Benedikt XVI. hat eine bessere Integration von Einwanderern gefordert und auf die
Achtung ihrer Rechte weltweit hingewiesen. Der Vatikan veröffentlichte heute die Botschaft
zum Welttag der Migranten und Flüchtlinge. "Es gibt reale Schwierigkeiten" vor allem
für die Flüchtlingsfamilien, so der Papst. "Gesetzgebende, rechtliche und soziale
Eingriffe" seien notwendig. Ausdrücklich betont Benedikt XVI. die unzureichende Unterbringung
in Flüchtlingslagern. Vor allem Frauen und Kinder würden aus Not zu überleben, Opfer
des Menschenhandels und der Prostiution. Der Welttag der Migranten und Flüchtlinge
wird am 14. Januar begangen, er steht 2007 unter dem Motto "Die Migrantenfamilie". (rv
14.11.06 bp)
Wir dokumentieren hier die Botschaft im Wortlaut:
Liebe
Brüder und Schwestern!
Aus Anlass des bevorstehenden Welttages der Migranten
und Flüchtlinge möchte ich Euch mit Blick auf die Heilige Familie von Nazareth, die
Ikone aller Familien, einladen, über die Lebenssituation der Migrantenfamilie nachzudenken.
Der Evangelist Matthäus berichtet, dass Josef kurz nach der Geburt Jesu gezwungen
war, in der Nacht nach Ägypten zu fliehen, um der Verfolgung durch König Herodes zu
entgehen (vgl. Mt 2,13–15). Diesen Evangeliumsabschnitt erläuternd schrieb mein verehrter
Vorgänger, der Diener Gottes Papst Pius XII., im Jahre 1952: »Die Familie von Nazareth
im Exil – Jesus, Maria und Josef, die nach Ägypten ausgewandert sind und dort Zuflucht
gesucht haben, um dem Zorn eines gottlosen Königs zu entgehen – ist das Modell, das
Vorbild und die Stütze aller Emigranten und Pilger jeden Alters und jeder Herkunft,
aller Flüchtlinge jeder Lebenssituation, die sich durch Verfolgung oder Not gezwungen
sehen, ihr Vaterland, die lieben Verwandten, Nachbarn und Freunde zu verlassen und
in ein fremdes Land zu gehen« (Exsul familia, AAS 44, 1952, 649). Im Drama der Familie
von Nazareth, die gezwungen ist nach Ägypten zu fliehen, erkennen wir die schmerzliche
Lebenssituation aller Migranten, besonders der Flüchtlinge, der Verbannten, der Vertriebenen,
der Asylanten, der Verfolgten. Wir erkennen die Schwierigkeiten jeder Migrantenfamilie,
die Entbehrungen, die Demütigungen, die Bedrängnis und die Schwachheit von Millionen
und aber Millionen Migranten, Flüchtlingen und Asylanten. Die Familie von Nazareth
spiegelt das Abbild Gottes wider, das im Herzen jeder menschlichen Familie bewahrt
wird, auch wenn es durch die Emigration entstellt und entkräftet worden ist.
Das
Thema des bevorstehenden Welttages der Migranten und Flüchtlinge – »Die Migrantenfamilie«
– schließt an die Themen von 1980, 1986 und 1993 an und möchte noch einmal den Einsatz
der Kirche nicht nur für den einzelnen Migranten, sondern auch für seine Familie,
Ort und Quelle der Kultur des Lebens und Faktor zur Einbeziehung von Werten, unterstreichen.
Die Familie des Migranten begegnet vielen Schwierigkeiten. Die Entfernungen zwischen
ihren Mitgliedern und die fehlende Zusammenführung lassen die ursprünglichen Verbindungen
oft zerbrechen. Es werden neue Beziehungen geknüpft, und neue Zuneigung entsteht;
durch die Entfernung und die Einsamkeit auf eine harte Probe gestellt, vergisst man
die Vergangenheit und die eigenen Pflichten. Wenn man der immigrierten Familie keine
wirkliche Möglichkeit zur Integration und zur Beteiligung zusichert, lässt sich für
sie eine harmonische Entwicklung kaum voraussehen. Durch die Internationale Konvention
zum Schutz der Rechte aller Migrantenarbeiter und ihrer Familienmitglieder, die am
1. Juli 2003 in Kraft getreten ist, sollen die Migranten- und Migrantinnen-Arbeiter
sowie die Mitglieder ihrer jeweiligen Familien geschützt werden. Das heißt, dass man
den Wert der Familie auch hinsichtlich der Emigration, einem Phänomen, das in unseren
Gesellschaften nunmehr strukturell verankert ist, anerkennt. Die Kirche unterstützt
die Ratifizierung der internationalen Rechtsmittel, die darauf ausgerichtet sind,
die Rechte der Migranten und der Flüchtlinge sowie ihrer Familien zu verteidigen und
bietet durch verschiedene Einrichtungen und Vereinigungen jene advocacy, die immer
dringender notwendig ist. Zu diesem Zweck wurden Beratungsstellen und Aufnahmezentren
für Migranten sowie Büros zum Dienst an den einzelnen und an den Familien eingerichtet,
und andere Initiativen wurden ins Leben gerufen, um dem steigenden Bedarf in diesem
Bereich zu entsprechen.
Es wird bereits viel getan für die Integration der
Immigrantenfamilien, auch wenn noch viel zu tun bleibt. Es gibt reale Schwierigkeiten,
die mit den »Verteidigungsmechanismen« der ersten Generation von Immigranten zusammenhängen
und die zum Hindernis für den Reifeprozess der jungen Menschen der zweiten Generation
zu werden drohen. Daher ist es notwendig, gesetzgebende, rechtliche und soziale Eingriffe
vorzusehen, um die Integration zu erleichtern. In letzter Zeit ist die Anzahl der
Frauen gestiegen, die auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen ihr Heimatland
verlassen, in der Aussicht auf viel versprechende berufliche Perspektiven. Nicht wenige
Frauen jedoch werden Opfer des Menschenhandels und der Prostitution. Bei den Familienzusammenführungen
können die Sozialarbeiterinnen und besonders die Ordensfrauen unter ihnen einen wertvollen
Vermittlungsdienst leisten, der immer größere Hochachtung verdient.
Bezüglich
der Integration der Immigrantenfamilien fühle ich mich verpflichtet, die Aufmerksamkeit
auf die Familien der Flüchtlinge zu lenken, deren Lebensbedingungen sich im Gegensatz
zu früher verschlechtert zu haben scheinen, auch im Hinblick auf die Familienzusammenführung.
In den Flüchtlingslagern, in die sie eingewiesen werden, gibt es nicht nur Schwierigkeiten
der Unterbringung und persönliche Schwierigkeiten, die an das Trauma und an den psychologischen
Stress gebunden sind, die aus den tragischen Erfahrungen heraus entstehen, die die
Flüchtlinge durchlebt haben. Daneben besteht manchmal sogar die Gefahr, dass Frauen
und Kinder in den sexuellen Missbrauch, als Mechanismus des Überlebens geraten. In
diesen Fällen bedarf es einer aufmerksamen pastoralen Präsenz, die außer dem Beistand,
der den verwundeten Herzen Linderung schenken kann, Unterstützung von Seiten der christlichen
Gemeinschaft bietet, die in der Lage ist, die Kultur der Achtung wiederherzustellen
und den wahren Wert der Liebe wieder aufzudecken. Man muss denjenigen, die innerlich
zerstört sind, Mut machen, ihr Selbstvertrauen wiederzuerlangen. Außerdem muss man
sich dafür einsetzen, dass die Rechte und die Würde der Familien gewährleistet werden
und dass ihnen eine Unterkunft zugesichert wird, die ihren Bedürfnissen entspricht.
Die Flüchtlingen sind aufgerufen, eine offene und positive Haltung einzunehmen gegenüber
der Gesellschaft, die sie aufnimmt, und sich aktiv zur Verfügung zu stellen bei Vorschlägen
zur Beteiligung am gemeinsamen Aufbau einer integrierten Gemeinschaft, die ein »gemeinsames
Haus« aller sein soll.
Unter den Migranten gibt es eine Kategorie, die besondere
Beachtung finden muss: diejenige der Studenten aus anderen Ländern, die weit weg sind
von Zuhause, ohne ausreichende Sprachkenntnisse, manchmal ohne Freunde und nicht selten
mit nur unzureichenden Stipendien. Noch schwerer wird ihre Situation, wenn es sich
um verheiratete Studenten handelt. Die Kirche bemüht sich durch ihre Einrichtungen,
diesen jungen Studenten das Fehlen des familiären Halts weniger schmerzlich zu gestalten
und hilft ihnen, sich in die Städte, die sie aufnehmen, zu integrieren, indem sie
sie in Kontakt bringt mit Familien, die bereit sind, ihnen Gastfreundschaft zu gewähren
und das gegenseitige Kennen lernen zu erleichtern. Ich hatte bereits anderweitig Gelegenheit
zu sagen: Den ausländischen Studenten zu Hilfe zu kommen »stellt für die Kirche einen
wichtigen Bereich pastoraler Tätigkeit dar. Die jungen Menschen, die ihr Land wegen
des Studiums verlassen, gehen nicht wenigen Problemen entgegen, insbesondere besteht
die Gefahr einer Identitätskrise« (L'Osservatore Romano, dt., Nr.2, 13.1.2006, S.
14).
Liebe Brüder und Schwestern, der Welttag der Migranten und Flüchtlinge
möge zur nützlichen Gelegenheit werden, um die kirchlichen Gemeinschaften und die
öffentliche Meinung für die Nöte und Probleme ebenso wie für das positive Potential
der Migrantenfamilien zu sensibilisieren. Meine Gedanken gehen besonders zu denjenigen,
die vom weit reichenden Phänomen der Migration unmittelbar betroffen sind und zu denen,
die ihre pastoralen Kräfte in den Dienst der menschlichen Mobilität stellen. Das Wort
des Apostels Paulus »Caritas Christi urget nos« (2 Kor 5,14) sei ihnen ein Antrieb,
sich bevorzugt den bedürftigsten Brüdern und Schwestern zu widmen. Mit diesen Empfindungen
rufe ich auf jeden einzelnen den göttlichen Beistand herab, und allen erteile ich
von Herzen einen besonderen Apostolischen Segen.