2006-11-28 11:25:41

Türkei: „Habe mich hier nie bedroht gefühlt“


RealAudioMP3 Kaum ein ausländischer Kirchenmann ist schon so lange in der Türkei wie er: Franz Kangler, ein Lazaristenpater aus Österreich, leitet die traditionsreiche St.-Georg-Schule. Der riesige Bau dieser Schule, die vor 120 Jahren gegründet wurde, liegt gleich unterhalb des Galaterturms, nicht weit vom Goldenen Horn; die nahe liegende Georgskirche wurde 1503 erstmals urkundlich erwähnt, der Legende nach steht sie über einem Apollo-Tempel. Pater Kangler nun, der seit dreißig Jahren am Bosporus lebt, hat Vertrauen zum langen Weg der Türkei nach Europa gefasst. Und er meinte im Gespräch mit unserem Korrespondenten Stefan Kempis, dass gerade die derzeitige Aufregung um den Papstbesuch ein Beleg dafür sein könnte, dass die Türkei auf dem richtigen Weg ist.

Ich glaube, dass zur Zeit schon eine gewisse Irritierung der Türken selbst spürbar ist, dass sie selbst nicht ganz wissen, wie sie sich verhalten sollen. Es gibt auch ganz verschiedenartige Strömungen in der türkischen Presse, die ja auch die Menschen beeinflussen. Einerseits dahingehend, dass es heißt: Der Papst ist ein Feind der Türken; er ist ganz maßgeblich dafür, dass die Türkei nicht in die EU kommen kann. Der Papst möchte dem Ökumenischen Patriarchen – ein Titel, der ja von der Türkei bestritten wird, weil er nicht religiös, sondern politisch gedeutet wird – dazu verhelfen, ein zweiter Vatikan zu werden, und das Ganze sei eine anti-türkische Verschwörung. Diese Stimmung gibt`s da, und das wirkt sich aus – einerseits.
Aber andererseits gibt es eigentlich die jahrzehntelange positive Erfahrung, die ja auch gegeben ist und in der wir zum Beispiel auch leben: Ich bin hier seit dreißig Jahren in der Türkei und habe mich hier nie bedroht oder um mein Leben besorgt gefühlt.



„Ich denke, dass das gerade zeigt, dass sehr viel in Bewegung geraten ist. Es war in all diesen Fragen vor zwanzig Jahren viel ruhiger in der Türkei; gerade weil sich mittlerweile soviel in Bewegung gesetzt hat, gibt es auch Beunruhigungen. Ich sehe das wie in einem Krankheitsprozess – da ist Fieber einerseits beunruhigend, andererseits aber zeigt es, dass sich etwas tut. Ich glaube, dass sich in den letzten Jahren in der türkischen Zivilgesellschaft sehr viel getan hat – und genau deshalb, weil man im eigenen Land sehr unklar sieht, wohin es in Zukunft geht (im kommenden Jahr gibt es Wahlen in der Türkei, und die Frage des Parlamentspräsidenten ist offen, er ist neu zu besetzen), genau deshalb werden dann äußere Gefahren etwas stärker betont.



Die Rede in Regensburg war, von der türkischen Seite her gesehen, ein unglücklicher Start; gegenwärtig wird man vielleicht wenigstens erwarten können, dass diese negativen Gefühle überwunden werden, denn gerade in persönlichen Begegnungen kann sehr vieles wieder ausgeräumt werden. Ich denke daran, wie lange Johannes Paul II. um eine positive Aufnahme von Griechenland her gekämpft hat, und sein persönliches Hingehen und sein Auftreten dort hat dann sehr vieles bewegt. Etwas Ähnliches könnte ich mir jetzt auch bei Papst Benedikt in der Türkei vorstellen – wenn er jetzt zum Beispiel den unüblichen Schritt tut, den Präsidenten des Amtes für religiöse Angelegenheiten zu besuchen, der ja rangmäßig weit unter ihm steht. Das sind Zeichen, die vielleicht schon wirken werden.



„Dahinter stecken sehr viele Emotionen. Es hängt zusammen mit dem ersten Papstbesuch von Papst Paul VI. – der ist damals rein religiös abgelaufen, obwohl ihn die türkische Regierung mit viel Respekt aufgenommen hat, der türkische Außenminister hat ihn damals in Istanbul begleitet. Papst Paul ist nicht nach Ankara gegangen, sondern war nur in Istanbul und in Ephesus – und in der Hagia Sophia hat er dann gefragt, Darf ich ein Gebet sprechen?, und hat sich niedergekniet und gebetet. Das gab danach einen Aufschrei in der türkischen Presse, weil man das ganz anders verstanden hat. Wenn der Sultan in eine christliche Kirche gekommen ist und dort sein Gebet verrichtet hat, dann ist das damit eine Moschee geworden… Man hat das irgendwie als eine Wieder-Konsekrierung der Kirche durch den Papst interpretiert.
Johannes Paul II. war sich dann dieser Sache sehr bewusst und hat seinen Besuch dann auch auf Bitten der türkischen Seite ganz anders aufgezogen: Er war zunächst in Ankara, hat dort absichtlich als erstes die türkische Regierung besucht und war dann in Istanbul, hat sehr bewusst die Hagia Sophia einfach nur besichtigt und sich erklären lassen – ohne irgendwelche Gebetsformen.
Und jetzt fragen sich alle: Wie wird denn der dritte Papstbesuch sein? Und da hat es eben vorher schon Zeitungsberichte gegeben: Der Papst möchte in der Hagia Sophia einen Gottesdienst feiern. Und da waren natürlich sofort wieder Irritationen da. Dabei glaube ich, es war bei der Vorbereitung des Besuches allen klar, dass es keinen Gottesdienst in der Hagia Sophia geben wird!
Der Wunsch nun, dass der Papst auch die Blaue Moschee besuchen soll, ist in der letzten Zeit plötzlich entstanden; das ist für die Türkei sicher ein besonderes Zeichen, dass der Papst diese Moschee offenbar als erste Moschee in seinem Leben überhaupt betreten wird.“



„Ja, es kommen jetzt alle möglichen Vorurteile von bestimmten Randgruppen hoch, die dem Papst jetzt Kreuzfahrermentalität und ähnliches vorwerfen. Aber man muss auch sehen, dass das jetzt ein Anlass für kleine Gruppen ist, um sich wichtig zu machen – das gibt es ja in anderen Ländern auch.“



Ich glaube zwar nicht, dass der Papst von mir einen Tipp braucht – aber St. Georg steht dafür, dass man sehr viel Geduld und Vertrauen braucht. Und das hat die römische Kirche und das Papsttum auch.



Die Türkei unterscheidet sehr klar zwischen allen staatlichen Funktionen – und die Erziehung gehört dazu – und dem religiösen Bereich. Das ist im Grunde genommen nach dem Beispiel Frankreichs, aber etwas verschärft in dem Sinn, dass der Staat die Religion – und da denkt er eigentlich an die islamische Religion – in Kontrolle halten möchte. Aus diesem Grund ist das ganze Schulwesen der Türkei ganz klar in die nationale Kontrolle eingegliedert: Es gibt zwei Ministerien in der Türkei, die den Beinamen „national“ haben, nämlich das Ministerium für nationale Verteidigung und das Ministerium für nationale Erziehung. In dieses Ministerium für nationale Erziehung sind wir mit eingegliedert.
Es ist eine ungewöhnliche Form, dass ein katholischer Priester Direktor einer türkischen Schule sein kann. Das ist möglich, aber ich muss eben dafür auf geistliche Funktionen, etwa als Gemeinde-Leiter, verzichten.



Da würde gar nichts passieren! Es ist mir nicht benommen, meine Religion auszuüben und am Gottesdienst teilzunehmen. Allerdings kann ich nicht offiziell beide Berufe gleichzeitig ausüben; ich bekomme meine Arbeitsgenehmigung als Lehrer und nicht als Priester. Ich könnte sie auch als Priester bekommen – dann müsste ich aber auf die Funktion als Lehrer verzichten…
(rv 28.11.06 sk)







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