Es ist ruhig geworden
um Haiti, die jahrzehntelang von inneren Unruhen geplagte Karibikinsel mit gut 8 Millionen
Einwohnern. Doch der Schein der Ruhe, um den sich die vor einem Jahr demokratisch
gewählte Regierung unter Präsident Rene Garcia Preval bemüht, trügt – erst im Dezember
kam es bei Lokalwahlen erneut zu Gewalt – die Schüler wurden aus Sicherheitsgründen
vorzeitig in die Weihnachtsferien geschickt. Interreligiöse Menschenrechtsorganisationen
haben für diese Woche einen "Internationalen Solidaritätstag mit Haiti" ausgerufen.
Ein Bericht von Brigitte Schmitt:
Sie nennen es "Haiti Reborn“, wiedererstandenes
Haiti. Seit Jahren kämpft das Quixote Center, eine in den USA beheimatete, interreligiöse
Menschenrechtsorganisation für mehr Gerechtigkeit in den ärmsten Ländern der Hemisphäre,
darunter Haiti. Sie fordern ein Ende der Gewalt. Das Menschenrechtsbüro der haitianischen
Bischöfe zählte in seinem letzten Bericht allein im Zeitraum von Oktober bis Dezember
vergangenen Jahres mindestens 550 Tote – mit einer wesentlich höheren Dunkelziffer.
Alle haben Angst, sagt der Haitianer Samuel Benjamin, der gerade seine Familie in
der Hauptstadt Port-au-Prince besuchte. "Die Regierung tut etwas, sie hat sich
etabliert, aber sie tut nicht genug, um die Situation des Landes zu verbessern, sei
es auf politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Ebene. Aber trotz allem geht das
Leben weiter, wenn sie Arbeit haben, gehen die Leute arbeiten." Doch Arbeit
ist rar, vor allem in den Slums, wo Drogenhandel und Prostitution Haupteinnahmequelle
ist. Vergangene Woche genehmigten die Vereinigten Staaten weitere 20 Millionen Dollar,
die vor allem für Arbeitsbeschaffungsprogramme in Cite Solei, der größten Bidonville
der Hauptstadt, gedacht sind. Venezuela will Reservisten schicken. Was aber kann die
eigene Regierung tun? "Das erste was die Regierung tun muss ist die Sicherheitslage
verbessern sonst kommen keine Auslandsinvestitionen. Wer will schon investieren in
ein Land, das unstabil ist? Das ist das Problem. Das heißt, die Regierung muss ein
langfristiges Sicherheitsprogramm auf die Beine stellen, nicht nur für einen Tag oder
5 Jahre, sondern langfristig. Dann kommen die ausländischen Investoren wieder ins
Land. Und das ist wichtig, denn Haiti hat absolut nichts." Bislang überlebt
der Inselstaat dank ausländischer humanitärer Hilfe. Doch die Despotenherrschaft der
Duvaliers hat das Land ausgeblutet. Heute schuldet Haiti über eine Milliarde Dollar;
220 Millionen Dollar beträgt der Schuldendienst. Statt Schulen oder Krankenhäuser
zu bauen, stottert die Regierung die Schulden ab. Darum fordert „Haiti Reborn“ einen
sofortigen Schuldenerlass. Und so wächst die Armut. Grund zu Sorge ist der steigende
Terror in Martissant, einer Slumsiedlung im Süden der Hauptstadt, wo der Bandenkrieg
zuletzt 30 Opfer kostete. Das Gewaltbarometer steige immer, wenn die Polizei und die
Menustah, die UNO-Friedenstruppen Razzien gegen Banden in den Slums durchführen. Das
beobachten die kirchlichen Menschenrechtsvertreter. Und das Schlimme sei, dass es
immer Opfer unter den Zivilisten gebe. So wächst der Hass auf die Sicherheitskräfte,
die keine Sicherheit geben. "Tatsächlich gab es im Dezember Demonstrationen gegen
das Uno Mandat. Die Leute protestierten weil die Soldaten und die Polizei nichts tun,
um die Leute, vor allem die Kinder zu schützen." Seit über 10 Jahren sind
die UNO-Soldaten im Land, jetzt im Februar soll ihr Mandat erneuert werden. Erst vergangene
Woche machte sich ein neues Kontingent von insgesamt 350 nepalesischen Blauhelmen
auf den Weg. Welchen Sinn hat das noch, wenn die Menschen kein Vertrauen haben? Die
Haitianer sind enttäuscht von den Vereinten Nationen, sie haben kein Vertrauen in
die Politiker. Allein die Familie und die Religion gebe Rückhalt, sagt der Lehrer
Benjamin: "Die Haitianer sind sehr religiös. Man sieht viele Leute, die in die
Kirche gehen, Katholiken, Protestanten. Dort suchen sie einen sicheren Hafen, einen
Ausweg." (rv)