2006-11-16 17:23:57

Dossier: Der Papst, der Vatikan und der Zölibat


RealAudioMP3 Papst Benedikt hat am Donnerstag mit seiner Kurienspitze über Aspekte des priesterlichen Pflicht-Zölibats beraten. Dieser Gipfel im Vatikan ist unser Ausgangspunkt. Sagen wir`s gleich vorab: Es ist nicht der ganze Pflichtzölibat, der da im Vatikan auf dem Prüfstand war. Es geht auch nicht um die so gennanten Viri Probati. Es geht um Priester, die aufgeben und nach einiger Zeit doch wieder in ihr Priesteramt zurückkehren wollen. Wie groß ist das Phänomen überhaupt? Frage an den Wiener Pastoraltheologen Paul Michael Zulehner:
"Zunächst ist ja jeder Einzelfall kostbar. Es handelt sich um einmalige Biografien, die zu schätzen und zu stützen sind. Ich denke aber, wenn ich so diese Organisationen anschaue, die es bei uns gibt, und wenn ich Priester ohne Amt und deren Vereinigungen treffe, dass durchaus mehr Bereitschaft da wäre..."
 
Es geht nicht um den Zölibat an sich

Von 30.000 Priestern, die um Entpflichtung von ihrem Dienst gebeten haben, weil sie heiraten wollten, suchte nach Jahren jeder Dritte um eine Rückkehr ins Priesteramt an – das sind nach Angaben der katholischen Zeitung „La Croix“ offizielle Zahlen aus den Jahren 1970 bis 1995. Warum kann denn da die Kirche nicht einfach sagen: Liebe Priester, kommt zurück? Der Zölibat ist doch kein Dogma, sondern "nur" eine disziplinarische Vorschrift... Aber er geht zurück in die ersten Jahrhunderte der Kirche, bekräftigt der römische Professor und Priester Stefan Heid, Autor eines Buches zum Thema.
"Der Zölibat hat sicher seinen Ursprung in der frühen Kirche - wenn man sich bewußt macht, dass Zölibat als Ehelosigkeit zu eng gegriffen ist in der Diskussion. Das war auch oft Ursprung von Mißverständnissen, dass man immer nur gefragt hat: Die Ehelosigkeit - der Zölibat -, wann fängt der an? Aber die Enthaltsamkeit, also eine Zölibatsverpflichtung im umfassenden Sinne - die gab es schon relativ früh, das ist zumindest meine Auffassung. In anderen Worten: Die Priester waren zum Teil verheiratet, aber sie mußten, in Übereinstimmung auch mit ihrer Ehefrau, enthaltsam leben. Das heißt: Sie durften Priester werden, auch wenn sie verheiratet waren, auch Diakone - aber beide mußten erklären und damit einverstanden sein, dass sie ihr Eheleben nun enthaltsam führen."
Natürlich gab es in den ersten Jahrhunderten des Christentums eine Debatte zum Zölibat - aber nicht in der Hinsicht, dass es völliges Unverständnis für ein solches Kriterium der Zulassung zum Priesteramt gegeben hätte. Eher im Gegenteil: Dass ein Geistlicher zölibatär lebte, das wurde eigentlich vorausgesetzt. Heid: "Von einem Chirurgen wird erwartet, dass er eine ruhige Hand hat. Und von einem Priester erwartete man in der frühen Kirche der ersten Jahrhunderte, des Mittelalters ganz selbstverständlich, dass er enthaltsam lebt."

Zölibat schon in der frühen Kirche bekannt

Unsere erste Erkenntnis: Ja, der Zölibat ist kein Dogma, sondern nur eine, wie der jetzige Papst einmal gesagt hat, "Lebensgewohnheit" - aber eine, die ihre Wurzeln in der frühesten Zeit des Christentums hat. Oft wird nun auf die Praxis der orthodoxen Kirche verwiesen, in der es verheiratete Priester gibt. Das stimmt schon, sagt Professor Heid dazu. "Aber das, was frühkirchlich tief verankert ist, nämlich die Enthaltsamkeit auch der verheirateten Geistlichen - das ist auch in der Ostkirche selbstverständlich, wurde aber zu einem bestimmten Zeitpunkt, nämlich im 7. Jahrhundert, eingeschränkt. Das heißt: Es gibt zwischen West- und Ostkirche, also Lateinern und Byzantinern, einen Grundkonsens über die Enthaltsamkeitspflicht der Geistlichen. Da gibt es gar keine Diskussion."
Den Wert des Zölibats sieht Professor Heid so: "Das hat zutiefst damit zu tun, dass man frei wird für Gott. Es ist einfach ein genuiner Ausdruck priesterlicher Spiritualität, daß man sich Gott ganz weiht und dies auch vor allen Dingen darin zum Ausdruck bringt, dass man frei wird - innerlich, in seinen Entscheidungen und auch für das religiöse Tun, also die Feier der Eucharistie."
Auch Zulehner unterstreicht den Wert der Zölibatspflicht für Priester: "Naja - das sind ja die Eckwerte, die jeder kennt. Dass das eine disziplinäre Klarheit in der Kirche war seit dem Jahr 1000 ungefähr, diese ehelose Lebensform als Zulassungsbedingung zu definieren - das hat der Kirche auch sehr viele Vorteile und hervorragende Persönlichkeiten gebracht, die unglaublich viel Lebensenergie und Eros in den pastoralen Dienst investieren konnten. Das ist überhaupt keine Frage."

"Die Berufung bleibt"

Und trotzdem: Zum ersten Mal überhaupt haben sich immerhin an diesem Donnerstag im Vatikan römische Kirchenführer auf so hohem Niveau den Kopf über den Zölibat zerbrochen. Wir haben bisher herausgearbeitet, welchen Wert der Zölibat in der lateinischen Kirche hat - auf diesem Hintergrund jetzt also die Frage: Kann man davon einfach absehen, wenn ausgeschiedene Priester, die wegen des Zölibats gegangen sind, jetzt reumütig zum Altar zurückkehren wollen? Professor Zulehner meint dazu zum einen:

"Ich glaube, dass die bleibende Berufung dieser Personen ganz ernst genommen werden muß - ob sie jetzt weggegangen sind wegen Heirat oder, wie manche, auch wegen Glaubens- und Kirchenproblemen. Es ist ja immer diese bleibende Berufung vorhanden. Und die Kirche hat diese Berufung einmal schon angenommen und hat sich dann von diesen Personen aber getrennt, weil eben bestimmte Umstände eingetreten sind, die die Ausübung der Berufung dann - des Priesteramtes, des auch schon ausgeübten Priesteramtes - nicht möglich machen. Und ich glaube, dass die Kirche mit diesem kostbaren Schatz einer gegebenen Berufung, die auch schon durch die Weihe von der Kirche mal akzeptiert war, sehr behutsam und fürsorglich umgehen soll."
Wenn es hier jetzt also im Vatikan zu einer neuen, theologisch begründeten Nachdenklichkeit kommt, dann ist das aus der Sicht des Wiener Pastoralexperten eine sehr gute Sache. Und dann gibt es nach dem Theologischen noch einen menschlichen Aspekt: "Das Zweite ist sicher, dass es Menschen sind, die ja, wenn man es mal so ein bißchen salopp sagen will, zunächst ihr ganzes Leben auf dieses Pferd gesetzt haben. Jetzt sind sie nun abgestiegen oder abgeworfen worden, aber trotzdem ist es noch ihr menschliches Lebenskonzept... und wir beobachten, dass nach einiger Zeit, oft auch nach längerer Zeit einer Ehe, dann die Normalisierung eintritt und diese Priester merken, dass natürlich es eine massive Konkurrenz gibt zwischen ihrem Traumberuf Priester und der Ehe, die zunächst wesentlich höher gesetzt worden ist und die dem Priesteramt vorgezogen worden war, die aber nun offenbar wieder in Konkurrenz zu treten scheint auch zum Priesteramt."
Da gebe es, so glaubt Professor Zulehner, und so erlebt er es immer wieder in der Praxis, eine sehr starke, manchmal sogar krankmachende Sehnsucht. Er kenne viele Priester ohne Amt, die sehr beunruhigt und menschlich auch sehr verletzt seien. Neben der theologischen also - die menschliche Seite. Zulehner macht aber noch auf einen dritten Aspekt aufmerksam, nämlich den pastoralen:
"Wir leben in einer Zeit des bedrängenden Priestermangels in unseren Breiten, und zugleich hat die Kirche hier ein schon geweihtes Potential - von vielen Personen abgesehen, die auch eine Berufung in sich spüren, aber die die Kirche wegen der Zulassungsbedingungen nicht weiht, wie Diakone, Pastoralreferenten und all diese Berufsgruppen. Da gibt es latent schon eine Menge von Personen, die Priester werden möchten. Aber jetzt hätte man schon dieses geweihte Potential, und möglicherweise ließe sich im Wechselspiel zwischen Priestermangel in den Gemeinden und diesem vorhandenen Potential mit Augenmaß und Klugheit doch eine Lösung finden, die für alle Beteiligten wertvoll wäre."

Priestermangel - ein neues Phänomen

Priestermangel - nein, sowas hat es im ersten Jahrhundert der Christenheit gar nicht gegeben, sagt Professor Heid dazu. "Also wenn jemand aus dem Amt entlassen werden mußte oder entlassen wurde oder sich selbst daraus verabschiedet hat, dann hatte man genug Ersatz. Also, diese Situation von heute, dass man um jeden Priester ringt, das ist eine neuzeitliche Situation, die gab es nicht. In der Frühen Kirche haben wir einen Überschuß an Klerikern, und im Mittelalter sowieso!"
Heute dagegen, wie gesagt: Mangel, nicht Überschuß. Zulehner spitzt diesen Gedanken auch noch etwas zu, spricht von einer richtiggehenden "eucharistischen Not der Gemeinden" - diese dürfe die Kirche nicht ruhen lassen, sondern verpflichte sie dazu, sich Gedanken zu machen. "Weil ich nicht der Meinung bin, dass die Kirche gut beraten ist, ihr Innerstes, das auch die letzten Päpste so ins Zentrum der Kirche gestellt haben, dass die Kirche ja in der Eucharistie ständig neu geboren wird und sich unentwegt neu erneuert... daß dann nicht diese nötigen Voraussetzungen geschaffen werden, dass es Priester in Ruf- und Reichweite für eucharistiefähige, gläubige Gemeinden gibt... ich glaube, aus diesem Syndrom von den drei Strömen - das Theologische, das Menschliche und das Pastorale - würde sich doch eine begründete Überlegung lohnen, ob wir nicht einen Schritt historisch weiterkommen."

"Der leichteste Fall, wenn Partnerin stirbt"

Das Ergebnis des Gipfels von Papst Benedikt und seinen engsten Mitarbeitern ist in dem Moment, wo ich diese Sendung vorbereite, noch nicht in den Einzelheiten bekannt. Ein Statement des Vatikans bekräftigt lediglich den hohen Wert des Zölibats von Priestern. Aber man darf doch schon mal fragen: Wie könnte denn ein Schritt nach vorne aussehen? Professor Zulehner dazu: "Der leichteste Fall, aber auch nicht so einfach akzeptiert von den Verbliebenen, ist, wenn die Partnerin stirbt oder - ja, wenn sie stirbt, das ist der normalste Fall... daß dann eine Rückkehr ganz leicht gedacht werden kann, weil diese Person ja im Grunde genommen dann ohne störendes Kriterium ist.
Viel schwieriger ist es bei denen, die durchaus in der Ehe bleiben wollen. Auf welche Art und Weise sich hier die Kirche Gedanken machen könnte, weil sie dann faktisch unter der Hand etwas wie verheiratete Priester einführen würde - analog zu den evangelischen Pastoren, die auch aus einer anderen Situation, aber schon mit Ehefrauen in das Priesteramt hineingehen -, ob die Kirche dazu jetzt schon bereit und in der Lage und mutig genug ist, das entzieht sich schon wirklich meiner Kenntnis. Manche wünschen sich das so, ich kann aber nicht abschätzen, ob die Überlegungen jetzt in diese Richtung gehen werden."
Professor Zulehner betont: Der Zölibat ist nicht tabu, über ihn darf diskutiert werden. Und auch beim Papst sieht er viel Offenheit dazu. "Ich habe dieser Tage einen Text von ihm gefunden, wo er eine Vision für die Kirche im Jahre 2000 entwickelt hat, im Bayerischen Rundfunk gesendet. Da schreibt er, dass man vielleicht in Zukunft in diesen ganz anders gestalteten kleineren Gemeinden überhaupt ehrenamtliche Personen in das Priesteramt bitten wird, vielleicht auch gleich zwei oder drei aus einer solchen Gemeinde in ein kleines Team, Presbyterium, und daß es daneben auch den unverheirateten ehelosen Priester wie bisher geben wird."
Der Papst sage ja immer wieder, es gebe keinen früheren oder späteren Ratzinger - also seien diese Überlegungen zur Pfarrei der Zukunft eine, wie Zulehner formuliert, "Schicht in seiner Geschichte". Das zeige, dass Benedikt an diesem Thema großes Interesse habe.
"Insofern meine ich, daß es in der Verantwortung des Papstes liegt, der grundsätzlich durchaus das für möglich hält und der die Leiden der Priester ja unentwegt aus nächster Nähe sieht und zu dem Bischöfe kommen und sagen, Heiliger Vater, geht nicht eine Überlegung in dieser Richtung weiter? - dass er dann sagt: Gut, das nehme ich in Angriff... Ich würde es ihm zutrauen, daß er auch längerfristig die große Lösung bringt und nicht jetzt nur vereinzelt Priester ohne Amt wieder in das Amt zurückführen wird."

Kommt die "große Lösung"?

Kommt sie also demnächst mal, die "große Lösung"? Im Gesprächsbuch "Salz der Erde" des Journalisten Peter Seewald meinte Ratzinger auf die Frage: "Glauben Sie, dass sich Priester vielleicht doch eines Tages frei zwischen zölibatärem Leben und nicht-zölibatärem Leben werden entscheiden können?" folgendes: "Man soll keine noch so tief verankerte und begründete Lebensgewohnheit der Kirche für ganz absolut erklären. Sicher wird sich die Kirche die Frage immer wieder stellen müssen, sie hat es jetzt auch in zwei Synoden getan. Aber ich denke, aus der ganzen Geschichte der abendländischen Christenheit heraus und eben aus der inneren Vision, die dem Ganzen zugrunde liegt, sollte die Kirche nicht glauben, daß sie leicht viel gewinnen wird, wenn sie zu dieser Entkoppelung schreitet; sie wird aber auf jeden Fall verlieren, wenn sie es tut."

Nachfrage von Peter Seewald: "Man kann also sagen, Sie glauben nicht, daß es eines Tages in der katholischen Kirche verheiratete Priester geben wird?" Antwort des damaligen Kardinals Ratzinger:

"Jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Um jetzt ganz ehrlich zu sein, muß ich sagen, wir haben ja verheiratete Priester, die aus der anglikanischen Kirche oder aus verschiedenen evangelischen Gemeinschaften als Konvertiten zu uns gekommen sind. Also in Ausnahmesituationen ist dies möglich, aber es sind eben Ausnahmesituationen. Und ich denke, daß es auch in Zukunkt Ausnahmesituationen bleiben werden."

"Es gibt keine Zwangszölibatäre"

Fassen wir noch mal zusammen. Der Pflichtzölibat ist in der Kirche eine sehr alte und geachtete Tradition - aber die eucharistische Not der Gemeinden läßt durchaus die Frage zu, ob die Kirche nicht für Priester, die aus dem Amt geschieden sind und zurückkehren wollen, eine Lösung finden könnte.
Wir konnten in dieser Sendung nicht das ganze Thema Zölibat erschöpfend behandeln, sondern nur ein paar Teilaspekte antippen. Das letzte Wort gehört bei uns dem Papst, demdamaligen Kardinals Ratzinger also, der vor zehn Jahren im Gespräch noch auf einen Punkt besonders aufmerksam machte: "daß es jedenfalls nach dem, was jeder vor der Priesterweihe sagt, ohnehin keine Zwangszölibatäre gibt. Als Priester wird jemand nur dann angenommen, wenn er es auch aus freien Stücken will. Und das ist jetzt natürlich die Frage: Wie tief gehören Priesterschaft und Zölibat zusammen? Ist der Wille, bloß das eine zu haben, nicht doch auch eine niedrigere Ansicht von Priestertum?"

Autor: Stefan v. Kempis
Radio Vatikan

In unserem Audio-Dossier hören Sie auch einige Stellungnahmen von Kardinal Ratzinger, jetzt Papst Benedikt, zum Thema Zölibat. Sie stammen aus dem Jahr 1996.







All the contents on this site are copyrighted ©.