Meine Herren Kardinäle! Liebe Brüder im Bischofsamt!
Willkommen im Hause
des Nachfolgers Petri! In der Freude am Glauben, dessen Verkündigung unser gemeinsamer
Hirtendienst ist, begrüße ich Euch zu dieser Begegnung der ersten Gruppe deutscher
Bischöfe anläßlich des ad limina Besuchs. Ich freue mich, mit Euch nach meinen Deutschlandbesuchen
zum Weltjugendtag 2005 und kürzlich im September, bei denen ich vielen von Euch wenigstens
kurz begegnen konnte, hier zusammenzukommen, um mit Euch einen Blick auf die Lage
der Kirche in unserer Heimat zu werfen. Ich brauche es gewiß nicht eigens zu sagen:
Die Katholiken in den deutschen Diözesen und überhaupt alle Christen in unserem Land
liegen mir am Herzen. Täglich bete ich um den Segen Gottes für das deutsche Volk und
für alle in unserer Heimat lebenden Menschen. Möge die große Liebe Gottes die Herzen
aller berühren und verwandeln! – Ich bin dankbar, daß ich in den Einzelgesprächen
mit Euch nicht nur unsere persönliche Freundschaft und Verbundenheit vertiefen kann,
sondern vieles über die Lage in Euren Bistümern lernen darf. In den beiden Reden,
mit denen wir die persönlichen Begegnungen beschließen, möchte ich einige Aspekte
des kirchlichen Lebens hervorheben, die mir in dieser unserer geschichtlichen Stunde
besonders am Herzen liegen.
Die Bundesrepublik Deutschland teilt mit der ganzen
westlichen Welt die Situation einer von der Säkularisierung geprägten Kultur, in der
Gott immer mehr aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwindet, die Einzigkeit der Gestalt
Christi verblaßt und die von der kirchlichen Tradition geformten Werte immer mehr
an Wirkkraft verlieren. So wird auch für den einzelnen der Glaube schwieriger; die
Beliebigkeit an Lebensentwürfen und Lebensgestaltungen nimmt zu. Dieser Situation
sehen sich Hirten wie Gläubige der Kirche gegenübergestellt. Nicht wenige hat deshalb
Mutlosigkeit und Resignation befallen, Haltungen, die das Zeugnis für das befreiende
und rettende Evangelium Christi hindern. Ist das Christentum nicht am Ende doch auch
nur eines von vielen anderen Angeboten zur Sinnstiftung? So fragt sich manch einer.
Zugleich aber schauen angesichts der Brüchigkeit und Kurzlebigkeit der meisten dieser
Angebote viele wieder fragend und hoffend auf die christliche Botschaft und erwarten
von uns überzeugende Antworten.
Ich denke, die Kirche in Deutschland muß die
so angedeutete Situation als providentielle Herausforderung erkennen und sich ihr
mutig stellen. Wir Christen brauchen keine Angst vor der geistigen Konfrontation mit
einer Gesellschaft zu haben, hinter deren zur Schau gestellter intellektueller Überlegenheit
sich doch Ratlosigkeit angesichts der letzten existentiellen Fragen verbirgt. Die
Antworten, die die Kirche aus dem Evangelium des menschgewordenen Logos schöpft, haben
sich fürwahr in den geistigen Auseinandersetzungen zweier Jahrtausende bewährt; sie
sind von bleibender Gültigkeit. Von diesem Bewußtsein bestärkt können wir zuversichtlich
all denen Rede und Antwort stehen, die uns nach dem Grund der Hoffnung fragen, die
uns erfüllt (vgl. 1 Petr 3, 15). Dies gilt auch für unseren Umgang mit den Angehörigen
anderer Religionen, vor allem den vielen Muslimen, die in Deutschland leben, und denen
wir mit Respekt und Wohlwollen begegnen. Gerade sie, die an ihren religiösen Überzeugungen
und Riten meist mit großem Ernst festhalten, haben ein Recht auf unser demütiges und
festes Zeugnis für Jesus Christus. Um dieses mit Überzeugungskraft abzulegen, bedarf
es freilich ernster Bemühungen. Deshalb sollten an Orten mit zahlreicher muslimischer
Bevölkerung katholische Ansprechpartner zur Verfügung stehen, die die entsprechenden
sprachlichen und religionsgeschichtlichen Kenntnisse besitzen, die sie zum Gespräch
mit Muslimen befähigen. Ein solches Gespräch setzt freilich zuallererst eine solide
Kenntnis des eigenen katholischen Glaubens voraus.
Damit ist ein anderes –
ganz zentrales – Thema angeschlagen: das des Religionsunterrichts, der katholischen
Schulen und der katholischen Erwachsenenbildung. Dieser Bereich erfordert neue und
besondere Aufmerksamkeit seitens der Oberhirten. Da geht es zunächst um die Curricula
für den Religionsunterricht, die es am Katechismus der Katholischen Kirche auszurichten
gilt, damit im Laufe der Schulzeit das Ganze des Glaubens und der Lebensvollzüge der
Kirche vermittelt wird. In der Vergangenheit wurde nicht selten der Inhalt der Katechese
gegenüber den didaktischen Methoden in den Hintergrund gedrängt. Die ganzheitliche
und verständliche Vergegenwärtigung der Glaubensinhalte ist ein entscheidender Gesichtspunkt
bei der Genehmigung von Lehrbüchern für den Religionsunterricht. Nicht minder wichtig
ist auch die Treue der Lehrenden zum Glauben der Kirche und ihre Teilnahme am liturgischen
und pastoralen Leben der Pfarreien oder kirchlichen Gemeinschaften, in deren Gebiet
sie ihren Beruf ausüben. In den katholischen Schulen kommt es darüber hinaus darauf
an, daß Einführung in katholische Weltsicht und Glaubenspraxis sowie ganzheitliche
religiöse Persönlichkeitsbildung nicht nur im Religionsunterricht sondern im gesamten
Schulalltag – nicht zuletzt durch das persönliche Zeugnis der Lehrer – überzeugend
vermittelt werden. Eine ähnliche Bedeutung kommt den vielfältigen Institutionen und
Aktivitäten auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung zu. Hier sollte besonderes Augenmerk
auf die Wahl der Themen und Referenten gerichtet werden, damit die zentralen Inhalte
des Glaubens und der christlichen Lebensgestaltung nicht hinter vordergründig aktuellen
oder marginalen Fragestellungen zurückbleiben.
Die umfassende und getreue
Weitergabe des Glaubens in der Schule und in der Erwachsenenbildung hängt ihrerseits
maßgeblich von der Ausbildung der Priesteramtskandidaten und Religionslehrer an den
Theologischen Fakultäten und Hochschulen ab. Da nun kann nicht genug betont werden,
daß die Treue zum Depositum fidei, wie es vom Lehramt der Kirche vorgelegt wird, die
Voraussetzung für seriöse theologische Forschung und Lehre schlechthin darstellt.
Diese Treue ist auch eine Forderung der intellektuellen Redlichkeit für jeden, der
ein akademisches Lehramt im Auftrag der Kirche ausübt. Den Bischöfen obliegt es dabei,
das oberhirtliche „Nihil obstat“ nur nach gewissenhafter Prüfung zu erteilen. Nur
eine theologische Fakultät, die sich diesem Grundsatz verpflichtet weiß, wird in der
Lage sein, einen authentischen Beitrag zum geistigen Austausch innerhalb der Universitäten
zu leisten.
Laßt mich auch, verehrte Mitbrüder, von der Ausbildung in den
Priesterseminarien sprechen. Hierfür hat das Zweite Vatikanische Konzil in seinem
Dekret Optatam totius wichtige Normen erlassen, die leider noch nicht voll verwirklicht
sind. Dies gilt insbesondere von der Einrichtung des sogenannten Einführungskurses
vor Beginn des eigentlichen Studiums. Dieser sollte nicht nur die für das Studium
von Philosophie und Theologie mit Nachdruck zu fordernde solide Kenntnis der klassischen
Sprachen vermitteln, sondern auch die Vertrautheit mit dem Katechismus, mit der religiösen,
liturgischen und sakramentalen Praxis der Kirche. Angesichts der zunehmenden Zahl
von Interessenten und Kandidaten, die nicht mehr von einem traditionellen katholischen
Hintergrund herkommen, ist ein solches Einführungsjahr dringend notwendig. Darüber
hinaus kann der Student in diesem Jahr bereits größere Klarheit über seine Berufung
zum Priestertum gewinnen. Andererseits erhalten die für die Priesterausbildung Verantwortlichen
die Möglichkeit, sich ein Bild vom Kandidaten, von seiner menschlichen Reife und seinem
Glaubensleben, zu machen. Hingegen sind gruppendynamische Rollenspiele, Selbsterfahrungsgruppen
und andere psychologische Experimente weniger dazu geeignet und können eher Verwirrung
und Unsicherheit schaffen.
In diesem größeren Zusammenhang möchte ich Euch,
liebe Brüder im Bischofsamt, die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt besonders
ans Herz legen. In ihr besitzt das katholische Deutschland eine hervorragende Stätte,
an der eine Auseinandersetzung mit den geistigen Strömungen mit Problemen auf hohem
akademischen Niveau und im Lichte des katholischen Glaubens geführt und eine geistige
Elite herangebildet werden kann, die den Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft
im Geist des Evangeliums zu begegnen vermag. Die finanzielle Sicherstellung der einzigen
Katholischen Universität Deutschlands sollte als eine Gemeinschaftsaufgabe aller deutschen
Diözesen erkannt werden, denn die damit verbundenen Lasten können in Zukunft nicht
allein von den Bayerischen Bistümern getragen werden, die gleichwohl eine besondere
Verantwortung für diese Universität behalten.
Zum Schluß möchte ich noch
kurz auf ein ebenso dringendes wie emotional belastetes Problem eingehen: Es ist das
Verhältnis von Priestern und Laien bei der Erfüllung der Sendung der Kirche. Wie wichtig
die aktive Mitarbeit der Laien für das Leben der Kirche ist, erfahren wir in unserer
säkularen Kultur immer mehr. All den Laien, die die Kirche aus der Kraft der Taufe
lebendig mittragen, möchte ich von Herzen danken. Gerade weil das aktive Zeugnis der
Laien so wichtig ist, ist auch wichtig, daß die spezifischen Sendungsprofile nicht
vermischt werden. Die Predigt in der Heiligen Messe ist ein an das Weiheamt gebundener
Auftrag; wenn eine ausreichende Zahl von Priestern und Diakonen anwesend ist, steht
ihnen die Ausspendung der heiligen Kommunion zu. Auch wird immer wieder der Anspruch
auf von Laien auszuübende pastorale Leitungsfunktionen erhoben. Dabei dürfen wir die
damit zusammenhängenden Fragen nicht nur im Licht pastoraler Zweckmäßigkeiten erörtern,
denn es geht hier um Glaubenswahrheiten, nämlich um die von Jesus Christus gestiftete
sakramental-hierarchische Struktur Seiner Kirche. Da diese auf Seinem Willen und die
apostolische Vollmacht auf Seiner Sendung beruhen, sind sie dem menschlichem Zugriff
entzogen. Nur das Sakrament der Weihe befähigt den Empfänger in persona Christi zu
sprechen und zu handeln. Dies, verehrte Mitbrüder, gilt es, mit aller Geduld und Lehrweisheit
immer wieder einzuschärfen und daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Liebe
Mitbrüder im Bischofsamt! Die Kirche in Deutschland verfügt über tiefe geistliche
Wurzeln und über hervorragende Mittel zur Förderung des Glaubens und zur Unterstützung
bedürftiger Menschen im In- und Ausland. Die Zahl der engagierten Gläubigen und auch
die Qualität ihres Wirkens zum Wohle von Kirche und Gesellschaft sind wahrlich bemerkenswert.
Der Verwirklichung der Sendung der Kirche dient auch die weitgehend gute Zusammenarbeit
zwischen Staat und Kirche zum Segen der Menschen in Deutschland. Um der eingangs angesprochenen
großen Herausforderung durch den anhaltenden Säkularisierungsprozeß adäquat begegnen
zu können, muß die Kirche in Deutschland vor allem die Kraft und Schönheit des katholischen
Glaubens neu sichtbar machen: um dies zu können, muß sie in der Gemeinschaft mit Christus
wachsen. Die Einheit der Bischöfe, des Klerus und der Laien untereinander und auch
mit der Weltkirche, besonders mit dem Nachfolger Petri, ist dabei von fundamentaler
Bedeutung. Möge die mächtige Fürsprache der Jungfrau und Gottesmutter Maria, die in
unserer deutschen Heimat so viele wunderbare Heiligtümer besitzt, die Fürbitte des
heiligen Bonifatius und aller Heiligen unseres Landes Euch und den Gläubigen die Kraft
und Ausdauer erwirken, um das große Werk einer authentischen Erneuerung des Glaubenslebens
in der Heimat in Treue zu den universalkirchlichen Vorgaben mutig und vertrauensvoll
fortzusetzen. Dazu erteile ich Euch allen für die Aufgaben Eures Hirtendienstes sowie
auch allen Gläubigen in Deutschland von Herzen den Apostolischen Segen. Aus dem
Vatikan, am 10. November 2006