Kaum ein ausländischer
Kirchenmann ist schon so lange in der Türkei wie er: Franz Kangler, ein Lazaristenpater
aus Österreich, leitet die traditionsreiche St.-Georg-Schule. Der riesige Bau dieser
Schule, die vor 120 Jahren gegründet wurde, liegt gleich unterhalb des Galaterturms,
nicht weit vom Goldenen Horn; die nahe liegende Georgskirche wurde 1503 erstmals urkundlich
erwähnt, der Legende nach steht sie über einem Apollo-Tempel. Pater Kangler nun, der
seit dreißig Jahren am Bosporus lebt, hat Vertrauen zum langen Weg der Türkei nach
Europa gefasst. Und er meinte im Gespräch mit unserem Korrespondenten Stefan Kempis,
dass gerade die derzeitige Aufregung um den Papstbesuch ein Beleg dafür sein könnte,
dass die Türkei auf dem richtigen Weg ist.
„Ich glaube, dass zur Zeit schon
eine gewisse Irritierung der Türken selbst spürbar ist, dass sie selbst nicht ganz
wissen, wie sie sich verhalten sollen. Es gibt auch ganz verschiedenartige Strömungen
in der türkischen Presse, die ja auch die Menschen beeinflussen. Einerseits dahingehend,
dass es heißt: Der Papst ist ein Feind der Türken; er ist ganz maßgeblich dafür, dass
die Türkei nicht in die EU kommen kann. Der Papst möchte dem Ökumenischen Patriarchen
– ein Titel, der ja von der Türkei bestritten wird, weil er nicht religiös, sondern
politisch gedeutet wird – dazu verhelfen, ein zweiter Vatikan zu werden, und das Ganze
sei eine anti-türkische Verschwörung. Diese Stimmung gibt`s da, und das wirkt sich
aus – einerseits. Aber andererseits gibt es eigentlich die jahrzehntelange
positive Erfahrung, die ja auch gegeben ist und in der wir zum Beispiel auch leben:
Ich bin hier seit dreißig Jahren in der Türkei und habe mich hier nie bedroht oder
um mein Leben besorgt gefühlt.“
Woher kommt dieses zwiespältige
Bild? Ist die Türkei einfach zu reich an Strömungen, zu unübersichtlich? Oder übertreiben
die Medien?
„Ich denke, dass das gerade zeigt, dass sehr viel in
Bewegung geraten ist. Es war in all diesen Fragen vor zwanzig Jahren viel ruhiger
in der Türkei; gerade weil sich mittlerweile soviel in Bewegung gesetzt hat, gibt
es auch Beunruhigungen. Ich sehe das wie in einem Krankheitsprozess – da ist Fieber
einerseits beunruhigend, andererseits aber zeigt es, dass sich etwas tut. Ich glaube,
dass sich in den letzten Jahren in der türkischen Zivilgesellschaft sehr viel getan
hat – und genau deshalb, weil man im eigenen Land sehr unklar sieht, wohin es in Zukunft
geht (im kommenden Jahr gibt es Wahlen in der Türkei, und die Frage des Parlamentspräsidenten
ist offen, er ist neu zu besetzen), genau deshalb werden dann äußere Gefahren etwas
stärker betont.“
Ist also der Papstbesuch in der Türkei
nach der umstrittenen Rede von Regensburg ein Zeichen dafür, dass sich etwas tut zwischen
Staat und Kirche oder Moslems/Christen – oder könnte das ein Stolperstein sein?
„Die
Rede in Regensburg war, von der türkischen Seite her gesehen, ein unglücklicher Start;
gegenwärtig wird man vielleicht wenigstens erwarten können, dass diese negativen Gefühle
überwunden werden, denn gerade in persönlichen Begegnungen kann sehr vieles wieder
ausgeräumt werden. Ich denke daran, wie lange Johannes Paul II. um eine positive Aufnahme
von Griechenland her gekämpft hat, und sein persönliches Hingehen und sein Auftreten
dort hat dann sehr vieles bewegt. Etwas Ähnliches könnte ich mir jetzt auch bei Papst
Benedikt in der Türkei vorstellen – wenn er jetzt zum Beispiel den unüblichen Schritt
tut, den Präsidenten des Amtes für religiöse Angelegenheiten zu besuchen, der ja rangmäßig
weit unter ihm steht. Das sind Zeichen, die vielleicht schon wirken werden.“
Gleichzeitig gab es aber Irritationen, dass der Papst die Hagia Sophia
besuchen will, als sei das ein Wiederaufrichten des byzantinischen Reiches… Jetzt
wird daran noch der Besuch der Sultan-Ahmed-Moschee angehängt. Ist das eine diplomatische
Rettungsaktion, oder macht das die Sache wieder gut?
„Dahinter stecken
sehr viele Emotionen. Es hängt zusammen mit dem ersten Papstbesuch von Papst Paul
VI. – der ist damals rein religiös abgelaufen, obwohl ihn die türkische Regierung
mit viel Respekt aufgenommen hat, der türkische Außenminister hat ihn damals in Istanbul
begleitet. Papst Paul ist nicht nach Ankara gegangen, sondern war nur in Istanbul
und in Ephesus – und in der Hagia Sophia hat er dann gefragt, Darf ich ein Gebet sprechen?,
und hat sich niedergekniet und gebetet. Das gab danach einen Aufschrei in der türkischen
Presse, weil man das ganz anders verstanden hat. Wenn der Sultan in eine christliche
Kirche gekommen ist und dort sein Gebet verrichtet hat, dann ist das damit eine Moschee
geworden… Man hat das irgendwie als eine Wieder-Konsekrierung der Kirche durch den
Papst interpretiert. Johannes Paul II. war sich dann dieser Sache sehr bewusst
und hat seinen Besuch dann auch auf Bitten der türkischen Seite ganz anders aufgezogen:
Er war zunächst in Ankara, hat dort absichtlich als erstes die türkische Regierung
besucht und war dann in Istanbul, hat sehr bewusst die Hagia Sophia einfach nur besichtigt
und sich erklären lassen – ohne irgendwelche Gebetsformen. Und jetzt fragen sich
alle: Wie wird denn der dritte Papstbesuch sein? Und da hat es eben vorher schon Zeitungsberichte
gegeben: Der Papst möchte in der Hagia Sophia einen Gottesdienst feiern. Und da waren
natürlich sofort wieder Irritationen da. Dabei glaube ich, es war bei der Vorbereitung
des Besuches allen klar, dass es keinen Gottesdienst in der Hagia Sophia geben wird! Der
Wunsch nun, dass der Papst auch die Blaue Moschee besuchen soll, ist in der letzten
Zeit plötzlich entstanden; das ist für die Türkei sicher ein besonderes Zeichen, dass
der Papst diese Moschee offenbar als erste Moschee in seinem Leben überhaupt betreten
wird.“
Dieses Skandalfoto von Paul VI., der in der Hagia
Sophia kniet, habe ich am Sonntag auf dem Titelblatt einer türkischen Zeitung gesehen…
„Ja,
es kommen jetzt alle möglichen Vorurteile von bestimmten Randgruppen hoch, die dem
Papst jetzt Kreuzfahrermentalität und ähnliches vorwerfen. Aber man muss auch sehen,
dass das jetzt ein Anlass für kleine Gruppen ist, um sich wichtig zu machen – das
gibt es ja in anderen Ländern auch.“
Angenommen, der Papst
führe hier an der St.-Georgs-Schule vorbei, würde sich hier hinsetzen und sagen, Pater
Franz, geben Sie mir doch mal einen Tipp, worauf ich in der Türkei achten sollte –
was würden Sie sagen?
„Ich glaube zwar nicht, dass der Papst von
mir einen Tipp braucht – aber St. Georg steht dafür, dass man sehr viel Geduld und
Vertrauen braucht. Und das hat die römische Kirche und das Papsttum auch.“
Sie sind hier als Schulleiter und Lehrer, aber nicht als Priester tätig
– warum nicht?
„Die Türkei unterscheidet sehr klar zwischen allen
staatlichen Funktionen – und die Erziehung gehört dazu – und dem religiösen Bereich.
Das ist im Grunde genommen nach dem Beispiel Frankreichs, aber etwas verschärft in
dem Sinn, dass der Staat die Religion – und da denkt er eigentlich an die islamische
Religion – in Kontrolle halten möchte. Aus diesem Grund ist das ganze Schulwesen der
Türkei ganz klar in die nationale Kontrolle eingegliedert: Es gibt zwei Ministerien
in der Türkei, die den Beinamen „national“ haben, nämlich das Ministerium für nationale
Verteidigung und das Ministerium für nationale Erziehung. In dieses Ministerium für
nationale Erziehung sind wir mit eingegliedert. Es ist eine ungewöhnliche
Form, dass ein katholischer Priester Direktor einer türkischen Schule sein kann. Das
ist möglich, aber ich muss eben dafür auf geistliche Funktionen, etwa als Gemeinde-Leiter,
verzichten.“
Angenommen, Sie würden mal eine Messe in
der Antoniuskirche feiern – was würde denn dann konkret passieren?
„Da
würde gar nichts passieren! Es ist mir nicht benommen, meine Religion auszuüben und
am Gottesdienst teilzunehmen. Allerdings kann ich nicht offiziell beide Berufe gleichzeitig
ausüben; ich bekomme meine Arbeitsgenehmigung als Lehrer und nicht als Priester. Ich
könnte sie auch als Priester bekommen – dann müsste ich aber auf die Funktion als
Lehrer verzichten…“ (rv 28.11.06 sk)