Die düsteren Befürchtungen
erwiesen sich als unbegründet, Ängste als überzogen: Statt Massenprotesten und Feindseligkeit
traf der Papst in der Türkei auf interessierte Ansprechpartner. «Ein Teil meines Herzens
bleibt in Istanbul», sagte der Papst bei der Verabschiedung auf dem Istanbuler Atatürk-Flughafen.
Als Oberhaupt der katholischen Kirche sei es seine «Aufgabe», sich um einen besseren
Dialog zwischen den Kulturen und Religionen zu bemühen. Ottmar Oehring ist Menschenrechts-Experte
des kirchlichen Hilfswerks Missio Aachen und ein ausgewiesener Türkei-Kenner. Stefan
Kempis fragte ihn in Istanbul, was die Papstreise gebracht hat. Oehrings Antwort:
„Das ist die große Frage. Ich befürchte, dass am Ende nicht viel bleiben
wird in der Türkei von dieser Reise. Von Taxifahrern ist zu hören, es wird sicher
etwas Positives sein für den Tourismus in der Türkei. Die hoffen natürlich darauf,
dass die Tatsache, dass die Türkei den Papst trotz aller Bedenken schließlich doch
eingeladen hat, mittelfristig für den Tourismus, für die Wirtschaft und auch für ihren
eigenen Geldbeutel von Vorteil sein wird. Auf der anderen Seite stellt
sich die wichtige Frage für eine Bilanz der Reise: Welche Auswirkungen hat das auf
die kleine christliche Gemeinde in der Türkei? Papst Benedikt hat ja in seiner Predigt
in Ephesus von der kleinen Gemeinde in der Türkei und ihren tagtäglichen Problemen
gesprochen, und es ist ganz richtig, dass er das getan hat. In der gleichen Ansprache
in Ephesus hat er davon geredet, es müsse jetzt darum gehen, die Christen in der Türkei
zu ermutigen, weiterhin das zu tun, was sie bisher schon tun, also sich weiterhin
für das Christentum einzusetzen. Ich glaube, dieser Punkt der Ermutigung
ist das, was auch tragen wird in der nächsten Zeit - die Leute werden davon noch lange
zehren. Was die Politik, genauer gesagt: die Innenpolitik der Türkei betrifft,
insbesondere die Frage der Religionsfreiheit, die natürlich vom Heiligen Vater auch
angesprochen worden ist, und dann natürlich ganz speziell den Status der Kirchen in
der Türkei – da denke ich, dass es mittelfristig gar keine Änderungen geben wird.
Da gibt es auf türkischer Seite offenbar keine Bereitschaft, etwas zu ändern, ganz
grundsätzlich nicht. Das hat auch nichts – wie von türkischen Politikern manchmal
behauptet – mit dem Wahlkampf zu tun, der im Moment tobt; da können wir uns überhaupt
keine Hoffnungen machen. Im günstigsten Fall wird die Lage der Kirchen also
so bleiben, wie sie ist. Im ungünstigsten Fall – wenn die Tatsache, dass die EU die
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei einfriert (wobei man noch abwarten müsste, welche
Qualität dieses Einfrieren genau haben wird) – kann es dazu kommen, dass dann die
Christen die Rechnung dafür bezahlen müssen. Weil man ihnen natürlich, wenn auch völlig
unberechtigterweise, unterstellen wird, dass sie diejenigen waren, die im Ausland
schlecht über die Türkei gesprochen haben. Sie hätten zwar Grund gehabt, über ihre
Situation zu klagen, aber sie haben das nie getan; sie haben sich immer für die Beitrittsverhandlungen
der EU mit der Türkei eingesetzt. Trotzdem könnte es sein, dass sie diejenigen sind,
die am Ende die Zeche bezahlen müssen.“
Zugespitzt gesagt, wird also nichts
bleiben vom Papstbesuch in der Türkei, außer dem guten Zuspruch an die kleine Herde?
„Also,
so pointiert sollte man das auch wieder nicht ausdrücken. Ich denke, dass etwas bleiben
wird für den Dialog mit der islamischen Welt, dass von der sehr milden Rede in Ankara
natürlich schon ein Impuls für den interreligiösen Dialog mit dem Islam ausgehen wird.
Dass der Dialog vielleicht etwas pointierter, prononcierter geführt werden wird, als
das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist, tatsächlich vielleicht mehr von den
„Wissenden“ auf beiden Seiten… wobei das eine schwierige Sache ist, weil es doch vor
allem auf islamischer Seite relativ wenige Gesprächspartner gibt, wenn wir an die
Imame und dergleichen denken. Das sind doch meistens weniger gebildete Menschen… Da
wird etwas bleiben. Zweitens wird auch etwas bleiben im Hinblick auf die
Ökumene. Und drittens stellt sich tatsächlich die Frage, was das für die Christen
in der Türkei in Zukunft bedeuten wird. Vielleicht ist es ganz günstig, dass sowohl
in der Türkei als erst recht in Rom und in der Weltkirche überhaupt wahrgenommen wird,
dass es Christen in der Türkei gibt. Dass sie vielleicht nicht mehr ganz so vergessen
und verlassen sind, wie das vor dem Papstbesuch der Fall war.“ (rv 2,12,06
mg)