem, Michel Sabbah, kann deshalb
absolut nicht begreifen, warum die Grabungen ausgerechnet jetzt begonnen werden mussten:
"Unsere Botschaft ist: Wir wollen Frieden in dieser Stadt. Dieser Ort ist explosiv.
Schon jetzt hat es massive Demonstrationen gegeben und man spricht von einer drohenden
neuen El-Aksa-Intifada. Wir hoffen, dass die israelische Regierung vernünftig genug
ist, die Grabungen zu stoppen. Denn wenn jetzt trotz der Proteste weitergearbeitet
wird, dann riskieren wir, dass die heiligen Stätten wieder zu Orten des Krieges werden.
Darum lasst uns lieber warten, bis wir eine stabile Lage im Land haben. Dann können
wir uns auch wieder der Archäologie widmen. Und der Friede zwischen den Religionen
ist wichtiger als die Archäologie. Der Friede kann nicht warten. Die Archäologie kann
warten, auch noch ein paar Dutzend Jahre." Das Misstrauen zwischen den verfeindeten
Gruppierungen im Heiligen Land sitzt tief. Die Muslime beklagen, sie würden immer
mehr aus Jerusalem herausgedrängt, durch Enteignungen, Mauerbau und Benachteiligung
bei Baugenehmigungen. Das einseitige Vorgehen Israels beim Neubau der Fußgängerrampe
gibt diesen Vorwürfen neue Nahrung. Der unerwartete Beschluss von Bürgermeister Uri
Lupolianski soll solchen Verdächtigungen die Grundlage entziehen. Man wolle absolute
Transparenz bei den Arbeiten, erklärte der eigentlich aus der ultraorthodoxen jüdischen
Szene stammende Lupolianski der Presse. Und man wolle den Bau der Rampe verschieben,
bis ein Gesamtkonzempt für die Zone entworfen sei. Dabei aber würden die Behörden
die Vertreter der Muslime Ostjerusalems einbeziehen. Das Dialogangebot des Bürgermeisters
– übrigens ohne Zustimmung der Regierung in Tel Aviv – kommt spät. Jetzt muss es sich
zeigen, ob beide Seiten auch zu einem echten Dialog bereit sind. (rv)