2006-11-30 18:16:02

"Der Papst kommt türkischen Interessen gelegen"


RealAudioMP3 Mit Argusaugen beobachtet Otmar Oehring die Papstreise durch die Türkei. Oehring ist in Ankara aufgewachsen, leitet die Abteilung Menschenrechte beim kirchlichen deutschen Hilfswerk Missio und besucht häufig die Christen in der Türkei. Nach seinem Eindruck ist die Reise bisher sehr gut verlaufen; in Ephesus etwa gefiel ihm, wie sich die türkische Polizei dort zurückgehalten hat. Zum Besuch in Istanbul meint Oehring:

„Gestern Abend hat es hier wohl im Patriarchat Schwierigkeiten gegeben, weil sehr viele Leute nicht hereingelassen wurden und am Ende dann doch eine sehr kleine Gemeinde in der Kirche zu sehen war, und so ging das dann auch über die Fernsehschirme. Einige Leute haben den Eindruck, dass das mit Absicht so gemacht wurde, um den Leuten zu zeigen, wie unbedeutend das Patriarchat doch ist.“

Heute früh allerdings erlebte Oehring am Ökumenischen Patriarchat das genaue Gegenteil: Da reichte es, seinen Pass zu hinterlegen, um die Kirche zu betreten - also sehr positiv.

„Es scheint allerdings im Vorfeld, wie man aus dem Umfeld des Ökumenischen Patriarchats hört, das absolute Tohuwabohu bei der Vorbereitung der Visite auf seiten der türkischen Behörden gegeben zu haben, wohl weil die Behörden hier in Istanbul absolut keine Erfahrung mit der Vorbereitung solcher Großereignisse haben, abgesehen vom Bush-Besuch vor zwei Jahren.“

Mit Spannung war erwartet worden, wie die Begegnungen des Papstes mit Politikern in Ankara verlaufen würden. Oehring rät dazu, sich nichts vorzumachen.

„Die türkischen Behörden nutzen natürlich alles, was der Papst gesagt oder auch vermutlich nicht gesagt hat, zu ihren Gunsten. Beispiel: dass Herr Erdogan gleich nach seinem kurzen Gespräch mit dem Heiligen Vater erklärt hat, dieser unterstütze die Türkei auf ihrem Weg in die EU. Das ist sicherlich Propaganda, die sein muss für das türkische Wahlvolk – in den nächsten Jahren sind zwei Wahlen.“

Aber nicht nur türkische Politiker instrumentalisieren den Papst – ein bisschen tut es auf seine Weise auch Patriarch Bartholomaios.

„Das kann ein Hintergedanke sein bei der Einladung des Patriarchen Bartholomaios in das Patriarchat. Natürlich ist der Besuch des Heiligen Vaters ein Geschenk für den Ökumenischen Patriarchen. Interessant ist in dem Zusammenhang, dass das türkische Fernsehen ausgeschlossen worden ist von der Übertragung der Göttlichen Zeremonie aus dem Patriarchat und an seiner Stelle das griechische Fernsehen genommen worden ist – da hat natürlich Bartholomaios die Situation genutzt und demonstriert, dass er der Hausherr im Ökumenischen Patriarchat ist. Während die Türken im Gegenteil davon ausgehen, dass das eine türkische Institution ist, in der zwangsläufig der türkische Staat das Hausrecht hat und damit auch das türkische Fernsehen.“

Ähnlich gelagert: der Streit um die von Bartholomaios ausgegebenen Presseausweise. Auf ihnen prangt groß die Aufschrift „Ökumenisches Patriarchat“, weswegen die Polizei die Pressestelle kurzzeitig schließen ließ.

„Beide Seiten spielen natürlich mit dieser Frage, die in der Türkei hochpolitisch ist. Hier darf es nicht „Ökumenisches“ Patriarchat heißen, obwohl es dafür keinen nachvollziehbaren Grund gibt, und auf der anderen Seite hält der Patriarch natürlich zu Recht am Titel „Ökumenisch“ fest.“

An diesem Donnerstag-Abend nun der Besuch des Papstes in der Blauen Moschee von Istanbul – was denken türkische Moslems, die diese Szene am Fernsehschirm verfolgen? Menschenrechts-Experte Oehring hat vor allem mit Taxifahrern darüber gesprochen.

„Wenn der Papst nur die Hagia Sophia besucht hätte, dann hätte es tatsächlich passieren können, dass der normale, wenig informierte Bürger hier in der Türkei gedacht hätte: Der Papst versucht die Hagia Sophia wieder in den Griff zu bekommen. Es gibt ja Gerüchte, dass Al-Quaida noch für den heutigen Tag ein Attentat auf ihn plane, weil er eben als Kreuzfahrer in die Türkei gekommen sei und versuche, das türkische Volk zu bekehren. Das wird ihm wahrscheinlich in seinen drei, vier Tagen hier in der Türkei nicht gelingen, davon müssen wir wohl (vielleicht leider) ausgehen!“

Diese nüchterne Einsicht scheint sich auch bei der Mehrheit der Bevölkerung breitgemacht zu haben.

„Man muss eigentlich insgesamt sagen: Man kann nur erstaunt sein über die Ruhe, die hier eigentlich in Istanbul herrscht angesichts der Verkehrsprobleme, von denen eigentlich alle hier in der Stadt betroffen sind. Die Sperrungen in Istanbul sind gewaltig, heute Morgen vor dem Patriarchat hat es durchaus kritische Stimmen gegeben, weil die Leute nicht zu ihrer Arbeit gekommen sind, ihre Verkehrsmittel nicht erreichen konnten und dann riesige Umwege in Kauf nehmen mussten. Aber ich denke, dass waren negative Äußerungen, die sich wirklich auf das Faktum der Verkehrsprobleme bezogen und nicht auf den Papst.“

(rv 30.11.06 sk)








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