Dass Papst Benedikt
in der Blauen Moschee von Istanbul kurz gebetet hat, beeindruckt die Kommentatoren
in den türkischen Medien tief. Immer wieder ist dieses Bild auch in den Fernsehnachrichten
zu sehen, gleich vor dem in Strümpfen laufenden Papst. Die Presse spricht von einem
historischen, emotional dichten Moment, weiß ihn aber nicht immer richtig zu deuten:
Benedikt habe ja „gen Mekka gebetet wie ein Moslem“, meinen viele Zeitungen überrascht.
„Papst
betet in Richtung Mekka“, schreibt beispielsweise das Massenblatt „Hürriyet“
mit dem entsprechenden Foto auf seiner Seite eins. Benedikt habe kein Kreuzzeichen
gemacht, sondern die Hände verschränkt wie ein Moslem. Bei seinem Besuch der Hagia
Sophia habe er sich dagegen jeder missverständlichen Geste enthalten, um niemanden
zu verärgern. „Ein sympathischer Papst“, der mit seinen Worten und Gesten „zu verstehen
gegeben hat, dass er sich entschuldigt“ für seine Äußerungen von Regensburg, so die
Zeitung immer noch auf dem Titelblatt. Der Leitartikler scherzt: „Wenn der Papst noch
ein paar Tage in der Türkei geblieben wäre, dann wäre er in den Vatikan mit einem
türkischen Pass zurückgekehrt – als Türke und Moslem.“ Der Journalist setzt hier wie
die Mehrheit der Menschen im Land ein Gleichheitszeichen: Türke = Moslem. Im Innern
erklärt „Hürriyet“ ausführlich die Unterschiede zwischen dem Papst und dem Präsidenten
des staatlichen Religionsamtes, dem Moslem Bardakoglu. Sie kommt auf neun gravierende
Unterschiede, darunter: „Der Papst glaubt, dass sein Auftrag direkt von Gott kommt.
Bardakoglu hingegen ist Angestellter der türkischen Republik.“ Unter einem Foto Benedikts
mit dem Großmufti von Istanbul steht: „Er hat in der Moschee gebetet – aber nicht
in der Hagia Sophia.“ Zwischen neutral und misstrauisch sind allerdings die Berichte
über das orthodoxe Andreasfest, an dem der Papst am Donnerstag Morgen im Ökumenischen
Patriarchat teilgenommen hat. „Hürriyet“ bemerkt, die Gemeinsame Erklärung von Papst
und Patriarch sei in neun Sprachen übersetzt worden, aber nicht ins Türkische.
„Der
Friede von Istanbul“ – so macht die ebenfalls vielgelesene „Milliyet“ auf.
„Der Papst traf Moslems, Orthodoxe und Juden.“ Unter den vielen Fotos, die den Tag
des Papstes am Bosporus zeigen, ist auch ein Bild der Begegnung mit dem armenischen
Patriarchen. „Radikal“ gehört zu den wenigen Zeitungen, die nicht den Papst in der
Moschee auf dem Titel haben, sondern Papst und Patriarch, die die Hände freudig heben.
Kommentar: „Das Ziel ist eine Wiedervereinigung der Christen.“ Zum Papstbesuch in
der Blauen Moschee präzisiert „Radikal“, Benedikt habe dort „auf katholische
Weise gebetet“. Die Zeitung übernimmt eine Karikatur des britischen „Guardian“, auf
der der Papst gemeinsam mit dem türkischen Staatsgründer Kemal Atatürk die Fahne der
Türkei schwenkt, Untertitel: „Benny Attapope“. Im Innern bringt das Blatt neben einigen
Berichten und einer Auslands-Presseschau zum Papstbesuch die Anzeige des türkischen
CNN, die in großen Lettern verkündet: „Der Papst hat das Herz der Türken erobert.“
Die oppositionelle, eher linksgerichtete „Cumhuriyet“ schreibt im Innern
unter ein Foto des Papstes mit Patriarch Bartholomaios: „Krise in der Ökumene. Gegen
Ankaras Wunsch hat Bartholomaios in seiner Erklärung die Welt noch mal seine Anmaßung
spüren lassen.“ Drastischer lässt sich auf der ersten Seite die islamistische Zeitung
„Vakit“ zu einem ähnlichen Foto der beiden Kirchenführer aus: „Diese Zwei sind
blind gegenüber dem Terrorismus der Kreuzfahrer.“
Die englischsprachige „Turkish
Daily News“ setzt einen anderen Akzent als die meisten anderen Zeitungen: Benedikt
XVI. ziehe „sein Versprechen vom Flughafen“ zurück. In der Erklärung zusammen mit
Bartholomaios von gestern sei nicht mehr die Rede davon, dass die Türkei in die EU
gehöre, stattdessen baue der Text neue Hürden auf. Zusammen mit den Schwierigkeiten,
die die EU der Türkei im Moment mache, und einem Bericht, der die Türkei der Korruption
zeiht, bilde Benedikts Rückzieher eine „unheilige Dreifaltigkeit“. Die „Daily News“
betont auch ausführlich, dass der Rückhalt Benedikts für den Ökumenischen Patriarchen
an der Haltung der Türkei zu Bartholomaios nichts ändere. Die oppositionelle „Cumhuriyet“
sieht den Fehler, was die Papstworte zur Türkei in der EU betrifft, ganz klar beim
Ministerpräsidenten Erdogan: Dieser habe offenbar die Äußerung Benedikts entstellt
wiedergegeben; eine Erklärung seines Büros komme jetzt einem Rückzieher von Erdogans
Behauptung gleich.
Die Zeitung „Tercüman“ hat, wie sie auf der Titelseite
preisgibt, eine „Sensation“ entdeckt: „Ein 2000 Jahre altes Geheimnis – hier schläft
die Mutter Maria.“ Sie präsentiert angebliche kirchliche Geheimdokumente, die angeben,
wo sich in Izmir, bei Ephesus, das Grab Mariens befinde. Auch „Tercüman“ äußert sich
unfreundlich gegenüber Patriarch Bartholomaios: Dieser habe am Tag, an dem ihn der
Papst besuchte und sich, jedenfalls nach Eindruck der Zeitung, die Kirchen „wiedervereinigt
haben“, eine „perfide Einladung angenommen“. Er trete nämlich demnächst auf Einladung
der EU unter seinem von der Türkei angefochtenen Titel als „Ökumenischer“ Patriarch
auf.
Was zurückbleibt vom Papstbesuch in den türkischen Medien, ist eine gewisse
Verwunderung. Warum zieht sich der Papst dauernd um? Warum ist er mal gegen, mal für
einen EU-Beitritt der Türkei? Wie kann er sich so gut mit Patriarch Bartholomaios
verstehen, der doch nach türkischem Eindruck so unsympathisch und anmaßend ist? Warum
verdeckt er bei der Türkeivisite so oft sein Brustkreuz und betet in der Blauen Moschee
Richtung Mekka? Warum redet er mal gegen, dann wieder für den Islam? Aus der Presse
spricht freundliches, aber tiefes Unverständnis angesichts der Fremdheit dieses weißen
Mannes, der vielen Kommentatoren offenbar wie ein Marsmensch vorkommt. Benedikt ist
den Türken vielleicht sympathisch geworden, aber auch ein Rätsel. (rv 01.12.06
sk)