2007-01-18 18:53:17

Im Kreuzfeuer: Der Fall Wielgus und seine Folgen


RealAudioMP3 Es ist viel Porzellan zerbrochen in den vergangenen Wochen, vor allem wohl Vertrauen enttäuscht. Hier eine Zusammenfassung des Falls Wielgus aus unserer Sendung "Kreuzfeuer" von Birgit Pottler.


"Das Verhalten von Monsignore Wielgus in Jahren des kommunistischen Regimes in Polen hat sein Ansehen schwer beschädigt, auch bei den Gläubigen." So Vatikansprecher Pater Federico Lombardi am Tag des Rücktritts des Warschauer Erzbischofs. Die polnische Kirche ist aufgewacht und mit ihr das ganze Land. Erstens weil wohl nirgends in Europa Kirche oder zumindest Glauben und Gesellschaft so eng miteinander verwoben sind. Zweitens weil der Streit um Wielgus’ Geheimdiensttätigkeit gezeigt hat, wie jung die Demokratie noch ist, wie brüchig die Unabhängigkeit einer frei agierenden Kirche. Die kommunistische Vergangenheit ist nicht aufgearbeitet.
Es ist ein Moment großen Leids, hatte Lombardi erklärt: "Deshalb scheint, trotz seiner demütigen und bewegenden Bitte um Vergebung, der Verzicht auf den Stuhl von Warschau und dessen schnelle Annahme seitens des Heiligen Vaters die angemessene Lösung zu sein um auf die Desorientierung zu reagieren, die in der Nation um sich gegriffen hat."
Stanislaw Wielgus war am 7. Januar zurückgetreten, zwei Tage nachdem er sein Amt als Erzbischof von Warschau angetreten hatte. Die Katholiken sprechen inzwischen vom "Schwarzen Sonntag“.


In die öffentliche Kritik geraten: der Nuntius in Polen, Erzbischof Jozef Kowalczyk. Er hätte seine Arbeit nicht richtig gemacht, den Vatikan nicht gut genug informiert. Kowalczyk selbst verteidigt sein Vorgehen, sagt, Verfahrensfehler habe es keine gegeben, er selbst wusste schlicht nichts. Wielgus habe von Geheimdienstkontakten gesprochen, aber nichts davon, dass er einer Spitzeltätigkeit zugestimmt hätte. Deswegen sei Wielgus auch nicht in erster Linie zurückgetreten, so Kowalczyk. Schuld sei der Druck, unter dem er gestanden habe. "Man muss daran erinnern, dass man - symbolisch gesprochen - mit einem Satz einen Menschen töten kann. Das kann man später auch nicht mehr rückgängig machen. Was nun die Lage von Monsignore Wielgus angeht: Er hat die Erzdiözese zurückgegeben, weil sein Name beschmutzt worden war. In dieser Situation kann man weder den Dienst in einer Pfarrei noch in der Erzdiözese akzeptieren. Monsignore Wielgus hat das erkannt und gesagt: Ich trete zurück."

 
Das gleiche sagte der Primas von Polen, Kardinal Jozef Glemp. Der Vorgänger und gleichzeitig Interimsnachfolger hatte Wielgus schon am Tag des Rücktritts verteidigt. Die geplante Messe zu dessen feierlichen Amtseinführung war schnell in einen Dankgottesdienst für Kardinal Glemps Verdienste umgewandelt worden. In der Predigt wetterte dieser gegen die "Pressehetze". "Heute hat man über Wielgus gerichtet. Aber was ist das für ein Gericht? Nur auf Grundlage von Gerüchten und Indizien, die zum x-ten mal aufgewärmt wurden. So ein Gericht wollen wir nicht!"
Es gab Applaus für Glemp, es gab Tumulte auf der Straße, es gab Proteste und Bravo-Rufe. Auf einer eigens eingerichteten Internetseite dankten polnische Gläubige dem Papst via E-Mail für die so wörtlich "schnelle und entschiedene Lösung der Krise“ der polnischen Kirche. Die Initiative soll vom Klub der katholischen Intelligenz Warschaus ausgehen. Andere Laienorganisationen hatten sich angeschlossen. Anders der Rundfunksender "Radio Maryja“, dessen Kontroll- und Beratungsgremium Wielgus angehört und der in Polen seit Monaten für Unruhe sorgt. "Radio Maryja“ hatte einen Solidaritätsaufruf gestartet.


Wielgus beteuert, er habe niemandem geschadet. Doch der Fall Wielgus zieht Kreise und hat Folgen, nicht nur, weil vatikanische wie örtliche Kirchenbehörden nun die Schuldzuweisungen hin und her schieben. Vatikansprecher Lombardi hatte betont, "dass der Fall von Monsignore Wielgus nicht der erste ist und wahrscheinlich nicht der letzte sein wird, in dem Persönlichkeiten der Kirche auf Grundlage der Geheimdienstunterlagen des früheren Regimes angeklagt werden. Es handelt sich um endloses Material, und man darf bei der Auswertung und daraus zu ziehenden glaubwürdigen Schlussfolgerungen nicht vergessen, dass es von Funktionären eines diktatorischen und erpresserischen Regimes angefertigt wurde."

Nuntius Jozef Kowalczyk:
"Die Bewertung des gesammelten Materials, das hier und dort existiert, ist Ansichtssache. Diese Auswertung muss von Experten gemacht werden, die alle Techniken kennen, mit denen man Dokumente herstellt, von Experten, die alle Techniken kennen, mit denen Geheimdienstmaterial gesammelt wird. Dann erst kann man über einen Menschen urteilen."

 
Entsprechend handeln die polnischen Bischöfe: Jeder der 133 Oberhirten soll das Institut für das Nationale Gedächtnis (IPN), das die Unterlagen der kommunistischen Geheimdienste verwahrt, um eine Überprüfung bitten, beschloss die Bischofskonferenz am 12. Januar einstimmig bei einer Sondersitzung in Warschau. Zudem sollen in allen 44 Diözesen lokale kirchliche Untersuchungskommissionen eingerichtet werden, sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Jozef Michalik. Bisher hatte es nur in sieben Diözesen entsprechende Einrichtungen gegeben. "Die Kirche fürchtet keine Wahrheit, die Wahrheit verteidigt die Kirche", betonte Michalik. Er selbst habe bereits die von der Kirche eingerichtete Historische Kommission darum gebeten, seine "Akte" im IPN zu überprüfen.


Die polnischen Medien applaudierten. Daniel Kaiser berichtet aus Warschau:
"Biskupi do Lustracji" – "Bischöfe zur Durchleuchtung!“ Die Entscheidung der Bischofskonferenz ist ein Befreiungsschlag. Mit dem Vorstoß reagiert die Kirche darauf, dass es in den Medien fast täglich neue Enthüllungsberichte über vermeintliche Stasi-Spitzel in der Kirche gab. So hatte beispielsweise die Tageszeitung "Dziennik" geschrieben, dass mindestens zwölf Bischöfe dem Geheimdienst zugearbeitet haben.
Die Ergebnisse der Untersuchung sollen nicht veröffentlicht werden.
Die Akten wandern in den Vatikan. Dort werden sie noch einmal analysiert und bewertet. Sollte sich herausstellen, dass Bischöfe tatsächlich mit dem Geheimdienst SB (Sluzba Bezpieczenstwa)zusammengearbeitet haben, dann müsse der Vatikan entscheiden, ob die Betroffenen im Amt bleiben können oder nicht. Nach Ansicht der polnischen Kirche gibt es in Polen kein Gericht, das qualifiziert sei, über einen Bischof zu urteilen.

Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone zeigte sich indes zufrieden mit der Entscheidung des polnischen Episkopats. Er erklärte nach der Sondersitzung der Bischöfe: "Kommunikation ist notwendig. Ein Kommunikationsdefizit ist immer gefährlich und schädlich. Es macht es unmöglich, gereifte und begründete Beschlüsse zu fassen, verwehrt es vor allem, zwischen Wahrheit und Fälschung bei diesen so genannten Dokumenten zu entscheiden. Ich möchte betonen, wie wichtig das für alle ist, nicht nur für die Geistlichen, sondern für alle, die in der Vergangenheit mit jeder Art von Regime zusammengearbeitet haben."
Man müsse ganz genau aufarbeiten und unterscheiden können, "was wahr ist und was erfunden, was gefälscht ist und auf Strategien zur Destabilisierung hinweist".
Es sei schlicht nicht fair, falsche Dokumente zu benutzen, um Menschen zu schaden und ins schlechte Licht zu rücken. Doch ein Verfahren für Kirchenmänner reicht dem zweiten Mann im Vatikan nicht aus. Er fordert genaue Untersuchungen auch im staatlichen Bereich.
"Ich wäre zufrieden, - das habe ich auch den zuständigen Behörden gesagt - wenn alle Funktionäre untersucht würden, nicht nur von Parteien, sondern auch von öffentlichen Behörden und Funktionäre, die politisch eine Rolle spielen - in der polnischen Gesellschaft und auch in den anderen Ländern Osteuropas."
Bemerkung der Beobachterin: Nur so kann die öffentliche Hand in Polen auch den inzwischen mehrmals aufgetauchten Vorwurf eines Rachefeldzugs gegen die katholische Kirche widerlegen.

Beobachter sprechen seit Wochen von zwölf, inzwischen gar von 15 Bischöfen, die dem Geheimdienst aktiv zugearbeitet haben sollen. Nach Schätzungen von Primas Glemp haben 15 Prozent mit den Kommunisten gemeinsame Sache gemacht. Auch wenn er Wielgus jetzt verteidigte, zum Jahrestag der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen und der Verhaftung der Solidarnosc-Führer vor wenigen Wochen sagte Glemp: "Die Durchleuchtung, ist schon jetzt sehr schwierig. Wenn wir nicht den ganzen Mechanismus aufdecken, den sich damalige Machthaber zu nutze gemacht haben, um die Intelligenz des Landes zu manipulieren, dann wird man das nicht verstehen, was da passiert ist."
Insgesamt wird es wohl schwierig sein, in der Hierarchie der polnischen Kirche jemanden zu finden, der niemals wenigstens kontaktiert oder umgekehrt eben vom Regime beobachtet worden war. Die Kirche in Polen wäre sonst kaum so einflussreich in Polens Gesellschaft gewesen. Absolute Kontrolle war der Preis, den der Kommunismus ihr abverlangte.


Das wusste auch Johannes Paul II. aus seiner eigener Vergangenheit. Stefan Kempis fasst zusammen:
Er kannte seine polnische Kirche. Er hatte, zur Zeit des kommunistischen Regimes, den besten Platz dazu: den zweiten nämlich. Hinter dem greisen, übermächtigen Bekenner-Kardinal von Warschau, Stephan Wyszynski, konnte sich Karol Wojtyla als Kardinal von Krakau zurückhalten und beobachten. Der Geheimdienst wusste offenbar nicht so genau, was von ihm zu halten war: War er ein eher verschrobener Philosoph? Vielleicht völlig unpolitisch? "Sie haben`s auch bei mir versucht“, wird Wojtyla später einmal erzählen. "Sie haben mich vorgeladen, aber ich bin ihren Fragen ausgewichen.“ Dass andere – auch Kirchenleute – sich bereitwilliger auf einen faustischen Pakt mit den Stasi-Herren einließen, wird ihm nicht entgangen sein.
1978: Das Regime versucht nach neuesten Erkenntnissen in einer Undercover-Operation, Wojtyla von einer möglichen Nachfolge Wyszynskis in Warschau fernzuhalten. Aber es rechnet nicht mit der Möglichkeit B: einer Wahl Wojtylas zum Papst. Wenige Monate vergehen, schon besucht Polens plötzlich größter Sohn seine kommunistische Heimat. Und feiert eine Massen-Messe mitten im Herzen von Warschau.
"Und ich rufe: Ich, Sohn der polnischen Erde und zugleich ich, Johannes Paul II, Papst, ich rufe aus der Tiefe dieses Jahrtausends, ich rufe am Vorabend des Pfingstfestes, komm herab Heiliger Geist! Komm, und erneuere das Antlitz der Erde, das Antlitz dieser Erde. Amen."
Wenige Tage später, in Krakau, wird Johannes Paul II. noch deutlicher. "Man muss den Mut haben, in eine Richtung zu gehen, in die bis her noch niemand gegangen ist. Ohne diesen Mut können Völker und Systeme in diesen Zeiten weder einander näher kommen, noch kann man den Frieden herstellen."
Die Marschrichtung für die polnische Kirche ist klar: Neue Wege gehen, Mut zum Bekenntnis. Nicht zurückweichen. Kirchenintern fährt der Papst gleichzeitig aber keinen harten Kurs; sein Einfluss auf Polens Kirche ist eher ideell als konkret – vielleicht, weil der große Wyszynski sich nicht so einfach aus der Ferne steuern lässt. Dass Johannes Paul davon wusste, dass auch Kirchenleute mit dem Regime zusammenarbeiteten, steht fest. Womöglich dachte er auch an seine schuldig gewordenen Amtsbrüder in der Heimat, als er zum Heiligen Jahr 2000 ein großes Schuldbekenntnis für Kirchenleute ablegte. "Wir tragen die Last der Irrtümer und die Schuld derer, die uns vorausgegangen sind. Die Verfehlungen der Vergangenheit anerkennen, dient dazu, unser Gewissen aufzuwecken angesichts der falschen Kompromisse der Gegenwart. Wir vergeben und bitten um Vergebung. Trotz aller Heiligkeit in der Kirche, kann sie doch auch die Untreue gegenüber dem Evangelium nicht leugnen, die gewisse unserer Brüder im Verlauf der vergangenen tausend Jahre begangen haben."
Die letzte seiner vielen Reisen nach Polen stellt Papst Wojtyla unter das Motto: Göttliche Barmherzigkeit. Das lege er, so sagt er es bei der letzten Messe in Krakau, vor allem seinen Amtsbrüdern ans Herz, sagt er. Das ist im August 2002. Drei Jahre vor dem Tod des Papstes – und viereinhalb Jahre vor dem Fall Wielgus.
 
Barmherzigkeit hatte Johannes Paul seinen Polen ans Herz gelegt. In diesem Sinn spricht der Gnesener Erzbischof Henryk Muszynski. Der gilt als einer der profiliertesten Kirchenmänner Polens und sagte nach Wielgus’ Fall, er wolle nicht verteidigen, was nicht zu verteidigen sei. Meint wohl das lange Schweigen. "Aber wenn jemand seine Schuld anerkennt, sollte man ihm im Sinne des Evangeliums die Hand reichen.“ Der langjährige Papstsekretär und jetziger Oberhirte von Krakau, Stansilaw Dziwisz, sprach von einem "Jugendirrtum“.

Wie um den Aktendeckel fürs erste zu Schließen, wurde am Sonntag nach der Sondersitzung der Bischöfe ein Hirtenbrief in allen Gottesdiensten verlesen. Von dramatischen Ereignissen, ist darin die Rede, von Schmerz, sichtbar gewordenen Spaltungen zwischen den Gläubigen. Die Bischöfe danken dem Papst für seine "väterliche Hilfe“. Die Entscheidung von Mitbruder Wielgus nehmen sie "mit Respekt“ entgegen, er habe über Jahre treu für das Wohl der Kirche gewirkt. Die "dunkle Vergangenheit“ des totalitären Regimes sei noch immer spürbar. Doch die Kirche habe keine Angst vor der Wahrheit, denn nur sie mache frei. Auch Bischöfe und Priester bedürften der Vergebung, daher rufen die Oberhirten den gesamten Klerus zu einem besonderen Bußtag am Aschermittwoch auf, bei dem für die Fehler und Schwächen um Vergebung gebetet werden soll. Die Politiker, so die Bischöfe weiter, sollten dafür sorgen, dass verantwortungsvoll mit den Akten umgegangen wird, ohne Rechte und Würde der Menschen zu verletzten.


Der Fall Wielgus wird wohl frühestens gelöst, wenn ein neuer Erzbischof in Warschaus Kathedrale eingezogen ist. Wann das der Fall ist, wagt auch Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone noch nicht zu sagen. Das wisse allein Gott. Er bete und denke nach - gemeinsam mit dem Papst und den Mitarbeitern. Dann wird man sehen.


Der Danziger Bischof Tadeusz Goclowski ist davon überzeugt, dass Polens Kirche auch diese Krise überstehen wird:
"Wir haben schon früher viel durchgemacht. Es war damals auch ein sehr schwieriger Moment, als Primas Wyszynksi im Gefängnis saß. Wir dachten damals, alles würde zusammenbrechen. Sogar die Bischöfe wackelten in ihrer Beziehung zum Primas. Aber die Kirche hat auch das überstanden."

(rv 18.01.07 bp)







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