Auch das noch: Genau
einen Tag vor Ankunft des Papstes in Ankara sind Versuche der finnischen EU-Ratspräsidentschaft
gescheitert, der Türkei einen Kompromiß in der Zypern-Frage abzuhandeln. Jetzt stehen
mit einem Mal die ganzen Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU auf der Kippe. Rainer
Hermann ist Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Istanbul – und, anders
als viele Kirchenleute im Westen, ein Befürworter eines EU-Beitritts der Türkei. Stefan
Kempis fragte Hermann, was die Papstreise für die Türkei politisch bedeutet in diesem
Moment, in dem sich an der EU-Front ein Gewitter zusammenbraut. „Einen direkten
Zusammenhang möchte ich nicht herstellen zwischen dem Zustand der EU-Beitrittsverhandlungen
und der Papstreise. Allerdings nimmt die Türkei diese Papstreise durchaus als eine
Art Reifetest wahr, um zu zeigen, dass trotz vorangegangener kritischer Äußerungen
von Papst Benedikt XVI., die er noch als Kardinal Ratzinger getan hatte, zum Beispiel
über die Europatauglichkeit der Türkei, oder dann später seine Regensburger Rede –
dass also trotz dieser Äußerungen, von denen sich viele Türken verletzt gefühlt haben,
die Türkei den Papst mit Respekt und Gastfreundlichkeit empfängt. Die Wogen haben
sich in den vergangenen Tagen erheblich geglättet, Emotionen sind in der türkischen
Öffentlichkeit nicht mehr zu spüren; die große Demonstration, die am Sonntag die Massen
gegen den Besuch hätte mobilisieren sollen, hat statt der erwarteten einen Millionen
nur fünfzehn-, maximal zwanzigtausend Demonstranten angezogen – was durchaus repräsentativ
ist für die Art und Weise, mit der die türkische Bevölkerung diesen Besuch wahrnimmt.
Viele sagen: Ja, darüber haben wir doch jetzt ein Jahr lang geredet – lasst den Papst
doch mal endlich kommen, lassen wir diese Sache doch endlich in Würde über die Bühne
gehen!“
Auf den Straßen merkt man doch eine spürbare Papstfeindlichkeit…
„Das
ist eine kritische Distanz, die nicht generell dem Vatikan oder dem Papsttum gilt,
sondern diesem Papst speziell. Früheren Päpsten hat die Türkei durchaus positiv gegenübergestanden,
vor allem natürlich Johannes XXIII., der hier lange tätig war und dann beispielsweise
auch in der Liturgie die türkische Sprache eingeführt hat. Positiver stand man auch
Johannes Paul II. gegenüber; als er 1979 kam, war das gerade die Zeit, in der die
großen Religionen der Welt aufeinander zugingen und auch den Dialog mit dem Islam
suchten, um eine Allianz gegen den Materialismus zu bilden… während viele Türken in
diesem Papst eher einen sehen, der die Türkei aus der Europäischen Union fernhalten
möchte, weil Benedikt XVI., dito Kardinal Ratzinger, der Meinung ist, ein Land mit
muslimischer Bevölkerungsmehrheit würde den Säkularisierungsprozess in der EU beschleunigen
und würde den christlichen Charakter der EU untergraben. Und das spüren natürlich
die Leute hier, und darum sind sie diesem Papst gegenüber negativer eingestellt als
gegenüber früheren Päpsten.“
Was müsste diese Reise leisten, um ein Erfolg
zu werden – für die Türkei, für Europa und für den Papst?
„Der Papst muss
neugierig sein, er muss den Türken einfach zeigen: Seht mal her, ich bin ja ganz anders,
als ihr eigentlich gedacht habt. Ich bin ziemlich sicher, dass Papst Benedikt anders
ist, als viele Türken ihn darstellen, und deswegen wird allein schon seine Präsenz,
weiterverbreitet jeden Tag durch die Medien, zu einer Korrektur dieses Bildes beitragen
und zu einer Revision der Interpretation seiner Regensburger Rede führen.“