Italien: Bertone, Fußball ist Spiegel der Gesellschaft
Die Welt des Fußballs
ist "besudelt". Das ist das Urteil Papst Benedikts. In einem Telegramm an den Erzbischof
von Catania verurteilt er außerdem jeden Gewaltakt und versichert den Angehörigen
des getöteten Polizisten seine Nähe. Nach den Krawallen um das Fußballspiel Catania-Palermo
sind die italienischen Meisterschaften "auf unbestimmte Zeit“ ausgesetzt. Heute kommt
es zum Gipfeltreffen zwischen italienischem Fußballverband, der italienischen Sportministerin
und dem Innenminister. Wie stets - auch die Kirche bleibt in Italien nicht außen vor.
Birgit Pottler berichtet:
Das gab es nie. Nicht einmal nach den Anschlägen
vom 11. September. Der italienische Fußball steht still. Die Liga pausiert. Der Weltmeister
hat sein Länderspiel abgesagt. Nichts dreht sich mehr ums runde Leder, und gleichzeitig
bestimmt es mehr denn je das öffentliche und private Leben der Italiener - genauer
gesagt seine unangenehmen Begleiterscheinungen. Und das ist nach den Straßenschlachten
von Catania noch euphemistisch formuliert. Der Sport bringe die höchsten Tugenden
des Menschen ans Licht, sagte am Morgen nach den Krawallen Kardinalstaatssekretär
Tarcisio Bertone. "Aber es kommen auch die unmenschlichsten Leidenschaften zum
Vorschein, also Anarchismus und Trieb zur Gewalt. Das ist eine Tatsache, die in der
Ausbildung der Sportler aber auch der Fans, also in der Erziehung, kontrolliert werden
muss." Es scheint Ironie des Schicksals. Hätte sich jemand einen Scherz erlauben
wollen, wäre es ein sehr schlechter: Das Sizilien-Derby Catania-Palermo war eigens
vorgezogen worden, um in Catania die Feierlichkeiten der Stadtpatronin St. Agatha
rund um den 5. Februar nicht zu stören. Doch Anstatt der großen Prozession mit Standarten
und riesigen Blumengebinden rund um den Dom und quer durch die Stadt, beging die Stadt
am Ätna - und via Staatsfernsehen das ganze Land - am Mittag das Begräbnis des getöteten
Polizisten. "Wir sind zusammen, um unseren gebührenden christlichen Gruß an einen
Bruder im Glauben zu richten und an einen treuen und stolzen Diener des Staates, Inspektor
Filippo Raciti.“ Applaus begleitete den Sarg des 38-jährigen Familienvaters durch
die Straßen Catanias. Applaus begleitete die Predigt des Apostolischen Nuntius in
Italien, Paolo Romeo. Besonders angesprochen: die Jugendlichen: "Habt den Mut,
jede Form der Verachtung des Lebens bei Seite lassen, aus keinem Beweggrund heraus,
schnellen Geschäften und materiellen Interessen nachzugeben, die zur Gewalt führen
und so eure Würde und eure Zukunft herabwürdigen.“ Gewalt in Stadien ist in
Italien seit Jahren kein Einzelfall, und es mehren sich Rufe nach ähnlich scharfen
Vorkehrungen wie Ende der 80-er Jahre in Großbritannien. Wie Großbritannien, wie Deutschland
hat auch Italien nationale Sicherheitsstandards für die Fußballstadien festgelegt.
Doch denen entsprechen nur drei von 40 Stadien. Italien will 2012 die Europameisterschaften
ausrichten. Bis dahin bleibt viel zu tun. Doch der Maßnahmenkatalog, den das Kabinett,
die Sportverbände und sogar das Parlament diskutieren, muss mehr sichern, als nur
die Wiederaufnahme des Spielbetriebs. Die Gewalt in und um die Stadien ist laut Kardinalstaatssekretär
Tarcisio Bertone nur ein Spiegel der Gesellschaft. "Das ist ein Zeichen sozialen
Ungleichgewichts, Zeichen von Ungeduld und Intoleranz, die ein unerträgliches Maß
erreicht haben. Das rührt wirklich an der Konstruktion der Gesellschaft, rührt an
ihrem Grundkonzept des menschlichen Zusammenlebens, rührt an dem Grundproblem Erziehung.
Wir sprechen von den Bürgerkriegen in Afrika, wir reden davon, wie schwierig es ist,
den Irak zu befrieden, aber dann sehen wir, dass es auch bei uns so schwierig ist,
friedlich zusammenzuleben…" Die derzeitige Spielpause ist richtig. Das ist
der Grundtenor von Liga und Verband. Wie nie zuvor, so Ligapräsident Mattarese, "muss
der Fußball sich prüfen und über die eigene Zukunft nachdenken". "Das ist eine
weise Entscheidung und ich hoffe, dass man nicht nur einen Sonntag pausiert“,
sagt auch der Fußballbegeisterte Kardinalstaatssekretär. Wie lange die Liga ausgesetzt
und wie es weiter gehen wird, ist noch unklar. Doch das werden weder Fans, noch Vereine,
noch Politiker alleine entscheiden. Es wird sich zeigen, wie groß im skandalgeschüttelten
Fußball-Italien die Lobby des Pay-TV ist. Das verliert pro spielfreies Wochenende
rund 12 Millionen Euro. Der "Osservatore Romano" hatte gar eine Spielpause von
einem Jahr gefordert. Ein Sabbatjahr für den Fußball? Das bringt nichts. Zuschauer
aussperren auch nicht. Ein Sabbatjahr für die Gesellschaft? Das reicht nicht, zuviel
liegt im Argen. Doch der Appell des Papstes wird zumindest in Italiens Bildungsbürgertum
auf großen Widerhall stoßen: die Suche nach Werten, der Respekt vor dem Gesetz, das
Fördern von Fairness und Solidarität. (rv 05.02.07 bp)