Armut und Kriminalität
gibt es nicht nur in den Slumvierteln von Brasilien oder Afrika – auch mitten in Europa
– in Neapel – breitet sich die Delinquenz wie ein Krebsgeschwür aus. Und zwar nicht
als Randerscheinung, sondern als Massenphänomen. Ein Beitrag von P. Max Cappabianca
OP
„Scampia“ - so heißt das Viertel in der nördlichen Peripherie der Touristenstadt
am Golf – das traurige Berühmtheit erlangt hat: Dort soll inzwischen die Camorra –
so der Name der neapolitanischen Mafia – und nicht Polizei und Carabinieri das Sagen
haben. Tatsache ist: Von den offiziell 40.000 Einwohnern – tatsächlich sind es wohl
mehr als doppelt so viele Menschen – leben mehr als ein Drittel unter der Armutsgrenze.
Kaum einer bezahlt Strom, Heizung oder Miete, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei
über 50 Prozent! Mehr als 70 gewaltsam zum Tode gekommene Menschen zählt die diesjährige
Polizeistatistik. Die Politik scheint resigniert zu haben, nicht aber der neue
Pfarrer dieses Viertels, Luigi Merluzzo. Seit Sommer diesen Jahres ist der vor sechs
Jahren zum Priester geweihte Don Luigi zusammen mit einem Mitbruder für die Menschen
als Seelsorger da. Wir haben mit über sein erstes Weihnachtsfest in seiner Pfarrei
gesprochen. „Unsere Pfarrei hat an Weihnachten einen ganz besonderen Moment
erlebt. Nach der Messe haben wir die Figur des Jesuskinds in eine Hütte gebraucht,
die wir auf einem Grundstück aufgebaut haben, wo eine Kirche gebaut werden soll. Das
ist für uns ein Zeichen der Hoffnung mit einer großen Bedeutung für uns gewesen. Das
Jesuskind auf einem Stück Land, auf dem die Kirche entstehen wird, in einem Viertel
wie Scampia ist das ein wirklich starkes Zeichen gewesen, das uns in Erinnerung bleiben
wird.“ Den Menschen bedeute die neue Kirche sehr viel, sie sei wie ein Anker
der Hoffnung für die Anwohner: „Scampia ist ein Vorort im Norden Neapels, hier
wohnen sehr viele Menschen und daher gibt es hier viele soziale Probleme. So fehlt
zum Beispiel Arbeit für die jungen Menschen, dann haben wir hier sehr viel organisierte
Kriminalität. Das macht ein zivilsiertes Leben in diesem Viertel sehr schwer.“ Ein
besonderer Glücksfall ist eine Initiative des berühmten „Teatro San Carlo“ – dem alten
königlichen Opernhaus. Traditionell findet dort am Vorabend des Dreikönigstages ein
Festkonzert statt, dessen Erlös einem guten Zweck zugeführt wird. In diesem Jahr spielen
die Wiener Philharmoniker – und zwar für ein Jugendzentrum, das den „ragazzi“ des
Viertels eine Perspektive geben will und einen Ort, wo sie jenseits von Kriminalität
und Drogen einen Ort des Angenommenseins finden: „Auch das ist ein sehr schönes
Zeichen gewesen, das uns dieses Weihnachten 2006 unvergesslich werden lässt. Denn
es zeigt, dass auch die Kunst den Menschen nicht vergisst. Wenn diese die Herzen der
Menschen berührt, dann wenden sich die Dinge ganz bestimmt zum Besseren.“ Don
Luigi freut sich, dass gerade Weihnachten – trotz der oft hoffnungslosen Lage – den
Menschen Halt vermittele. Dazu tragen seiner Meinung nach auch das weihnachtliche
Brauchtum bei: „Hier gibt es zum Beispiel die volkstümliche Tradition der Dudelsackpfeifer.
Der Brauch kommt ursprünglich aus den Bergen. In den Weihnachtstagen sind diese Dudelsackpfeifer
unterwegs, um die klassischen neapolitanischen Weihnachtslieder zu spielen. Viele
von diesen Liedern sind vom Hl. Alfons von Liguori geschrieben worden, so „Tu scendi
dalle stelle“ oder - im neapolitanischen Dialekt - „Quande nascette ninno“, das auf
der ganzen Welt bekannt ist.. Dann gibt es natürlich noch die Tradition des Weihnachtsgebäcks,
da besonders die „struffoli“, die mit Honig zubereitet werden, oder die „Roccoco“
mit Schokolade, und weitere ganz besondere Sachen, die man schlecht beschreiben kann,
die man besser probiert.“ Für den 31 Jahre jungen Pfarrer Don Luigi war es
das erste Weihnachtsfest in Scampia. Ein Fest der Hoffnung inmitten einer Welt, in
der viele keine Hoffnung mehr haben. Ihn trägt hierbei der Glaube an die Menschwerdung
Gottes: einem Gott, der gerade auf Seiten der Armen und Ausgestoßenen steht: „Unsere
Hoffnung hier in Scampia am Stadtrand Neapels ist, dass Jesus wirklich in die Herzen
der Menschen eintritt und nicht am Rand bleibt und so das Glück der Menschen unser
Ziel bleibt. Ich wünsche mir für uns, aber auch für die ganze Welt, dass die Menschen
diese Liebe, die Gott uns gezeigt hat, annehmen, und dass wir diese Liebe gegenüber
unseren Brüdern und Schwestern weitergeben.“ (rv 261206 mc)