Mit Argusaugen beobachtet
Otmar Oehring die Papstreise durch die Türkei. Oehring ist in Ankara aufgewachsen,
leitet die Abteilung Menschenrechte beim kirchlichen deutschen Hilfswerk Missio und
besucht häufig die Christen in der Türkei. Nach seinem Eindruck ist die Reise bisher
sehr gut verlaufen; in Ephesus etwa gefiel ihm, wie sich die türkische Polizei dort
zurückgehalten hat. Zum Besuch in Istanbul meint Oehring:
„Gestern Abend hat
es hier wohl im Patriarchat Schwierigkeiten gegeben, weil sehr viele Leute nicht hereingelassen
wurden und am Ende dann doch eine sehr kleine Gemeinde in der Kirche zu sehen war,
und so ging das dann auch über die Fernsehschirme. Einige Leute haben den Eindruck,
dass das mit Absicht so gemacht wurde, um den Leuten zu zeigen, wie unbedeutend das
Patriarchat doch ist.“
Heute früh allerdings erlebte Oehring am Ökumenischen
Patriarchat das genaue Gegenteil: Da reichte es, seinen Pass zu hinterlegen, um die
Kirche zu betreten - also sehr positiv.
„Es scheint allerdings im Vorfeld,
wie man aus dem Umfeld des Ökumenischen Patriarchats hört, das absolute Tohuwabohu
bei der Vorbereitung der Visite auf seiten der türkischen Behörden gegeben zu haben,
wohl weil die Behörden hier in Istanbul absolut keine Erfahrung mit der Vorbereitung
solcher Großereignisse haben, abgesehen vom Bush-Besuch vor zwei Jahren.“
Mit
Spannung war erwartet worden, wie die Begegnungen des Papstes mit Politikern in Ankara
verlaufen würden. Oehring rät dazu, sich nichts vorzumachen.
„Die türkischen
Behörden nutzen natürlich alles, was der Papst gesagt oder auch vermutlich nicht gesagt
hat, zu ihren Gunsten. Beispiel: dass Herr Erdogan gleich nach seinem kurzen Gespräch
mit dem Heiligen Vater erklärt hat, dieser unterstütze die Türkei auf ihrem Weg in
die EU. Das ist sicherlich Propaganda, die sein muss für das türkische Wahlvolk –
in den nächsten Jahren sind zwei Wahlen.“
Aber nicht nur türkische Politiker
instrumentalisieren den Papst – ein bisschen tut es auf seine Weise auch Patriarch
Bartholomaios.
„Das kann ein Hintergedanke sein bei der Einladung des Patriarchen
Bartholomaios in das Patriarchat. Natürlich ist der Besuch des Heiligen Vaters ein
Geschenk für den Ökumenischen Patriarchen. Interessant ist in dem Zusammenhang, dass
das türkische Fernsehen ausgeschlossen worden ist von der Übertragung der Göttlichen
Zeremonie aus dem Patriarchat und an seiner Stelle das griechische Fernsehen genommen
worden ist – da hat natürlich Bartholomaios die Situation genutzt und demonstriert,
dass er der Hausherr im Ökumenischen Patriarchat ist. Während die Türken im Gegenteil
davon ausgehen, dass das eine türkische Institution ist, in der zwangsläufig der türkische
Staat das Hausrecht hat und damit auch das türkische Fernsehen.“
Ähnlich gelagert:
der Streit um die von Bartholomaios ausgegebenen Presseausweise. Auf ihnen prangt
groß die Aufschrift „Ökumenisches Patriarchat“, weswegen die Polizei die Pressestelle
kurzzeitig schließen ließ.
„Beide Seiten spielen natürlich mit dieser Frage,
die in der Türkei hochpolitisch ist. Hier darf es nicht „Ökumenisches“ Patriarchat
heißen, obwohl es dafür keinen nachvollziehbaren Grund gibt, und auf der anderen Seite
hält der Patriarch natürlich zu Recht am Titel „Ökumenisch“ fest.“
An diesem
Donnerstag-Abend nun der Besuch des Papstes in der Blauen Moschee von Istanbul – was
denken türkische Moslems, die diese Szene am Fernsehschirm verfolgen? Menschenrechts-Experte
Oehring hat vor allem mit Taxifahrern darüber gesprochen.
„Wenn der Papst nur
die Hagia Sophia besucht hätte, dann hätte es tatsächlich passieren können, dass der
normale, wenig informierte Bürger hier in der Türkei gedacht hätte: Der Papst versucht
die Hagia Sophia wieder in den Griff zu bekommen. Es gibt ja Gerüchte, dass Al-Quaida
noch für den heutigen Tag ein Attentat auf ihn plane, weil er eben als Kreuzfahrer
in die Türkei gekommen sei und versuche, das türkische Volk zu bekehren. Das wird
ihm wahrscheinlich in seinen drei, vier Tagen hier in der Türkei nicht gelingen, davon
müssen wir wohl (vielleicht leider) ausgehen!“
Diese nüchterne Einsicht scheint
sich auch bei der Mehrheit der Bevölkerung breitgemacht zu haben.
„Man muss
eigentlich insgesamt sagen: Man kann nur erstaunt sein über die Ruhe, die hier eigentlich
in Istanbul herrscht angesichts der Verkehrsprobleme, von denen eigentlich alle hier
in der Stadt betroffen sind. Die Sperrungen in Istanbul sind gewaltig, heute Morgen
vor dem Patriarchat hat es durchaus kritische Stimmen gegeben, weil die Leute nicht
zu ihrer Arbeit gekommen sind, ihre Verkehrsmittel nicht erreichen konnten und dann
riesige Umwege in Kauf nehmen mussten. Aber ich denke, dass waren negative Äußerungen,
die sich wirklich auf das Faktum der Verkehrsprobleme bezogen und nicht auf den Papst.“