„Du wirst zu mir kommen.
Hier kannst du deine Studien fortsetzen und mir helfen.“ Mit diesen Worten bat der
Erzbischof von Krakau, Karol Wojtyla, am 8. Oktober 1966 einen jungen polnischen Priester
darum, sein Privatsekretär zu werden. Stanislaw Dziwisz sagte zu. Seit jenem Tag wich
er dem Erzbischof und späteren Papst nicht mehr von der Seite. Kardinal Dziwisz, heute
der Nachfolger seines früheren Mentors und Vertrauten auf dem Bischofssitz in Krakau,
hat nun ein Buch mit Erinnerungen an Karol Wojtyla geschrieben. Hier einige Auszüge
daraus.
Der Erzbischof von Krakau wusste sich unter Beobachtung….
Das
gesamte Erzbistum, auch das Esszimmer, der Arbeitsraum und das Schlafzimmer des Kardinals,
war mit Wanzen bestückt. Sie steckten in den Telefonen, hinter den Tapeten, unter
den Möbeln. Wir wussten davon. Auch weil sie irgendwie naiv waren. Eines Tages kamen
ohne irgendeine Absprache Arbeiter, die behaupteten, sie müssten eine Telefonstörung
beheben. Und dabei versteckten sie Wanzen. Der Kardinal amüsierte sich darüber,
er sprach mit besonders lauter Stimme, wenn er wollte, dass man ihn hörte. Aber wenn
heikle Themen anstanden, ging er mit seinen Gästen im angrenzenden Wäldchen spazieren.
Und ausländische Bischöfe nahm er sogar mit auf Bergtouren.
Am 13. Dezember
1981 ruft General Jaruzelski in Polen das Kriegsrecht aus. Tausende Gewerkschafter
und Intellektuelle, unter ihnen der Solidarnosc-Führer Lech Walesa, werden verhaftet.
Schon
vor Mitternacht waren alle Kommunikationskanäle unterbrochen. Gleichzeitig hatten
sie die Grenzen dicht gemacht. Und so erfuhren wir schon vor dem Fernsehen und dem
Radio und vor der offiziellen Bekanntgabe durch Jaruzelski um sechs Uhr morgens vom
Kriegsrecht. Keiner hatte einen Schachzug dieser Art erwartet. Auch der Heilige Vater
war überrascht. Angsterfüllt und überrascht.
Der Fall der Berliner Mauer
1989.
Da er sich nicht für einen Propheten halte, wie der Heilige Vater
scherzend sagte, erwartete er nicht, dass der Kommunismus so früh stürzen würde. Er
betrachtete den Fall der Mauer als eine der größten Revolutionen der Geschichte. In
einer religiösen Lesart sah er auch göttliches Eingreifen dahinter. Eine Art Gnade.
Für ihn war die Befreiung der Nationen vom Joch des marxistischen Totalitarismus unzweifelhaft
mit den Enthüllungen von Fatima verbunden. „Wenn man auf meine Wünsche hört, wird
Russland sich bekehren und es wird Friede sein“, so stand es in den ersten beiden
Teilen des „Geheimnisses“.
Der 11. September 2001 im Vatikan.
Der
Heilige Vater befand sich in Castelgandolfo. Das Telefon läutete, und am anderen Ende
der Leitung erklang die erschrockene Stimme von Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano.
Wir ließen den Fernseher einschalten, und der Papst verfolgte diese dramatischen Bilder,
den Einsturz der Türme mit den vielen eingeschlossenen Opfern darin. Den Rest des
Tages verbrachte der Papst zwischen der Kapelle und dem Fernseher, und großes Leid
bedrückte ihn.
Er war sehr besorgt darüber, dass das vielleicht noch nicht
das Ende war. Dass dieses Attentat eine Spirale der Gewalt ohne Ende auslösen könnte.
Nach seiner Ansicht war für das Aufkommen der Plage des Terrorismus unter anderem
die große Armut verantwortlich, die mangelnden Chancen auf Bildung, an der viele arabische
Völker leiden.
März 2003: Johannes Paul versucht, den zweiten Golfkrieg
abzuwenden. Beim Angelusgebet am 15. März findet er die deutlichsten Worte, die jemals
ein Papst gegen einen Krieg gesprochen hat.
Als er den Text am Fenster
las, schien es als wolle der Heilige Vater die letzte Hoffnung begleiten, die die
Wege der Welt ging. Drei Mal wiederholte er: Es ist noch Zeit! Es ist nie zu spät!
Doch all das schien ihm nicht genug. Er hatte intuitiv verstanden, dass die Situation
am Kippen war, dass man auf einen Krieg zuging, der riskierte, sich in einen „Heiligen
Krieg“ zu verwandeln. Und so fühlte er das Bedürfnis zu sagen, was ihm auf dem Herzen
lag, sein persönliches Zeugnis einzubringen. Er wollte daran erinnern, dass er zur
Generationen derer gehörte, die den Krieg erlebt hatten. „Nie wieder Krieg!“ Ich sah
ihn nur im Profil, als ich mit ihm im Arbeitszimmer stand, aber ich sah ihn. Ich sah,
wie sein Gesicht sich immer mehr anspannte, und wie seine rechte Hand seinen Worten
noch mehr Kraft zu verleihen suchte.
Das Ende.
Es war 21:37
Uhr. Wir hatten bemerkt, dass der Heilige Vater zu atmen aufgehört hatte…. Doktor
Buzzonetti (der päpstliche Leibarzt, Anm.) beugte sich über ihn und murmelte, fast
ohne den Blick zu heben: „Er ist ins Haus des Vaters gegangen.“ Unterdessen hatte
jemand die Zeiger der Uhr zum Stillstand gebracht. Als ob wir es alle gleichzeitig
entschieden hätten, stimmten wir das Te Deum an. Nicht das Requiem, denn es war kein
Trauerfall, sondern das Te Deum, als Dank an Gott für das Geschenk, das er uns gemacht
hatte, das Geschenk des Heiligen Vaters, das Geschenk Karol Wojtyla.
Wir weinten.
Wie konnte man in so einem Augeblick nicht weinen! Es waren Tränen des Schmerzes und
der Freude zugleich. Und nun gingen alle Lichter der Wohnung an. Dann erinnere ich
mich an nichts mehr. Es war, als wäre ich in eine Finsternis gefallen. Dunkelheit
über mir und in mir. …
Ich habe ihn fast 40 Jahre begleitet, zuerst zwölf in
Krakau, dann 27 in Rom. Ich war immer mit ihm, an seiner Seite… Bis zu diesem Punkt
der Kirche. Doch ab da ist er allein gegangen. Und dann? Auf der anderen Seite, wer
begleitet ihn?
„Ein Leben mit Karol“ von Kardinal Stanislaw Dziwisz ist
vorerst auf polnisch und italienisch erschienen. Wir übersetzten die Auszüge aus dem
Italienischen.