Im Nahen Osten ticken
die Uhren anders als im Westen – auch in der Ökumene. So wurde die Gebetswoche für
die Einheit der Christen in Jerusalem erst am Sonntag abgeschlossen. Auch inhaltlich
hinken die Kirchen dort ein gutes Stück hinter den ökumenischen Errungenschaften in
anderen Teilen der Welt her. Mehr als 40 Kirchen und kirchliche Gemeinschaften drängen
sich in der heiligen Stadt. Gabi Fröhlich berichtet von einem Miteinander, das in
Jerusalem so vielfältig wie nirgendwo sonst ist, und dabei ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten
folgt: Eine ökumenische Gebetszeit, gestaltet von einer palästinensischen Jugendgruppe
in einer der heiligsten Stätten der Christenheit: dem Abendmahlssaal auf dem Zionsberg.
Einmal pro Jahr genehmigen die israelischen Behörden einen christlichen Gottesdienst
in dem ansonsten nur für Besichtigungen geöffneten Saal. Der Raum passt perfekt zum
Anlass: Hier, wo die Kirche am Pfingsttag ihren Ursprung genommen haben soll, sind
jetzt Hunderte aus aller Welt und verschiedensten Konfessionen zusammengeströmt. Genau
hier soll Christus gebetet haben: Dass sie eins seien. Und im gemeinsam in vielen
Sprachen gebeteten Vaterunser wurde etwas davon spürbar. Die pfingstliche Atmosphäre
im Abendmahlssaal ließ vergessen, dass nicht alle Gottesdienste während der Gebetswoche
so harmonisch waren wie dieser. Zum ersten Mal überhaupt stand dieses Jahr z.B. die
einflussreiche griechisch-orthodoxe Kirche mit einer Gebetszeit auf dem Programm,
und zwar mit einer Vesper in der Grabeskirche. Das war zwar an sich schon eine kleine
Revolution - die aber dadurch relativiert wurde, dass den Gästen aus den anderen Kirchen
das Mitbeten offiziell untersagt war. Der evangelische Propst Uwe Gräbe spricht von
widersprüchlichen Gefühlen bei dieser Feier: „Es war ein orthodoxes Abendgebet,
bei dem wir anderen Kirchen gar nicht wahrgenommen worden sind. Wir haben dabei gestanden,
aber sie haben das Abendgebet so gefeiert, als wäre da niemand, als wäre da Luft.“ Trotz
dieser strengen Trennung wurde die ökumenische Feier von vielen orthodoxen Mönchen
anschließend misstrauisch kommentiert. Der griechisch-orthodoxe Priester Pater Alexander
versucht zu erklären, worauf es seiner Kirche ankommt: „Nicht wirklich zusammen zu
beten, weil wir getrennt sind. Wir dürfen die Geschichte, die uns trennt, nicht einfach
überspringen.“ Die Grabeskirche war nicht zum ersten Mal Zeugin der schwierigen
Ökumene im Heiligen Land: Griechische-Orthodoxe, katholische Lateiner, Armenier und
Kopten haben jahrhundertealte Anrechte in der Basilika. Dabei kommt es bis in unsere
Tage immer wieder zu Handgreiflichkeiten. Dennoch wehrt sich der für die Katholiken
zuständige Franziskanerkustos Pierbattista Pizzaballa gegen die Behauptung, dass die
Konfessionen in der Grabeskirche heillos zerstritten seien. „Es ist absolut nicht
wahr, dass wir nicht miteinander klar kämen. Im Gegenteil treffen sich die Sakristane
und die Gemeinschaften in der Grabeskirche regelmäßig, trinken miteinander Kaffee,
essen miteinander, spielen miteinander – und streiten auch mal miteinander. Das gehört
zum Zusammenleben.“ Nicht Glaubensunterschiede sind es nach Ansicht von Pizzaballa,
die immer wieder Sand ins ökumenische Getriebe streuen, sondern die kulturelle Verschiedenheit:
„Das spüren wir zum Beispiel in der Liturgie. Was für uns ein bewegender Gottesdienst
mit großartigem Orgelspiel ist, erscheint den Orthodoxen und Kopten als reines Theater,
als eine Katastrophe. Für einen Kopten ist der Klang der Orgel grauenhaft. Was hingegen
uns nicht besonders sauber erscheint, ist für sie ganz in Ordnung. Oder was uns wie
eine monotone, nicht enden wollende Aneinanderreihung von „Kyrie eleison“ vorkommt,
ist für sie eine wundervolle Liturgie.“ Im engen Miteinander, so der Franziskaner,
kommen diese kulturellen Unterschiede und Empfindlichkeiten deutlich zum Vorschein.
„Trotz alledem gibt es aber einen Dialog - nur ist es eben nicht ein Dialog über Glaubensprinzipien
sondern das, was ich einen „Mietshaus-Dialog“ nenne. Wir leben miteinander unter einem
Dach, deshalb geht es bei uns um konkrete Fragen. Was manchmal viel schwerer ist.
Denn über das „filioque“ kann man unterschiedlicher Ansicht sein, aber es berührt
dein Leben nicht wirklich. Der Streit über die elektrischen Anlagen hingegen schon.
Gleichzeitig müssen wir uns anstrengen, eine Lösung zu finden, denn sonst hat keiner
von uns Licht. Das scheint banal zu sein, ist es aber gar nicht. Denn diese banalen
Fragen zwingen uns, miteinander klarzukommen und gemeinsame Lösungen zu finden.“ Das
Miteinander der Kirchen in Jerusalem hat so etwas ähnlich Buntes und Verwirrendes
wie ein arabischer Basar. Von den westlichen Kirchenvertretern erfordert das ein radikales
Umdenken: „Wir Westler, vor allem diejenigen aus dem Norden Europas, sind in der Regel
unfähig, unsere Vorstellungen von Kultur abzulegen und offen zu werden für eine andere
Lebensart. Wir sind hier aber nicht im Westen, wir sind im Orient. Wir Westkirchen
haben eine große Strecke in der Ökumene zurückgelegt, andere sind vielleicht noch
nicht so weit. Das müssen wir respektieren. Wir können nicht von den anderen verlangen,
dass sie alles so machen wie wir es uns vorstellen.“ Das hat auch der evangelische
Propst Uwe Gräbe erfahren: „Bei der Ökumene in Deutschland gehe es um das gemeinsame
Abendmahl – hier um gemeinsames Beten überhaupt. Wenn man als Deutscher etwas traurig
geworden ist, weil es zwischen Evangelischen und Katholiken nicht so recht vorangehen
will, und dann eine Weile hier ist - dann freut man sich doch über das, was wir in
Deutschland erreicht haben“