Der frühere Innenminister Otto Schily (SPD) kritisiert den Rücktritt von Erzbischof
Stanislaw Wielgus in Warschau. Im Gespräch mit der italienischen Tageszeitung "Corriere
della Sera" meint Schily, eine weitverbreitete "hyper-moralistische Position" mache
es schwierig, Zwangslagen von früher zu beurteilen und Nuancen wahrzunehmen. Wielgus
habe offenbar keine Verbrechen begangen und "nichts getan, was seinen Sturz rechtfertigen
könnte." Anders urteilt Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse, ebenfalls SPD.
Er spricht von einem notwendigen Schritt. Gleichzeitig warnt er aber vor einer Vorverurteilung
und erinnert daran, dass ohne die Kirche in Polen die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc
nicht möglich gewesen wäre. Thierse ist Mitglied des Zentralkomitees der deutschen
Katholiken.
Viele internationale Zeitungen äußern Kritik am Papst und nennen
seine Rolle im Fall Wielgus ein zweites Regensburg. Die FAZ betont, dass Wielgus gegen
ein Memorandum der polnischen Bischöfe vom vergangenen August verstoßen habe. Darin
werde gesagt: "Allein das Unterschreiben einer Verpflichtung zur Zusammenarbeit (mit
dem kommunistischen Geheimdienst) ... ist eine Sünde." Außerdem fordere das Papier
ein freiwilliges Bekenntnis zu dieser Sünde und eine öffentliche Bitte um Vergebung.
Mit beidem habe Wielgus zu lange auf sich warten lassen. Die FAZ gibt an, der Danziger
Erzbischof Tadeusz Goclowski, "eine der größten Autoritäten der polnischen Kirche",
sei "schon am Freitag von seinem Amtsbruder abgerückt".