Papst Benedikt XVI. hat mit einem Gottesdienst in der Basilika Sankt Paul vor den
Mauern den feierlichen Abschluss der Gebetswoche für die Einheit der Christen zelebriert.
Wir dokumentieren die Predigt in einer eigenen Übersetzung.
Liebe Schwestern
und Brüder,
Während der „Gebetswoche“, die heute abend ihren Abschluss findet,
ist in den verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften auf der ganzen Welt
das gemeinsame Gebet an den Herrn um Einheit intensiviert worden. Wir haben miteinander
über die Worte des Markusevangeliums meditiert, die eben verkündet wurden: „Er
macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen.“ (Mk 7,37), einem biblischen
Thema, dass die christliche Gemeinden Südafrikas vorgeschlagen haben. Der Rassismus,
die Armut, die Auseinandersetzungen, die Ausbeutung, Krankheiten und das Leid, das
sie erleben, und die Tatsache, dass es ihnen nicht möglich ist, ihre Bedürfnissen
mitzuteilen, führt in ihnen zu dem dringenden Verlangen, das Wort Gottes zu hören
und mit Mut zu sprechen. Taubstumm sein, das heißt weder hören, noch sprechen zu können,
kann das nicht ein Zeichen fehlender Gemeinschaft und ein Symptom der Trennung sein?
Die Trennung und die Unfähigkeit, miteinander zu kommunizieren, sind Folgen der Sünde
und stehen dem Ratschluss Gottes entgegen. Afrika hat uns in diesem Jahr ein Thema
zu Bedenken gegeben, dass eine große religiöse und politische Bedeutung hat, denn
„sprechen“ und „zuhören“ sind wesentliche Voraussetzungen, um eine Zivilisation der
Liebe aufzubauen.
Die Worte „Er macht, dass die Tauben hören und die Stummen
sprechen.“ (Mk 7,37) stellen eine Frohe Botschaft dar, die das Kommen des Reiches
Gottes ankündigt und die Heilung der Unfähigkeit, miteinander kommunizieren zu können,
die Heilung der Trennung. Diese Botschaft findet sich in der ganzen Verkündigung und
im Handeln Jesu, der durch die Ortschaften, Städte und Felder zieht, und wohin er
auch kam, „trug man die Kranken auf die Straße hinaus und bat ihn, er möge sie
wenigstens den Saum seines Gewandes berühren lassen. Und alle, die ihn berührten,
wurden geheilt.“ (Mk 6,56). Die Heilung des Taubstummen, die wir in diesen Tagen
meditiert haben, geschieht, als Jesus nach dem Verlassen der Gegend von Tyrus zum
See Genezareth geht und die so genannte „Dekapolis“ durchquert, ein multi-ethnisches
und multi-religiöses Territorium (vgl. Mk 7,31). Eine emblematische Situation auch
für unsere Tage. Wie auch anderswo bringen sie Jesus einen Kranken, einen tauben und
sprechbehinderten Mann, und bitten Jesus, jedem die Hände aufzulegen. Sie bitten ihn
um einen Segen, also um eine religiöse Handlung, weil sie ihn für einen Mann Gottes
halten. Jesus führt den Taubstummen weit von der Menschenmenge weg und vollzieht Gesten,
die eine heilende Berührung bezeichnen – er legt die Finger in das Ohr, berührt mit
seinem eigenen Speichel die Zunge des Kranken -, dann mit dem Blick zum Himmel befiehlt
er „Öffne Dich!“. Er spricht diesen Befehl in aramäisch aus („Effata!“), offenbar
die Sprache der Menschen, die anwesend war und eben die des Taubstummen, einem Begriff,
die der Evangelist ins Griechische übersetzt (dianoìchteti). Die Ohren des Tauben
öffnen sich und seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und „er konnte richtig
(orthos) reden“. Jesus befiehlt, nichts über dieses Wunder zu erzählen. Doch je mehr
er es ihnen verbot, desto mehr „machten sie es bekannt.“ (Mk 7,36). Und der staunende
Kommentar der Zeugen greift die Predigt des Jesaja zur Ankunft des Messias auf: „er
macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen.“ (Mk 7,37)
Die erste
Lehre, die wir aus dieser biblischen Erzählung ziehen und an die auch im Taufritus
erinnert wird, ist, dass in einer christlichen Perspektive das Zuhören von herausragender
Bedeutung ist. Dazu stellt Jesus ausdrücklich fest: „Selig sind vielmehr die, die
das Wort Gottes hören und es befolgen.“ (Lk 11,28) Er sagt sogar, dass „nur
eines notwendig ist.“ (Lk 10,42): das Hören auf das Wort. Das ist auch von herausragender
Bedeutung für unsern ökumenischen Einsatz. Nicht wir sind es, die die Einheit der
Kirche machen oder organisieren. Die Kirche macht sich nicht selbst lebt nicht
aus sich selbst, sondern sie lebt aus dem Wort das aus dem Mund Gottes kommt. Hören
wir gemeinsam das Wort Gottes; lectio divina der Bibel halten, dass heißt eine
an das Gebet gebundene Lektüre; sich überraschen lassen von der Neuheit des Wortes
Gottes, die nie alt wird und sich nie erschöpft; unsere Taubheit überwinden für jene
Worte, die nicht mit unseren Vorurteilen und unseren Meinungen übereinstimmen; auf
jene zu hören und sie zu studieren, die bereits vor uns das Wort Gottes gehört haben,
um von ihnen zu lernen und so die Bibel in dieser langen und reichen Tradition des
Hinhörens zu lesen; all das bezeichnet den Weg, der zu beschreiten ist, um die Einheit
des Glaubens zu erreichen, als Antwort auf das Hören auf das Wort.
Wer auf
das Wort Gottes hört, kann und muss davon sprechen und es weitergeben an andere oder
an den, der es vergessen hat oder begraben unter den Dornen der Sorgen und Täuschungen
der Welt (vgl. Mt 13,22). Wir müssen uns fragen: Sind wir Christen nicht vielleicht
zu taub geworden? Fehlt uns nicht vielleicht der Mut und Zeugnis zu geben, wie es
die Zeugen der Heilung des Taubstummen in der Dekapolis gemacht haben? Unsere Welt
braucht dieses Zeugnis; sie wartet vor allem auf das gemeinsame Zeugnis der Christen.
Die Einheit lässt sich sicher nicht aufzwingen; sie wird geteilt und ist gegründet
auf der gemeinsamen Teilhabe an dem einen Glauben. Hinhören und reden, die anderen
verstehen und vom eigenen Glauben sprechen, dies sind wesentliche Dimensionen der
ökumenischen Praxis. Der ehrliche und aufrichtige Dialog stellt das wesentliche und
unentbehrliche Instrument für die Suche nach der Einheit dar. Das Dekret des II. Vatikanischen
Konzils hat unterstrichen, dass Fortschritte auf dem Weg der Gemeinschaft nicht einmal
vorstellbar sind, wenn die Christen einander nicht kennen. Im Dialog nämlich hört
man aufeinander und man kommuniziert; man stellt sich einander gegenüber und – mit
der Gnade Gottes – kann man durch das Wort zusammenkommen die Herausforderungen annehmen,
die für alle gültig sind.
Die Konzilsväter haben im Hinhören und im Dialog
nicht nur ein hilfreiches Mittel erkannt, das sich allein auf den ökumenischen Fortschritt
richtet, sondern um eine weitere Perspektive ergänzt, nämlich bezogen auf die katholische
Kirche selbst: „Aus einem solchen Dialog – so der Text des Konzils - kann auch
klarer zutage treten, was die wirkliche Situation der katholischen Kirche ist.“
(Unitatis redintegratio, 9) Es ist sicher unerlässlich „mit Klarheit die ganze Lehre
darzulegen“ in einem Dialog, der die die zwischen den Christen noch existierenden
Divergenzen angeht, diskutiert und überwindet, zugleich aber “darf die Art und
Weise der Formulierung des katholischen Glaubens keinerlei Hindernis bilden für den
Dialog mit den Brüdern“ (ebd. 11). Man muss in korrekter (orthos) und verständlicher
Weise sprechen. Der ökumenische Dialog schließt auch die evangeliumsgemäße brüderliche
Ermahnung ein und führt auch zu einer gegenseitigen spirituellen Bereicherung, wenn
authentische Erfahrungen des Glaubens und des christlichen Lebens miteinander geteilt
werden. Damit dies geschieht, müssen wir ohne Unterlass den Beistand der Gnade Gottes
erflehen und die Erleuchtung des Heiligen Geistes. Genau dies haben die Christen auf
der ganzen Welt getan während dieser besonderen „Woche“ oder werden es noch tun in
der Novene vor Pfingsten, wie auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit, indem sie
gläubig ihr Gebet erheben, auf dass alle Jünger Christi eins seien und sie im Hinhören
auf das Wort den Männern und Frauen unserer Zeit ein einmütiges Zeugnis geben können.
In dieser Atmosphäre intensiver Gemeinschaft möchte ich herzlich alle Anwesenden
grüßen: Herrn Kardinal Erzpriester dieser Basilika und die anderen Kardinäle, die
verehrten Brüder im Bischofs- und im Priesteramt, die Benediktinermönche, die Ordensfrauen
und –männer, die Laien, die die ganze Diözesan-Gemeinschaft von Rom repräsentieren.
Besonders möchte ich die Brüder der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften
grüßen, die an dieser Feier teilgenommen haben. Wir führen die Tradition fort, gemeinsam
die „Gebetswoche“ an dem Tag abzuschließen, an dem wir der überwältigenden Bekehrung
des Heiligen Paulus auf dem Weg nach Damaskus gedenken. Ich freue mich, darauf hinweisen
zu können, dass kürzlich das Grab des Völkerapostels, an dem wir stehen, eingehend
untersucht worden ist und nun – durch einen Eingriff unter dem Hochaltar – den Pilgern
zugänglich ist. Zu dieser wichtigen Initiative möchte ich meinen Glückwunsch ausdrücken.
Der Fürsprache des Heiligen Paulus, einem unermüdlichen Bauer der kirchlichen Einheit,
vertraue ich die Früchte des Hinhörens und des gemeinsamen Zeugnis an, die wir in
den vielen brüderlichen Begegnungen und den Dialogen erleben im Laufe des Jahres 2006
erleben durften. Sowohl mit den Kirchen des Ostens als auch mit den Kirchen und kirchlichen
Gemeinschaften des Westens. In diesen Ereignissen konnten wir die Freude an der Brüderlichkeit
erleben, aber auch die Trauer über die bleibenden Spannungen, immer aber an der Hoffnung
festhaltend, die uns der Herr schenkt. Danken wir denen, die zur Intensivierung des
ökumenischen Dialogs durch ihr Gebet, durch die Aufopferung ihres Leids und ihren
unermüdlichen Einsatz beigetragen haben. Wir danken vor allem unserm Herrn Jesus Christus.
Möge die Jungfrau Maria dazu beitragen, dass so bald wie möglich diese brennende Verlangen
ihres göttlichen Sohnes Wirklichkeit werde: „Auf dass alle eins seien… damit die
Welt glaubt.“ (Joh 17,21)
Arbeitsübersetzung gemäß Manuskript: P. Max Cappabianca
OP