Was wir heute beim
Gottesdienst musikalisch zu Gehör bekommen – vielen gefällt`s, manche wünschen sich
beherzteres Singen der Gemeinde, manche mehr Heiliges Schweigen; einige gehen am liebsten
ins festliche Hochamt mit Konzertcharakter, andere sind Fans der Gregorianik. Tatsache
ist: Kirchenmusik heute ist so vielfältig wie noch nie, und den Weg für diesen Vielklang
ebnete das II. Vatikanische Konzil, das beispielsweise zum ersten Mal gemischte Chöre
erlaubte. Kirchenmusik nach dem Konzil: Gudrun Sailer sprach darüber mit dem Kirchenmusikhistoriker
Eckhard Jaschinski. Der in Sankt Augustin lehrende Steyler Missionar nahm vergangene
Woche an einem Kirchenmusik-Kongress am Deutschen Historischen Institut in Rom teil.
Am 4. Dezember 1963, also vor recht genau 43 Jahren, veröffentlichte der Heilige
Stuhl das erste Dokument des II. Vatikanischen Konzils. Die Liturgie-Konstitution
„Sacrosanctum Concilium“. Sie gab den Anstoß zur Reform von Liturgie und Kirchenmusik.
Was darin über zu bevorzugende und zu vermeidende Klänge beim Gottesdienst ausgesagt
ist, hat Gültigkeit bis heute. Nehmen wir es vorweg: Ganz im Geist des Reformkonzils
überwiegt nicht das Abschlägige, Verbietende, sondern das Ermutigende. Eckhard Jaschinski.
„Die Musik ist umso heiliger, je enger sie mit der liturgischen Handlung
verbunden ist. Das zielt darauf ab, wir müssen nicht mehr ein bestimmtes Repertoire
oder einen bestimmten Stil hier pflegen. Das ist eine Perspektive, die von der pastoral-liturgischen
Seite hereinkommt.“
In Kapitel 6 spricht die Konstitution von vier musikalischen
Grundformen, die im Gottesdienst erklingen können und sollen.
„Erstens
Gregorianik, zweitens Polyphonie nach Palestrina, drittens moderne Musik – also E-Musik
der Gegenwart; und das vierte ist der religiöse Volksgesang.“
Dem kirchenmusikalischen
Erbe räumt das II. Vatikanum also mit Gregorianik und Polyphonie einen großen Stellenwert
ein. Denn:
„Gregorianik ist der erste Gesang der römischen Kirche.“
Allerdings,
so Jaschinski, war das Konzil klug genug, an dieser Stelle die Klausel „Ceteris paribus“
einzufügen.
„Das heißt, wenn im Übrigen die gleichen Bedingungen gegeben
sind, dann kann auch ein anderer Gesang die erste Stelle einnehmen. Man denkt da an
die jungen Kirchen, die gar keine Gewohnheit mit dem Gesang dieser alten Einstimmigkeit
haben. Da kommt ein klein wenig ein weltkirchliches Moment hinein.“
„Ich
war zwei Jahre in den USA in einer afro-amerikanischen Gemeinde, da ist das Repertoire
ein völlig anderes, die haben mit Gregorianik keine Vertrautheit, natürlich mit Spirituals
und Gospels, und auch mit den traditionellen Hymnengesang von England her kommend
– das Spektrum ist dann auch begrenzt für die. Mit Bach können sie nicht viel anfangen,
was ja auch im katholischen Bereich jetzt normal möglich ist.“
Hier sind
wir unversehens bei Punkt vier der kirchenmusikalischen Empfehlungen des II. Vatikanums
gelandet: religiöser Volksgesang. Eckhard Jaschinski:
„Das ist vielleicht
der stärkste Punkt für die Aufwertung der Teilkirchen, der jungen Kirchen. Bisher
war der religiöse Volksgesang eher für Paraliturgie gedacht oder er galt nicht als
eigentlich liturgisch im offiziellen Sinn, und jetzt wird er als vollwertiger Gesang
qualifiziert. Wenn man ein Lied singt in der Hochform der Liturgie, Messfeier Stundengebet,
dann ist das gültiges Singen und gültige Liturgie.“
Was bedeutet das im
Umkehrschluss für die Liturgie vor dem II. Vatikanum? Es bedeutet, dass das Volk im
Gottesdienst wenig zu hören war.
„In den romanischen Ländern gab es Vortragsmusik
von Chören, Schola, oder es wurde nichts gesungen, die Gemeinde durfte eventuell am
Beginn und am Ende der Feier etwas singen. Und sonst gab es die offizielle Liturgie
mit den Texten, die vorgegeben waren.“
Für bestimmte Teilkirchen allerdings
gab es Indulte, also Sondergenehmigungen. Das so genannte deutsche Hochamt beispielsweise
hatte eine solche Sondergenehmigung. Für uns heute schwer vorstellbar: Erst das Reformkonzil
erlaubte gemischte Kirchenchöre mit Frauenstimmen in der Liturgie. „Noch
die Instruktion von Pius XII. von 1958 hat gesagt, ein Chor muss delegiert werden,
und er besteht aus Männern, ein Knabenchor ja auch. Und das ist jetzt vorbei, da ist
eine Gleichheit vorhanden. Ob es de facto dann auch immer so gemacht worden ist, nach
strengen römischen Regeln, das ist eine andere Geschichte.“
Und Kirchenmusik
heute? Manches ist zu hören von zu großer Freiheit in der musikalischen Gestaltung;
da werden Gitarren im Gottesdienst beanstandet oder mehr Heiligkeit mehr Ernst beim
Singen angemahnt. Kirchenmusik heute geht in zwei Richtungen, beobachtet Eckhard Jaschinski.
„Man spricht in den letzten Jahren vom Cross Over Stil. Wenn wir an Thomas
Gabriel denken, der hat für den WJT die Abschlussmesse komponiert, die missa mundi,
… er versucht traditionelle Stilelemente, Gregorianik auch, andere, ausländische Stile,
zu nehmen und sie mit Pop, Jazz und so zu verkleiden. Manchen gefällt das nicht, andere
finden das genial, also ich glaube, für die Jugend ist es durchaus passend und zeigt
den Versuch, multikulturell zu denken.
Die zweite Richtung wäre für den
Kirchenmusikhistoriker das, was mit „Heiligem Schweigen“ umschrieben ist.
„Arvo
Pärt, der estnische Komponist, hat ja auch gesagt, er kann nur komponieren, wenn er
vorher lange geschwiegen hat, aus dieser Stille heraus Musik zu komponieren, er ist
ja auch sehr populär mit seiner speziellen Dreiklangsmusik, eine gewisse Nüchternheit
und Askese, mit der Stille kombiniert, nicht nur immer „ramtamtam“ - unter Anführungszeichen.
Das wären zwei Schienen, auf denen es weitergehen könnte." (rv 06.12.06 gs)