Papst Benedikt hat
am Donnerstag mit seiner Kurienspitze über Aspekte des priesterlichen Pflicht-Zölibats
beraten. Dieser Gipfel im Vatikan ist unser Ausgangspunkt. Sagen wir`s gleich vorab:
Es ist nicht der ganze Pflichtzölibat, der da im Vatikan auf dem Prüfstand war. Es
geht auch nicht um die so gennanten Viri Probati. Es geht um Priester, die aufgeben
und nach einiger Zeit doch wieder in ihr Priesteramt zurückkehren wollen. Wie groß
ist das Phänomen überhaupt? Frage an den Wiener Pastoraltheologen Paul Michael Zulehner:
"Zunächst ist ja jeder Einzelfall kostbar. Es handelt sich um einmalige Biografien,
die zu schätzen und zu stützen sind. Ich denke aber, wenn ich so diese Organisationen
anschaue, die es bei uns gibt, und wenn ich Priester ohne Amt und deren Vereinigungen
treffe, dass durchaus mehr Bereitschaft da wäre..." Es geht nicht
um den Zölibat an sich
Von 30.000 Priestern, die um Entpflichtung von ihrem
Dienst gebeten haben, weil sie heiraten wollten, suchte nach Jahren jeder Dritte um
eine Rückkehr ins Priesteramt an – das sind nach Angaben der katholischen Zeitung
„La Croix“ offizielle Zahlen aus den Jahren 1970 bis 1995. Warum kann denn da die
Kirche nicht einfach sagen: Liebe Priester, kommt zurück? Der Zölibat ist doch kein
Dogma, sondern "nur" eine disziplinarische Vorschrift... Aber er geht zurück in die
ersten Jahrhunderte der Kirche, bekräftigt der römische Professor und Priester Stefan
Heid, Autor eines Buches zum Thema. "Der Zölibat hat sicher seinen Ursprung in
der frühen Kirche - wenn man sich bewußt macht, dass Zölibat als Ehelosigkeit zu eng
gegriffen ist in der Diskussion. Das war auch oft Ursprung von Mißverständnissen,
dass man immer nur gefragt hat: Die Ehelosigkeit - der Zölibat -, wann fängt der an?
Aber die Enthaltsamkeit, also eine Zölibatsverpflichtung im umfassenden Sinne - die
gab es schon relativ früh, das ist zumindest meine Auffassung. In anderen Worten:
Die Priester waren zum Teil verheiratet, aber sie mußten, in Übereinstimmung auch
mit ihrer Ehefrau, enthaltsam leben. Das heißt: Sie durften Priester werden, auch
wenn sie verheiratet waren, auch Diakone - aber beide mußten erklären und damit einverstanden
sein, dass sie ihr Eheleben nun enthaltsam führen." Natürlich gab es in den ersten
Jahrhunderten des Christentums eine Debatte zum Zölibat - aber nicht in der Hinsicht,
dass es völliges Unverständnis für ein solches Kriterium der Zulassung zum Priesteramt
gegeben hätte. Eher im Gegenteil: Dass ein Geistlicher zölibatär lebte, das wurde
eigentlich vorausgesetzt. Heid: "Von einem Chirurgen wird erwartet, dass er eine ruhige
Hand hat. Und von einem Priester erwartete man in der frühen Kirche der ersten Jahrhunderte,
des Mittelalters ganz selbstverständlich, dass er enthaltsam lebt."
Zölibat
schon in der frühen Kirche bekannt
Unsere erste Erkenntnis: Ja, der Zölibat
ist kein Dogma, sondern nur eine, wie der jetzige Papst einmal gesagt hat, "Lebensgewohnheit"
- aber eine, die ihre Wurzeln in der frühesten Zeit des Christentums hat. Oft wird
nun auf die Praxis der orthodoxen Kirche verwiesen, in der es verheiratete Priester
gibt. Das stimmt schon, sagt Professor Heid dazu. "Aber das, was frühkirchlich tief
verankert ist, nämlich die Enthaltsamkeit auch der verheirateten Geistlichen - das
ist auch in der Ostkirche selbstverständlich, wurde aber zu einem bestimmten Zeitpunkt,
nämlich im 7. Jahrhundert, eingeschränkt. Das heißt: Es gibt zwischen West- und Ostkirche,
also Lateinern und Byzantinern, einen Grundkonsens über die Enthaltsamkeitspflicht
der Geistlichen. Da gibt es gar keine Diskussion." Den Wert des Zölibats sieht
Professor Heid so: "Das hat zutiefst damit zu tun, dass man frei wird für Gott. Es
ist einfach ein genuiner Ausdruck priesterlicher Spiritualität, daß man sich Gott
ganz weiht und dies auch vor allen Dingen darin zum Ausdruck bringt, dass man frei
wird - innerlich, in seinen Entscheidungen und auch für das religiöse Tun, also die
Feier der Eucharistie." Auch Zulehner unterstreicht den Wert der Zölibatspflicht
für Priester: "Naja - das sind ja die Eckwerte, die jeder kennt. Dass das eine disziplinäre
Klarheit in der Kirche war seit dem Jahr 1000 ungefähr, diese ehelose Lebensform als
Zulassungsbedingung zu definieren - das hat der Kirche auch sehr viele Vorteile und
hervorragende Persönlichkeiten gebracht, die unglaublich viel Lebensenergie und Eros
in den pastoralen Dienst investieren konnten. Das ist überhaupt keine Frage."
"Die
Berufung bleibt"
Und trotzdem: Zum ersten Mal überhaupt haben sich immerhin
an diesem Donnerstag im Vatikan römische Kirchenführer auf so hohem Niveau den Kopf
über den Zölibat zerbrochen. Wir haben bisher herausgearbeitet, welchen Wert der Zölibat
in der lateinischen Kirche hat - auf diesem Hintergrund jetzt also die Frage: Kann
man davon einfach absehen, wenn ausgeschiedene Priester, die wegen des Zölibats gegangen
sind, jetzt reumütig zum Altar zurückkehren wollen? Professor Zulehner meint dazu
zum einen:
"Ich glaube, dass die bleibende Berufung dieser Personen ganz ernst
genommen werden muß - ob sie jetzt weggegangen sind wegen Heirat oder, wie manche,
auch wegen Glaubens- und Kirchenproblemen. Es ist ja immer diese bleibende Berufung
vorhanden. Und die Kirche hat diese Berufung einmal schon angenommen und hat sich
dann von diesen Personen aber getrennt, weil eben bestimmte Umstände eingetreten sind,
die die Ausübung der Berufung dann - des Priesteramtes, des auch schon ausgeübten
Priesteramtes - nicht möglich machen. Und ich glaube, dass die Kirche mit diesem kostbaren
Schatz einer gegebenen Berufung, die auch schon durch die Weihe von der Kirche mal
akzeptiert war, sehr behutsam und fürsorglich umgehen soll." Wenn es hier jetzt
also im Vatikan zu einer neuen, theologisch begründeten Nachdenklichkeit kommt, dann
ist das aus der Sicht des Wiener Pastoralexperten eine sehr gute Sache. Und dann gibt
es nach dem Theologischen noch einen menschlichen Aspekt: "Das Zweite ist sicher,
dass es Menschen sind, die ja, wenn man es mal so ein bißchen salopp sagen will, zunächst
ihr ganzes Leben auf dieses Pferd gesetzt haben. Jetzt sind sie nun abgestiegen oder
abgeworfen worden, aber trotzdem ist es noch ihr menschliches Lebenskonzept... und
wir beobachten, dass nach einiger Zeit, oft auch nach längerer Zeit einer Ehe, dann
die Normalisierung eintritt und diese Priester merken, dass natürlich es eine massive
Konkurrenz gibt zwischen ihrem Traumberuf Priester und der Ehe, die zunächst wesentlich
höher gesetzt worden ist und die dem Priesteramt vorgezogen worden war, die aber nun
offenbar wieder in Konkurrenz zu treten scheint auch zum Priesteramt." Da gebe
es, so glaubt Professor Zulehner, und so erlebt er es immer wieder in der Praxis,
eine sehr starke, manchmal sogar krankmachende Sehnsucht. Er kenne viele Priester
ohne Amt, die sehr beunruhigt und menschlich auch sehr verletzt seien. Neben der
theologischen also - die menschliche Seite. Zulehner macht aber noch auf einen dritten
Aspekt aufmerksam, nämlich den pastoralen: "Wir leben in einer Zeit des bedrängenden
Priestermangels in unseren Breiten, und zugleich hat die Kirche hier ein schon geweihtes
Potential - von vielen Personen abgesehen, die auch eine Berufung in sich spüren,
aber die die Kirche wegen der Zulassungsbedingungen nicht weiht, wie Diakone, Pastoralreferenten
und all diese Berufsgruppen. Da gibt es latent schon eine Menge von Personen, die
Priester werden möchten. Aber jetzt hätte man schon dieses geweihte Potential, und
möglicherweise ließe sich im Wechselspiel zwischen Priestermangel in den Gemeinden
und diesem vorhandenen Potential mit Augenmaß und Klugheit doch eine Lösung finden,
die für alle Beteiligten wertvoll wäre."
Priestermangel - ein neues Phänomen
Priestermangel
- nein, sowas hat es im ersten Jahrhundert der Christenheit gar nicht gegeben, sagt
Professor Heid dazu. "Also wenn jemand aus dem Amt entlassen werden mußte oder entlassen
wurde oder sich selbst daraus verabschiedet hat, dann hatte man genug Ersatz. Also,
diese Situation von heute, dass man um jeden Priester ringt, das ist eine neuzeitliche
Situation, die gab es nicht. In der Frühen Kirche haben wir einen Überschuß an Klerikern,
und im Mittelalter sowieso!" Heute dagegen, wie gesagt: Mangel, nicht Überschuß.
Zulehner spitzt diesen Gedanken auch noch etwas zu, spricht von einer richtiggehenden
"eucharistischen Not der Gemeinden" - diese dürfe die Kirche nicht ruhen lassen, sondern
verpflichte sie dazu, sich Gedanken zu machen. "Weil ich nicht der Meinung bin, dass
die Kirche gut beraten ist, ihr Innerstes, das auch die letzten Päpste so ins Zentrum
der Kirche gestellt haben, dass die Kirche ja in der Eucharistie ständig neu geboren
wird und sich unentwegt neu erneuert... daß dann nicht diese nötigen Voraussetzungen
geschaffen werden, dass es Priester in Ruf- und Reichweite für eucharistiefähige,
gläubige Gemeinden gibt... ich glaube, aus diesem Syndrom von den drei Strömen - das
Theologische, das Menschliche und das Pastorale - würde sich doch eine begründete
Überlegung lohnen, ob wir nicht einen Schritt historisch weiterkommen."
"Der
leichteste Fall, wenn Partnerin stirbt"
Das Ergebnis des Gipfels von Papst
Benedikt und seinen engsten Mitarbeitern ist in dem Moment, wo ich diese Sendung vorbereite,
noch nicht in den Einzelheiten bekannt. Ein Statement des Vatikans bekräftigt lediglich
den hohen Wert des Zölibats von Priestern. Aber man darf doch schon mal fragen: Wie
könnte denn ein Schritt nach vorne aussehen? Professor Zulehner dazu: "Der leichteste
Fall, aber auch nicht so einfach akzeptiert von den Verbliebenen, ist, wenn die Partnerin
stirbt oder - ja, wenn sie stirbt, das ist der normalste Fall... daß dann eine Rückkehr
ganz leicht gedacht werden kann, weil diese Person ja im Grunde genommen dann ohne
störendes Kriterium ist. Viel schwieriger ist es bei denen, die durchaus in der
Ehe bleiben wollen. Auf welche Art und Weise sich hier die Kirche Gedanken machen
könnte, weil sie dann faktisch unter der Hand etwas wie verheiratete Priester einführen
würde - analog zu den evangelischen Pastoren, die auch aus einer anderen Situation,
aber schon mit Ehefrauen in das Priesteramt hineingehen -, ob die Kirche dazu jetzt
schon bereit und in der Lage und mutig genug ist, das entzieht sich schon wirklich
meiner Kenntnis. Manche wünschen sich das so, ich kann aber nicht abschätzen, ob die
Überlegungen jetzt in diese Richtung gehen werden." Professor Zulehner betont:
Der Zölibat ist nicht tabu, über ihn darf diskutiert werden. Und auch beim Papst sieht
er viel Offenheit dazu. "Ich habe dieser Tage einen Text von ihm gefunden, wo er eine
Vision für die Kirche im Jahre 2000 entwickelt hat, im Bayerischen Rundfunk gesendet.
Da schreibt er, dass man vielleicht in Zukunft in diesen ganz anders gestalteten kleineren
Gemeinden überhaupt ehrenamtliche Personen in das Priesteramt bitten wird, vielleicht
auch gleich zwei oder drei aus einer solchen Gemeinde in ein kleines Team, Presbyterium,
und daß es daneben auch den unverheirateten ehelosen Priester wie bisher geben wird." Der
Papst sage ja immer wieder, es gebe keinen früheren oder späteren Ratzinger - also
seien diese Überlegungen zur Pfarrei der Zukunft eine, wie Zulehner formuliert, "Schicht
in seiner Geschichte". Das zeige, dass Benedikt an diesem Thema großes Interesse habe. "Insofern
meine ich, daß es in der Verantwortung des Papstes liegt, der grundsätzlich durchaus
das für möglich hält und der die Leiden der Priester ja unentwegt aus nächster Nähe
sieht und zu dem Bischöfe kommen und sagen, Heiliger Vater, geht nicht eine Überlegung
in dieser Richtung weiter? - dass er dann sagt: Gut, das nehme ich in Angriff... Ich
würde es ihm zutrauen, daß er auch längerfristig die große Lösung bringt und nicht
jetzt nur vereinzelt Priester ohne Amt wieder in das Amt zurückführen wird."
Kommt
die "große Lösung"?
Kommt sie also demnächst mal, die "große Lösung"? Im
Gesprächsbuch "Salz der Erde" des Journalisten Peter Seewald meinte Ratzinger auf
die Frage: "Glauben Sie, dass sich Priester vielleicht doch eines Tages frei zwischen
zölibatärem Leben und nicht-zölibatärem Leben werden entscheiden können?" folgendes:
"Man soll keine noch so tief verankerte und begründete Lebensgewohnheit der Kirche
für ganz absolut erklären. Sicher wird sich die Kirche die Frage immer wieder stellen
müssen, sie hat es jetzt auch in zwei Synoden getan. Aber ich denke, aus der ganzen
Geschichte der abendländischen Christenheit heraus und eben aus der inneren Vision,
die dem Ganzen zugrunde liegt, sollte die Kirche nicht glauben, daß sie leicht viel
gewinnen wird, wenn sie zu dieser Entkoppelung schreitet; sie wird aber auf jeden
Fall verlieren, wenn sie es tut."
Nachfrage von Peter Seewald: "Man kann also
sagen, Sie glauben nicht, daß es eines Tages in der katholischen Kirche verheiratete
Priester geben wird?" Antwort des damaligen Kardinals Ratzinger:
"Jedenfalls
nicht in absehbarer Zeit. Um jetzt ganz ehrlich zu sein, muß ich sagen, wir haben
ja verheiratete Priester, die aus der anglikanischen Kirche oder aus verschiedenen
evangelischen Gemeinschaften als Konvertiten zu uns gekommen sind. Also in Ausnahmesituationen
ist dies möglich, aber es sind eben Ausnahmesituationen. Und ich denke, daß es auch
in Zukunkt Ausnahmesituationen bleiben werden."
"Es gibt keine Zwangszölibatäre"
Fassen
wir noch mal zusammen. Der Pflichtzölibat ist in der Kirche eine sehr alte und geachtete
Tradition - aber die eucharistische Not der Gemeinden läßt durchaus die Frage zu,
ob die Kirche nicht für Priester, die aus dem Amt geschieden sind und zurückkehren
wollen, eine Lösung finden könnte. Wir konnten in dieser Sendung nicht das ganze
Thema Zölibat erschöpfend behandeln, sondern nur ein paar Teilaspekte antippen. Das
letzte Wort gehört bei uns dem Papst, demdamaligen Kardinals Ratzinger also, der vor
zehn Jahren im Gespräch noch auf einen Punkt besonders aufmerksam machte: "daß es
jedenfalls nach dem, was jeder vor der Priesterweihe sagt, ohnehin keine Zwangszölibatäre
gibt. Als Priester wird jemand nur dann angenommen, wenn er es auch aus freien Stücken
will. Und das ist jetzt natürlich die Frage: Wie tief gehören Priesterschaft und Zölibat
zusammen? Ist der Wille, bloß das eine zu haben, nicht doch auch eine niedrigere Ansicht
von Priestertum?"
Autor: Stefan v. Kempis Radio Vatikan
In unserem
Audio-Dossier hören Sie auch einige Stellungnahmen von Kardinal Ratzinger, jetzt Papst
Benedikt, zum Thema Zölibat. Sie stammen aus dem Jahr 1996.