Führende Protestanten
haben zum Buß- und Bettag auf gesellschaftliche Probleme in Deutschland hingewiesen.
Der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber kritisierte in seiner Predigt in der Leipziger
Thomaskirche unter anderem die Aushöhlung des Sonntagsschutzes. Die neuen Ladenöffnungsgesetze
in Berlin und anderen Bundesländern würden den Sonntag bedrohen, sagte Huber. Er kritisierte
außerdem, daß der umstrittene Leichpräparator Gunther von Hagens im brandenburgischen
Guben eine Fabrik eröffnen durfte. Er sieht darin eine Verrohung der Sitten, bei der
nicht nur Körper sondern auch Seelen in Scheiben geschnitten werden. Der bayerische
Landesbischof Johannes Friedrich erinnerte in seiner Predigt in München an die Vergänglichkeit
des Menschen und sprach sich für eine würdige Sterbekultur aus. Er forderte neue Sterbe-Hospize
und eine bessere medikamentöse Behandlung Todkranker. Einen entschiedenen Einsatz
für den starken Sozialstaat hat der theologische Repräsentant der Bremischen Evangelischen
Kirche, Pastor von Zobeltitz, gefordert. In Deutschland gehe die Schere zwischen Arm
und Reich immer weiter auseinander. Seiner Meinung nach ist das eine echte Gefahr
für den sozialen Frieden in Deutschland. Ein besonderer Gottesdienst fand heute
in Emsdetten statt. Drei Tage nach dem Amoklauf in der Geschwister-Scholl-Realschule
haben sich dort mehr als eintausend Menschen versammelt – darunter auch viele Schüler.
Der Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Alfred Buß, rief dazu auf, aus
dem Zwischenfall die richtigen Konsequenzen zu ziehen. „Wir sollen füreinander
da sein, aufeinander achten. Und das ist schwerer als Videospiele und Gewalt verbieten.
Das bedeutet, dass wir als Eltern und Kinder, als Menschen hier in Emstetten und überall
Zeit füreinander haben. Vielleicht können wir das in diesen Tagen neu lernen.“ Auch
die Bischöfin der hannoverschen Landeskirche, Margot Käßmann, nahm in ihrer Predigt
Bezug auf den Amoklauf. Zuvor reif sie im Deutschlandradio zu mehr Verantwortung für
den anderen auf. „Was uns als Zivilgesellschaft insgesamt angeht, fehlt eine Kultur
der Achtsamkeit, dass jemand aufmerksam, wird, wenn ein Junge sich dermaßen ausgrenzt
aus der Schule, aus dem Alltag. Eine Kultur der Achtsamkeit heißt, dass es mir nicht
egal ist, was andere tun.“ Der Buß- und Bettag ist für evangelische Christen
ein Tag der Besinnung und Neuorientierung. Als gesetzlicher Feiertag wurde er 1995
überall – außer in Sachsen- abgeschafft, um die Pflegeversicherung zu finanzieren.
Dennoch hat er noch seinen festen Platz im kirchlichen Festkalender. Viele Kirchen
laden zu Abendgottesdiensten. In einigen kleinen Gemeinden, wie etwa in Franken, bleiben
sogar die meisten Läden, Betriebe und Verwaltungseinrichtungen geschlossen. (rv
221106 dk / mc)