2007-01-24 19:18:59

Vatikan: Erinnerungen an Johannes Paul II.


RealAudioMP3 „Du wirst zu mir kommen. Hier kannst du deine Studien fortsetzen und mir helfen.“ Mit diesen Worten bat der Erzbischof von Krakau, Karol Wojtyla, am 8. Oktober 1966 einen jungen polnischen Priester darum, sein Privatsekretär zu werden. Stanislaw Dziwisz sagte zu. Seit jenem Tag wich er dem Erzbischof und späteren Papst nicht mehr von der Seite. Kardinal Dziwisz, heute der Nachfolger seines früheren Mentors und Vertrauten auf dem Bischofssitz in Krakau, hat nun ein Buch mit Erinnerungen an Karol Wojtyla geschrieben. Hier einige Auszüge daraus.

Der Erzbischof von Krakau wusste sich unter Beobachtung….

Das gesamte Erzbistum, auch das Esszimmer, der Arbeitsraum und das Schlafzimmer des Kardinals, war mit Wanzen bestückt. Sie steckten in den Telefonen, hinter den Tapeten, unter den Möbeln. Wir wussten davon. Auch weil sie irgendwie naiv waren. Eines Tages kamen ohne irgendeine Absprache Arbeiter, die behaupteten, sie müssten eine Telefonstörung beheben. Und dabei versteckten sie Wanzen.
Der Kardinal amüsierte sich darüber, er sprach mit besonders lauter Stimme, wenn er wollte, dass man ihn hörte. Aber wenn heikle Themen anstanden, ging er mit seinen Gästen im angrenzenden Wäldchen spazieren. Und ausländische Bischöfe nahm er sogar mit auf Bergtouren.

Am 13. Dezember 1981 ruft General Jaruzelski in Polen das Kriegsrecht aus. Tausende Gewerkschafter und Intellektuelle, unter ihnen der Solidarnosc-Führer Lech Walesa, werden verhaftet.

Schon vor Mitternacht waren alle Kommunikationskanäle unterbrochen. Gleichzeitig hatten sie die Grenzen dicht gemacht. Und so erfuhren wir schon vor dem Fernsehen und dem Radio und vor der offiziellen Bekanntgabe durch Jaruzelski um sechs Uhr morgens vom Kriegsrecht. Keiner hatte einen Schachzug dieser Art erwartet. Auch der Heilige Vater war überrascht. Angsterfüllt und überrascht.

Der Fall der Berliner Mauer 1989.

Da er sich nicht für einen Propheten halte, wie der Heilige Vater scherzend sagte, erwartete er nicht, dass der Kommunismus so früh stürzen würde. Er betrachtete den Fall der Mauer als eine der größten Revolutionen der Geschichte. In einer religiösen Lesart sah er auch göttliches Eingreifen dahinter. Eine Art Gnade. Für ihn war die Befreiung der Nationen vom Joch des marxistischen Totalitarismus unzweifelhaft mit den Enthüllungen von Fatima verbunden. „Wenn man auf meine Wünsche hört, wird Russland sich bekehren und es wird Friede sein“, so stand es in den ersten beiden Teilen des „Geheimnisses“.

Der 11. September 2001 im Vatikan.

Der Heilige Vater befand sich in Castelgandolfo. Das Telefon läutete, und am anderen Ende der Leitung erklang die erschrockene Stimme von Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano. Wir ließen den Fernseher einschalten, und der Papst verfolgte diese dramatischen Bilder, den Einsturz der Türme mit den vielen eingeschlossenen Opfern darin. Den Rest des Tages verbrachte der Papst zwischen der Kapelle und dem Fernseher, und großes Leid bedrückte ihn.

Er war sehr besorgt darüber, dass das vielleicht noch nicht das Ende war. Dass dieses Attentat eine Spirale der Gewalt ohne Ende auslösen könnte. Nach seiner Ansicht war für das Aufkommen der Plage des Terrorismus unter anderem die große Armut verantwortlich, die mangelnden Chancen auf Bildung, an der viele arabische Völker leiden.


März 2003: Johannes Paul versucht, den zweiten Golfkrieg abzuwenden. Beim Angelusgebet am 15. März findet er die deutlichsten Worte, die jemals ein Papst gegen einen Krieg gesprochen hat.


Als er den Text am Fenster las, schien es als wolle der Heilige Vater die letzte Hoffnung begleiten, die die Wege der Welt ging. Drei Mal wiederholte er: Es ist noch Zeit! Es ist nie zu spät! Doch all das schien ihm nicht genug. Er hatte intuitiv verstanden, dass die Situation am Kippen war, dass man auf einen Krieg zuging, der riskierte, sich in einen „Heiligen Krieg“ zu verwandeln. Und so fühlte er das Bedürfnis zu sagen, was ihm auf dem Herzen lag, sein persönliches Zeugnis einzubringen. Er wollte daran erinnern, dass er zur Generationen derer gehörte, die den Krieg erlebt hatten. „Nie wieder Krieg!“ Ich sah ihn nur im Profil, als ich mit ihm im Arbeitszimmer stand, aber ich sah ihn. Ich sah, wie sein Gesicht sich immer mehr anspannte, und wie seine rechte Hand seinen Worten noch mehr Kraft zu verleihen suchte.

Das Ende.

Es war 21:37 Uhr. Wir hatten bemerkt, dass der Heilige Vater zu atmen aufgehört hatte…. Doktor Buzzonetti (der päpstliche Leibarzt, Anm.) beugte sich über ihn und murmelte, fast ohne den Blick zu heben: „Er ist ins Haus des Vaters gegangen.“ Unterdessen hatte jemand die Zeiger der Uhr zum Stillstand gebracht. Als ob wir es alle gleichzeitig entschieden hätten, stimmten wir das Te Deum an. Nicht das Requiem, denn es war kein Trauerfall, sondern das Te Deum, als Dank an Gott für das Geschenk, das er uns gemacht hatte, das Geschenk des Heiligen Vaters, das Geschenk Karol Wojtyla.

Wir weinten. Wie konnte man in so einem Augeblick nicht weinen! Es waren Tränen des Schmerzes und der Freude zugleich. Und nun gingen alle Lichter der Wohnung an. Dann erinnere ich mich an nichts mehr. Es war, als wäre ich in eine Finsternis gefallen. Dunkelheit über mir und in mir. …

Ich habe ihn fast 40 Jahre begleitet, zuerst zwölf in Krakau, dann 27 in Rom. Ich war immer mit ihm, an seiner Seite… Bis zu diesem Punkt der Kirche. Doch ab da ist er allein gegangen. Und dann? Auf der anderen Seite, wer begleitet ihn?

„Ein Leben mit Karol“ von Kardinal Stanislaw Dziwisz ist vorerst auf polnisch und italienisch erschienen. Wir übersetzten die Auszüge aus dem Italienischen.

(rv 23.01.07 gs)








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