Vier Tage dauerte
Papst Benedikts Reise in die Türkei. Eine bilanzierende Einordnung von unserem Mann
in Istanbul, Stefan Kempis. Was hat der Papst unmittelbar erreicht?
„Unmittelbar
erreicht hatte ein Stimmungsumschwung. Vorher war ja die Stimmung noch sehr unfreundlich.
Allein durch sein Erscheinen und dass er sehr freundlich, sehr aufmerksam, sehr neugierig
gewirkt hat, hat Benedikt dafür gesorgt, dass dieser Eindruck von Regensburg, der
Papst will uns angreifen, der will uns was ans Zeug flicken, korrigiert worden ist.
Er hat überrascht durch seine freundliche und bescheidene Art. Das ist was er unmittelbar
erreicht hat, aber was darüber hinausgeht, ist schwer zu sagen. Und da sollte man
auch nach all diesen noch so schönen Bildern aus Istanbul doch etwas skeptisch sein.
Es wird sich für die Christen hier in der Türkei nicht so schnell jetzt alles ändern
und es wird sich auch zwischen Vatikan und Türkei, zwischen dem Staat Türkei und seinen
Minderheiten nicht schnell und messbar etwas ändern. Eigentlich hat der Papst nur
versucht, und wenn ihm das geglückt ist, dann ist das schon toll, den Status quo für
die Kirchen einigermaßen zu halten, dass da keine Verschlechterung eintritt.“
Der
Heilige Stuhl hat im Vorfeld mehrmals betont: dies ist eine Pastoralreise, sie hat
ökumenische Ziele und in zweiter Linie dann auch interreligiöse, dh im weitesten Sinn
politische Ziele. Kann man dem im Nachhinein zustimmen, oder war das Thema Christen
und Moslems in der ganzen Reise sehr bestimmend?
„Es war, ich möchte fast
sagen, leider, doch sehr beherrschend, wenn nicht sogar zu beherrschend. Leider in
dem Sinn, dass die allerdings wenigen Katholiken in der Türkei sich vielleicht etwas
mehr von diesem Besuch erhofft hätten. Es war vor Ankunft des Papstes, als noch um
die Ankunft des Papstes gefeilscht und gerungen wurde, immer wieder zu hören, dass
die Katholiken sagten: ja wie, ist denn gar keine Messe des Papstes mit uns vorgesehen?
Es stand noch keine Messe in Ephesus auf dem Programm, es stand noch keine öffentliche
Messfeier des Papstes in Istanbul in der Kathedrale auf dem Programm. Da fragten die
Bischöfe hat man uns einfach vergessen, oder will der Papst in der Türkei nur mit
den Moslems, den Orthodoxen und den anderen Kirchen sprechen. Und das kann ja wohl
nun auch nicht sein. Es ist sehr beherrschend geworden, ich finde besonders der Akzent,
interreligiöses Gespräch zum Islam. Vor Allendingen auch durch diese Bilder Benedikts
XVI. in der Blauen Moschee, das ist etwas überdeutlich herausgekommen. Vielleicht
sind das Nachwehen des Streites von Regensburg. Der ökumenische Aspekt, da muss man
jetzt mal sehen, was aus diesem offenbar ganz guten Verhältnis zu dem Benedikt und
Bartholomais I. von Konstantinopel gefunden haben, was daraus jetzt konkret wird.
Ob das zum Beispiel im theologischen Gespräch, das beide führen, einen neuen Schub
geben kann.“
Der Paspt hat Bartholomaios indirekt angeboten, im Rahmen
eines ökumenischen Dialogs noch einmal über das Petrusamt zu sprechen. Im Petrusamt
sehen Beobachter das Haupthindernis für eine volle Einheit zwischen Katholiken und
Orthodoxen. Aber ist diese theologische Debatte aus Sicht der Christen in der Türkei
überhaupt relevant?
„Natürlich ist es auf theologischer Ebene wichtig das
Petrusamt zu klären, aber viele Kirchenleute sagen hier in der Türkei, also eigentlich
geht es weder um diesen berühmten Streit um das Filioque, also ein Nachsatz im Glaubensbekenntnis,
noch um das Petrusamt, und noch um andere theologische Fragen. A) Die Leute haben
wirklich andere Probleme, nämlich die direkte Konfrontation mit einem erdrückend islamischen
Umfeld. Und b) es sind offenbar viel mehr Mentalitätsunterschiede, die hinter diesem
auf dem Papier nur kleinen Streitigkeiten stecken, als wirklich theologische Brocken.
Offenbar haben sich die beiden Kirchen, also die die heute die Orthodoxen und die
die heute die Katholiken sind, schon vor diesem fatalen Jahr 1054, dem Jahr Schisma,
weit voneinander entfernt, und auseinander entwickelt und zwar Rom und das jetzige
Istanbul. Wenn es gelingt jetzt diese Mentalitätsunterschiede langsam wieder zu überwinden,
langsam wieder dem Rückweg, wenn man so will, oder den Weg zu etwas, einer neuen Art
von Einheit anzutreten, indem man sich einfach in der Mentalität immer mehr aneinander
gewöhnt, das ist ein mühsamer Prozess, aber irgendwann muss man mal damit anfangen.
Da scheinen mir Papst und Patriarch zumindest auf einem guten Weg und vielleicht auch
die Christen hier in der Türkei, wenn die sehen, dass sich ihre Oberhäupter derart
offensiv umarmen. Vielleicht finden dann auch die zerstrittenen und in viele kleine
Grüppchen gespalteten Christen im Alltag mal zusammen in den Vereinen und den Gemeinden.
Denn da scheint es sehr zu hapern, nach allem was man hört in Istanbul.“ (rv
01.12.06 gs)