2007-01-20 18:31:19

Vatikan: Kardinal Kasper im Interview zum Stand der Ökumene


RealAudioMP3 Die Weltgebetswoche zur Einheit der Christen ist derzeit eines der Hauptthemen im Vatikan. Hauptmotor ist der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper, Präsident des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen. Birgit Pottler hat mit ihm gesprochen:


Kardinal Kasper, Sie haben ein neues Buch geschrieben bzw. herausgegeben. Das Thema: Spirituelle Ökumene. Ist das die Basis auf der man aufbauen muss, auf der man weiter vorangehen kann?


Spirituelle Ökumene ist für uns das Zentrum, das Herz der Ökumene, das hat schon das Konzil gesagt, das haben Johannes Paul II und auch der jetzige Papst schon oft gesagt. Denn wir können die Einheit der Kirche ja nicht machen, man kann sie nicht organisieren. Das ist letztlich ein Geschenk des Hl. Geistes. Das ist auch meine Erfahrung bei sehr vielen ökumenischen Gesprächen. Wenn da keine spirituelle Dimension da ist, wenn man nicht gemeinsam betet, gemeinsam die Schrift betrachtet, oder auch zu einem persönlichen Austausch kommt über das geistliche Leben, dann kann man den Dialog vergessen. Der Geist Gottes muss uns das Herz erst öffnen. In diesem Büchlein, das wir auf Anregung unserer Vollversammlung hin veröffentlicht haben, möchten wir erstmal ganz konkrete Formen zeigen, was denn heute schon alles möglich ist. Und es wird herauskommen, es ist viel, viel mehr möglich als man gewöhnlich denkt. Wenn wir das nur mal tun würden, was möglich ist und was jeder einzelne Christ tun kann, was nicht nur eine Sache von Fachleuten ist, dann wären wir schon ein ganzes Stück weiter.


Zum Beispiel? Was ist denn möglich?


Möglich ist das gemeinsame Beten und das Beten des Einzelnen, das Betrachten, das Lesen der Hl. Schrift - das Gemeinsame, das Einzelne, man kann die ganzen Heiligenfeste, die ja zum Teil auch Patrone der Evangelischen Kirche sind, miteinander feiern, man kann gemeinsame Aktionen machen im sozialen, im karitativen Bereich, man kann Wortgottesdienste organisieren. Es sind tausend Dinge möglich. Das kann ich alles gar nicht aufzählen. Und das müsste man zunächst tun, und dann kann man überlegen wie man weiterkommt.


Ist das ein eine Antwort oder auch eine Bremse für die scheinbaren Aktionisten, die erst ganz viel machen wollen? Erinnern sie die jetzt daran, sich auf das Gebet zu besinnen?


Ich habe nichts gegen Aktionen, selbstverständlich ist das auch nötig. Aber Aktionen ohne geistliche Grundlagen laufen ins Leere, und aus einer geistigen Grundlage heraus können Aktionen entstehen. Da ist nichts gegeneinander auszuspielen. Aber es geht darum, was ist das Herz, was ist die Mitte, was ist das Tragende des Ganzen und was kann jeder Christ jeden Tag tun. Es wird ja oft gesagt, das ist nur eine Spezialistenangelegenheit, eine Angelegenheit von Bischöfen, den Oberen sozusagen. Nein. Jeder Christ ist aufgefordert und jeder Christ ist mitverantwortlich.


Gehen wir zur Gebetswoche für die Einheit der Christen. Das Thema: "Christus macht, dass die Tauben hören, und die Stummen sprechen"(Mk 7). Ganz provokant gefragt: Wer ist der Taube und wer der Stumme in diesem ökumenischen Prozess?


Wir alle sind das zu einem gewissen Grad Taub gegenüber dem Wort Gottes, das uns einlädt zum christlichen Leben, das uns einlädt zur Einheit. Wir hören immer gern die Sachen, die bestätigen. Da gehört auch das kritische Hören dazu. Gemeinsam das Wort Gottes zu hören, zu lesen, das ist ein ganz wichtiger Aspekt der Ökumene. Und dann auch gemeinsam zu sprechen. Wir sind viel zu stumm als Christen, wir geben viel zu wenig Zeugnis von unserem Glauben und das nicht nur auf dem politischen Feld und in der Zeitung, sondern auch im alltäglichen Leben. Sich hinstelle und von seinem Glauben Zeugnis geben, frohes Zeugnis geben, das müssen wir heute ökumenisch und gemeinsam. Insofern betrifft dieses Wort uns alle. Auch uns Katholiken und vielleicht zuerst uns Katholiken.


Es ist eine WELTgebetswoche. Gibt es aber aus ihrer Erfahrung heraus Länder, in denen der ökumenische Prozess weiter voranschreitet, in denen er stockt… Wie kann man eine Landkarte zeichnen?


Es ist ganz schwierig, denn wir haben in Deutschland eine Situation, in der ein Drittel etwa katholisch, ein Drittel etwa protestantisch ist und ein weiters Drittel ist weder noch. Also zwei gleich starke Kirchen. Das ist eine Ausnahmesituation. In den meisten Fällen ist die katholische Kirche entweder Mehrheit oder Minderheit oder es ist eine ganz pluralistische Situation, wie wir sie etwa in den Vereinigten Staaten, in Kanada, Australien und anderen Ländern haben. Insofern ist die Situation von Land zu Land sehr verschieden.
Aber es gibt Brennpunkte der Ökumene. Eines ist die südliche Hemisphäre, wo die Pfingstkirchen unglaublich wachsen und sehr viel Gläubige auch weg nehmen. Das ist Grund zur Frage, und wir tun da im Augenblick sehr viel.
Ein anderer Brennpunkt ist immer noch Osteuropa, wo einfach in Russland nach 70, 80 Jahren oder 40 Jahren in anderen Ländern kommunistischer Propaganda die Dinge nicht so einfach sind und andere Voraussetzungen gegeben sind als bei uns. Auf der anderen Seite ist aufgrund der Integration Osteuropas der Dialog mit den orientalischen Christen besonders dringend.
In Deutschland sind wir ein bisschen traurig und betroffen, dass die Dinge im Augenblick atmosphärisch nicht so laufen wie sie laufen müssten. Und ich denke, auch in Deutschland ist ein neuer Ansatz dringend notwendig. Ein neues Wohlwollen. Abgrenzungen der Laien helfen wenig. Ich bin nicht für einen Misch-Masch, aber doch für ein Gespräch, und ich hoffe, dass diese Weltgebetswoche auch in Deutschland ein neuer Anstoß, ein Ansporn sein wird.


Die EKD hat ein Sparpapier veröffentlicht, und darin ist die Rede davon, dass man sich in strukturschwachen Regionen – salopp gesagt – die Kirchen teilen könnte, für den Gottesdienst die eine Konfession der anderen die Kirche ausleiht. Halten Sie es für vernünftig, dass jetzt quasi aus der Not eine Tugend gemacht wird?


Wir hatten solche Situationen ja unmittelbar nach 1945, wo sehr viele katholische Kirchen und sehr viele evangelische Kirchen zerstört waren oder Flüchtlinge von Osten kamen und katholische Flüchtlinge auf evangelische Gebiete und umgekehrt. Damals war man sehr, sehr großzügig im sich gegenseitig Aushelfen. Das ist grundsätzlich eine Möglichkeit. Wie das jetzt vor Ort im Einzelnen gehen soll, das muss man auch vor Ort besprechen. Also ausgeschlossen ist so etwas nicht, aber man muss es machen ohne die Unterschiede zu vermischen. Aber es kann dadurch auch eine neue Gemeinsamkeit entstehen. Aber wie gesagt, dass muss man vor Ort im Einzelnen dann sehen.


Bleiben wir in Deutschland. Der Besuch von Papst Benedikt in Bayern, vor allem in Regensburg ist im Nachhinein verbunden mit seiner Rede in der Universität und dem Dialog mit dem Islam. Es gab am selben Tag aber auch ein ökumenisches Treffen, eine Vesper im Dom. Danach gab es Kritik, konkrete Schritte und Vorschläge des Papstes wurden vermisst. Wie sehen Sie im Nachhinein diese gemeinsame Vesper?


Ich sehe sie im Nachhinein positiv, und zwar deshalb, weil der Papst auf den entscheidenden Punkt hingewiesen hat. Er hat gesagt, Aktionen und auch Einzelfortschritte nützen nichts, wenn sozusagen das Zentrum, die Grundlage des Glaubens bricht. Und das ist ja ein Phänomen, das wir in Deutschland und auch in anderen westlichen Ländern zum Teil haben. Wir heben bisher gesagt, über Gott, über Jesus Christus, über viele Dinge gibt es eine Einheit, auf die wir aufbauen können. Aber die zerbröselt ja immer mehr. Da hat der Papst, was wir dann später einen Fundamental - Ökumenismus genannt haben, vorgeschlagen. Dass wir uns gemeinsam bemühen, das was uns eigentlich eint, wieder bewusster zu machen, zu stärken. Denn alle Diskussionen über Rechtfertigungslehre hängt in der Luft, wenn wir nicht mehr wissen, wer Gott ist, wenn wir auch nicht mehr den Eindruck haben, dass wir gerechtfertigt, erlöst werden müssen. Wenn das mit der Sünde und der Verlorenheit nicht mehr da ist. Ich denke das war ein ganz wesentlicher Anstoß, den der Papst in dieser Hinsicht uns in dieser ökumenischen Feier gegeben hat, die übrigens sehr, sehr gut verlaufen ist: Die Worte des evangelischen Landesbischof Friedrich waren ja ganz auf Konsens und Versöhnung abgestimmt. Es war wirklich ein schöner und ein würdiger Gottesdienst, an den ich mich gerne erinnere.


Der Papst hat die Ökumene zu einem seiner zentralen Themen ausgerufen, schon am Tag seiner Wahl. Inzwischen gab es die Höhepunkte wie eben das Treffen mit dem Ökumenischen Patriarchen während der Türkeireise. Wie ist ihre Bilanz? Welche konkreten Schritte stehen noch an?


Also zunächst einmal, es wird ja in Deutschland sehr oft gesagt, der Papst sei sehr einseitig für die Ökumene mit den Orthodoxen. Das stimmt so gar nicht. Wir haben jetzt eine Liste gemacht, welche Art von ökumenischen Besuchern er im letzten Jahr empfangen hat. Da waren unheimlich viele Delegationen aus reformatorischen Kirchen dabei. Und er ist auch immer bereit, sie zu treffen. Also das soll man nicht gegeneinander ausspielen. Das ist ein falscher Eindruck, der in Deutschland oft erweckt wird.
Meine Bilanz ist: Der Papst ist überaus offen für das ökumenische Anliegen und es ist eigentlich immer ein voller Konsens, wenn ich mit ihm rede. Er geht auf Vorschläge immer sehr wohlwollend ein.
Was jetzt ansteht im neuen Jahr ist vor allem Sibiu, das europäische Treffen, da sind wir kräftig dabei, das vorzubereiten, damit das wirklich ein Erfolg wird. Das zweite, ist der ökumenische Rat oder näherhin die Kommission Glaube und Kirchenverfassung. Sie will das Projekt über Wesen und Sendung der Kirche weiterführen. Das ist für uns ein ganz zentrales Projekt, denn Kirche ist jetzt zum zentralen Thema geworden. Wir haben erst in diesen Tagen beschlossen, da eigens eine Arbeitsgruppe von katholischen Theologen zusammenzustellen, die mitarbeiten sollen. Da wollen wir unseren Beitrag leisten.
Viele, viele Einzelbesuche stehen an im neuen Jahr. Ob es zu einer Begegnung des Papstes mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen kommt, das weiß ich nicht. Ich hoffe es. Wir halten das für wichtig und wir tun das, was wir tun können, um so eine Begegnung irgendwo zu ermöglichen. Das wäre ein großer Fortschritt.


Stichwort Russland. Was kann die katholische Kirche tun, um sich in den ehemaligen kommunistischen Ländern zu etablieren, ohne sich gleichzeitig – wie ja in Russland geschehen – den Proselytismusvorwurf gefallen lassen zu müssen. Es ist ja eine Gratwanderung.


Sicherlich. Aber wir haben ganz klar gesagt, unsere Politik ist eindeutig, wir wollen keinen Proselytismus in dem Sinn, dass wir wirklich orthodoxe Christen zu uns herüberziehen wollen. Wenn einer aus gewissen Gründen katholisch werden will, muss man das anerkennen, muss auch die russisch-orthodoxe Kirche das anerkennen. Sowie wir anerkennen müssen – und das kommt ja auch vor – dass katholische Christen orthodox werden. Das ist Religionsfreiheit. Aber es ist nicht unsere Politik, das zu machen. Was wir tun können, ist, unsere guten, persönlichen Beziehungen zu bemühen.
Sie müssen bedenken, die katholische Kirche in Russland ist eine ganz, ganz kleine Minderheit und die normal-orthodoxen Christen nehmen uns kaum wahr, beziehungsweise, nehmen uns wahr durch die Brille von alteingesessenen Vorurteilen. Man muss noch sehr viel tun, um diese Vorurteile abzubauen. Das hindert ja teilweise auch den Patriarchen selber, weiterzugehen. Er muss auf seine Gläubigen Rücksicht nehmen.
Also: Klimaverbesserung, Zusammenarbeit in kulturellen, in sozialen Fragen ist notwendig. Wir geben Stipendien für junge Priester, dass sie hier studieren können, machen viele Besuche, die vermehren sich auch. Sehr viele katholische Bischöfe reisen nach Russland und machen Besuche, und so ist auch an der Basis sehr vieles zu tun und wir wollen auf diesem Weg weitergehen. Wir haben in den letzten Jahren auch ganz enorme Fortschritte hier erzielt.


Es gab ja jetzt auch ein Treffen mit Erzbischof Christodoulos, wie schaut der Kontakt mit den anderen Kirchen aus? Ich denke zum Beispiel an Belgrad, an die serbisch-orthodoxe Kirche.


Zunächst: Der Besuch des Erzbischofs von Athen und von ganz Griechenland war ein historisches Ereignis. Die griechische Kirche war ja sehr in sich abgeschlossen, und jetzt hat man in den letzten Jahren eine sehr gute Zusammenarbeit aufgebaut. Pfarrer aus Athen sind in Rom gewesen, Pfarrer von Rom sind nach Athen gegangen, d.h. der Dialog erreicht jetzt auch die Basis.
Ähnlich haben wir es mit Belgrad geschafft, da sehr viel aufzubrechen. Die Gastfreundschaft der serbisch-orthodoxen Kirche während des letzten internationalen theologischen Dialogs in Belgrad war überwältigend. Wir haben das überhaupt nicht erwartet. Die haben sich wirklich angestrengt, mit Bulgarien und Rumänien ist es ähnlich. Also mit diesen Kirchen sind wir eigentlich auf einem sehr guten Weg. Man kann da nichts über Nacht erreichen, das sind ja auch alte Gewohnheiten und zum Teil Vorurteile oder Stimmungen. Das braucht Zeit, das aufzubrechen. Aber wir sind auf gutem Weg. Und im übrigen, die europäische Gemeinschaft und die Integration dieser osteuropäischen Staaten in Europa hilft uns dabei, das zwingt diese ja, sich nach dem Westen zu öffnen und das zwingt auch den Westen, uns für sie zu öffnen, denn da geht es ja nicht nur um wirtschaftliche Fragen, sondern man muss die Herzen der Menschen gewinnen. Und das heißt auch, man muss über diese religiösen und kulturellen Fragen miteinander sprechen. Und das ist eine wirklich reiche, auch menschlich reiche Kultur, von der wir uns im Westen einiges abschneiden können.


Letzte Frage: Über Europa ist gerade der Orkan „Kyrill“ hinweggefegt. Wie würden Sie die Großwetterlage in der Ökumene beschreiben? Orkan „Kyrill“? Nein, oder?


Nein, nein gar kein Orkan, manchmal eher ein bisschen Windstille, das Gegenteil. Es gibt, und da haben wir bei der letzten Vollversammlung ausführlich gesprochen, eine Klimaveränderung, wie es sie ja auch meteorologisch gibt, in der Ökumene. Ich habe schon erwähnt, in der südlichen Hemisphäre gibt es dieses rasche Anwachsen der Pfingstkirche und der charismatischen Bewegungen. Dann auch der evangelikalen Richtungen, die gibt es auch bei uns im Westen. Dann gibt es in den westlichen Kirchen eine Zunahme von liberalen Tendenzen, auch in ethischen Fragen - das macht uns große Sorgen und Schwierigkeiten. So gibt es auch ein gewisses Erkalten des ökumenischen Interesses im Augenblick.. Andererseits begegnet mir sehr oft auch bei vielen Klöstern in die ich komme, ein großes Interesse und sehr viel Gebet bei den Menschen um die Einheit der Christen, und das freut mich eigentlich am meisten, denn darauf kommt es entscheidend an. Ich denke, wir müssen diese innere Wärme und diese innere Glut wieder mehr erwecken, und dann werden daraus auch Früchte entstehen.

(rv 20.01.07 bp)







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