Der Besuch Benedikts XVI. stößt weltweit auf Interesse. "Pastoral-politisch" titelt
die FAZ, die "New York Times" betont, wie wichtig die Debatte über Minderheiten und
religiöse Rechte ist und die italienische "La Reppublica" schriebt: "Der Papst reicht
dem Islam die Hand". Die türkische Presse lobt wider Erwarten die "kreuzlose Fahrt"
des Kirchenoberhaupts. Stefan Kempis berichtet aus dem türkischen Blätterwald:
Alle
Zeitungen reden auf Seite eins vom Papst in der Türkei. Alle? Nein. „Vakit“, ein Blatt
islamischer Fundamentalisten, hat für die Titelseite wichtigere Themen gefunden. Tenor
aller Zeitungen ansonsten: Papst sagt ein vorsichtiges Ja zu einem EU-Beitritt der
Türkei. „Es hat gut angefangen“, schreibt die „Hurriyet“ auf Seite eins und zeigt
den Papst in einträchtigem Plausch mit dem Islamvertreter Bardakoglu. Untertitel:
„Er hat sich beinahe entschuldigt.“ Eine andere Überschrift urteilt, beim Staatspräsidenten
habe es für Benedikt nur einen drittklassigen Empfang gegeben, sogar ohne Hymne des
Vatikans. Der Leitartikler nennt den Besuch „kritisch“; Erdogan habe, um Benedikt
zu empfangen, über seinen Schatten springen müssen. „Dieser Besuch hat der Welt
das Herz gewärmt“ – so macht „Milliyet“ auf. Die Artikel kreisen um Äußerungen des
Papstes, dass der Islam eine Religion des Friedens sei, und wundern sich, dass der
Mann aus Rom erst gegen den EU-Beitritt der Türkei war und jetzt angeblich auf einmal
dafür. Es sei eine große Geste des Ministerpräsidenten Erdogan gewesen, dem Papst
bis auf das Rollfeld von Ankara entgegenzukommen. Leichte Verwunderung wird deutlich,
wenn die Zeitung den Papst auf einer Seite voller Fotos in lauter verschiedenen Gewändern
zeigt: in Weiß, mit Mantel, mit Käppchen und ohne, mit rotem Überhang usw. Untertitel:
„Er gibt uns seine Botschaft in verschiedenen Verkleidungen“ – eine Einschätzung nicht
ohne Doppelsinn. Wie auch andere Zeitungen findet „Milliyet“, Bardakoglu habe dem
Gast aus Rom harte Wahrheiten gesagt. „Aksam“ ist ein Blatt, das viele dem eher
islamistischen Umfeld zurechnen – aber es bringt ein Foto des Papstes, zusammen mit
Erdogan, auf seiner Titelseite. Überschrift: „Der Papst setzt sich über zwei Krisen
hinweg und kommt in die Türkei.“ Mit den zwei Krisen sind einmal die umstrittenen
Papst-Worte von Regensburg gemeint, auf der anderen Seite die Blockade des türkischen
Beitrittsprozesses zur EU. Ebenfalls aus islamistischen Kreisen kommend, angeblich
den Grauen Wölfen nahe ist „Turkiye“, das das gleiche Foto wie „Aksam“ auf dem Titel
zeigt, Benedikt und der Ministerpräsident. Tenor: „Erdogan hat eine große Geste getan.“
Und „150 Fernsehsender haben dieses Treffen live übertragen.“ Sowas beeindruckt offenbar
auch Islamisten. Die ebenfalls als fundamentalistisch geltende Zeitung „Vakit“ analysiert
das Papstgewand und findet „von oben bis unten religiöse Symbole“ – so was gehe eigentlich
nicht in der laizistischen Türkei, meint „Vakit“ nicht ohne Ironie. Ihr Eindruck vom
Besuch: „Der Papst kommt nicht mit guten Absichten“; eine Karikatur zeigt einen hässlichen,
böse blickenden Benedikt, der über einen roten Teppich läuft. „Kaum angekommen,
unterstützt er schon die türkische Kandidatur“ zur EU, titelt „Yeni Safak“. Die Zeitung
schreibt vertiefend, Kardinal Ratzinger sei gegen die Türkei in der EU gewesen und
jetzt, als Papst, plötzlich dafür. Das wird von der Zeitung nicht kommentiert, auch
Zweifel werden nicht geäußert. Überraschend eine andere Überschrift des gleichen Blattes:
„Seine erste Geste war es, das Kreuz zu verstecken.“ Da hat ein Journalist wohl die
ganz normale Geste, mit der der Papst manchmal die Hand aufs Brustkreuz legt, fatal
missdeutet – auch jemand bei der „Hurriyet“, übrigens. Die letztgenannte Zeitung hält
es außerdem für wichtig, dass auf den Papstgeschenken an Politiker und Bardakoglu
kein Kreuz zu sehen gewesen sei. Interessant auch, was „Milli Gazete“ auf Seite
eins schreibt. Der Papst habe von 95 Prozent Moslems in der Türkei gesprochen, Erdogan
habe ihn sofort korrigiert: Nein, es seien 99 Prozent. Benedikt sei ein „schlimmerer
Fundamentalist als Bush und Blair“; Zitat: „Er macht uns das Leben zur Hölle.“ Das
ultra-nationalistische Blatt teilt auch kräftig gegen das Ökumenische Patriarchat
aus; es habe rote Linien überschritten und wolle offenbar ganz Asien christianisieren. Die
Zeitung „Radikal“ zeigt eine nicht sehr nette Karikatur des Papstes und bemerkt dazu,
zunächst habe die große Politik in Ankara den Papst eingeladen, damit sie im Mittelpunkt
stehe und nicht das Ökumenische Patriarchat. Jetzt aber seien die großen Einlader
getürmt. Eine Zeitung meint, Benedikt habe mit seinem vorsichtigen Ja zur EU-Türkei
sein Image aufbessern wollen. Die links-oppositionelle „Cumhuriyet“ glaubt das auch.
Sie stellt außerdem dar, wie die Türkei sich aus der Sicht Italiens darbiete: Lauter
bärtige Männer, finster blickend, verschleierte Frauen – also ungefähr so was wie
Afghanistan. (rv 29.11.06 sk)