Nicht nur deutsche,
sondern auch Schweizer Bischöfe sind derzeit auf ad-limina-Besuch beim Papst in Rom.
Heute morgen nahmen Schweizer Oberhirten im Apostolischen Palast des Vatikans an der
Frühmesse von Benedikt XVI. teil. Hören Sie hier exklusiv die Predigt, die der Papst
den Bischöfen hinter verschlossenen Türen hielt. Liebe Mitbrüder,
die Texte, die wir eben gehört haben – die Lesung, der Antwortpsalm und das Evangelium
–, haben ein gemeinsames Thema, das man zusammenfassen könnte in dem Satz: Gott scheitert
nicht. Oder genauer gesagt: Gott scheitert zunächst immer, er läßt die Freiheit des
Menschen stehen, und die sagt immer wieder „nein“. Aber Gottes Phantasie, die schöpferische
Kraft seiner Liebe, ist größer als das menschliche Nein. Durch jedes menschliche Nein
wird eine neue Dimension seiner Liebe entbunden und findet er einen neuen, größeren
Weg, sein Ja zum Menschen, zu seiner Geschichte und zur Schöpfung zu verwirklichen.
In dem großen Christushymnus des Philipperbriefes, mit dem wir begonnen haben, hören
wir zunächst eine Anspielung auf die Geschichte von Adam, der mit der Freundschaft
Gottes nicht zufrieden war; es war ihm zu wenig, er wollte selbst ein Gott sein. Er
sah Freundschaft als Abhängigkeit an und hielt sich für einen Gott, wenn er nur in
sich selber stand. Darum sagte er „nein“, um selber ein Gott zu werden, und stürzte
sich gerade so aus seiner Höhe hinab. Gott „scheitert“ an Adam – und so scheinbar
für die ganze Geschichte. Aber Gott scheitert nicht, denn nun wird er selbst ein Mensch
und beginnt das Menschsein neu; pflanzt das Gottsein ins Menschsein unwiderruflich
ein und steigt hinunter bis in die letzten Abgründe und Tiefen des Menschseins; erniedrigt
sich bis ans Kreuz. Den Stolz überwindet er durch die Demut und den Gehorsam des Kreuzes.
Und so geschieht nun, was Jesaja 45 prophezeit hatte. In der Zeit, da Israel im Exil
und von der Landkarte verschwunden war, sagte der Prophet voraus, daß die ganze Welt
– „jedes Knie“ – sich vor diesem ohnmächtigen Gott beugen werde. Und der Philipperbrief
bestätigt uns: Jetzt ist es geschehen. Durch das Kreuz Christi ist Gott zu den Völkern
gekommen, aus Israel hinausgegangen, der Gott der Welt geworden. Und nun beugt der
Kosmos die Knie vor Jesus Christus, was auch wir heute in wunderbarer Weise erleben
dürfen: In allen Kontinenten, bis in die einfachsten Hütten hinein, ist der Gekreuzigte
gegenwärtig. Der Gott, der „gescheitert“ war, bringt nun durch seine Liebe den Menschen
wirklich dazu, die Knie zu beugen, und überwindet so die Welt mit seiner Liebe. Als
Antwortpsalm haben wir die 2. Hälfte des Passionspsalms 22 [21] gesungen. Es ist der
Psalm des leidenden Gerechten, vor allem des leidenden Israel, das vor dem schweigenden
Gott, der es verlassen hat, aufschreit: „Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?
Wie konntest Du mein vergessen? Nun gibt es mich gleichsam nicht mehr: Du handelst
nicht mehr, du sprichst nicht mehr… Warum hast Du mich verlassen?“ Jesus identifiziert
sich mit dem leidenden Israel, mit den leidenden, gottverlassenen Gerechten aller
Zeiten, und er trägt den Schrei der Gottverlassenheit, das Leiden des Vergessenseins
hinauf ans Herz Gottes selbst und wandelt so die Welt um. Die 2. Hälfte des Psalms,
die wir gebetet haben, sagt uns, was daraus hervorgeht: Die Armen essen und werden
gesättigt. Es ist die weltweite Eucharistie, die aus dem Kreuz hervorgeht. Nun sättigt
Gott weltweit die Menschen, die Armen, die seiner bedürfen. Er gibt ihnen die Sättigung,
die sie brauchen: Gott selbst, sich selbst. Und dann sagt der Psalm: „Alle Enden der
Erde werden umkehren zum Herrn.“ Aus dem Kreuz entspringt die universale Kirche. Gott
geht über das Judentum hinaus und umfaßt die ganze Welt, um sie im Mahl der Armen
zu vereinen. Und schließlich die Botschaft des Evangeliums. Wiederum das Scheitern
Gottes. Die Erstgeladenen sagen ab, sie kommen nicht. Der Saal Gottes bleibt leer,
sein Mahl scheint umsonst zubereitet. Es ist das, was Jesus in der Schlußphase seines
Wirkens erlebt: Die amtlichen, die bestimmenden Kreise Israels sagen „nein“ zu der
Einladung Gottes, die er selber ist. Sie kommen nicht. Seine Botschaft, sein Ruf endet
im Nein der Menschen. Und doch auch hier: Gott scheitert nicht. Der leere Saal wird
zur Möglichkeit, mehr Menschen zu rufen. Gottes Liebe, Gottes Einladung weitet sich
aus – Lukas erzählt sie uns in zwei Wellen: Zuerst ergeht sie an die Armen, die Verlassen,
die von niemandem Eingeladenen in der Stadt selber. Gott tut damit das, was wir gestern
im Evangelium gehört haben. (Das Evangelium heute gehört ja zu einem kleinen Symposium
im Rahmen eines Abendessens bei einem Pharisäer. Wir finden dort vier Texte: zuerst
die Heilung des Wassersüchtigen, dann das Wort von den letzten Plätzen, dann die Belehrung,
nicht die Freunde einzuladen, die dann diese Geste erwidern, sondern diejenigen, die
wirklich Hunger haben, aber keine Gegeneinladung verwirklichen können, und dann kommt
eben unsere Geschichte.) Gott tut nun das, was er dem Pharisäer gesagt hat: Er lädt
die ein, die nichts besitzen; die wirklich Hunger haben, die ihn nicht einladen, ihm
nichts geben können. Und dann kommt die zweite Welle. Sie geht vor die Stadt hinaus
auf die Straßen; die Unbehausten werden geladen. Wir dürfen wohl annehmen, daß Lukas
diese zwei Wellen in dem Sinn verstanden hat, daß es zuerst die Armen von Israel sind,
die in den Saal kommen und, da sie nicht ausreichen, weil Gottes Raum größer ist,
die Einladung aus der Heiligen Stadt hinausgeht in die Völkerwelt. Diejenigen, die
gar nicht zu Gott gehören, die draußen stehen, werden nun eingeladen, um den Saal
zu füllen. Und Lukas, der uns dieses Evangelium überliefert hat, sah sicher darin
die bildhaft vorweggenommene Darstellung der Ereignisse, die er dann in der Apostelgeschichte
erzählt, wo sich genau dies zuträgt: Paulus beginnt seine Mission immer in der Synagoge,
bei den Erstgeladenen, und erst, wenn da die Maßgebenden abgesagt haben und nur eine
kleine Schar von Armen geblieben ist, geht er hinaus zu den Heiden. So wird das Evangelium
durch diesen immer neuen Kreuzigungsvorgang hindurch universal, ergreift das Ganze,
schließlich bis nach Rom. Paulus ruft in Rom die Vorsteher der Synagoge zu sich, verkündet
ihnen das Geheimnis Jesu Christi, das Reich Gottes in dessen Person. Aber die maßgebenden
Teile sagen ab, und er verabschiedet sie mit den Worten: Nun, da ihr nicht hört, wird
diese Botschaft den Heiden verkündet, und sie werden hören. Mit dieser großen Zuversicht
endet die Botschaft vom Scheitern: Sie werden hören; die Kirche der Heiden wird sich
bilden. Und sie hat sich gebildet und bildet sich noch immer. In den Ad-limina-Besuchen
höre ich viel Schweres und Mühsames, aber immer – gerade aus der Dritten Welt – auch
dieses, daß die Menschen hören, daß sie kommen, daß auch heute auf den Straßen an
den Enden der Erde die Botschaft ankommt und die Menschen im Gottessaal zu seinem
Festmahl zusammenströmen. So sollten wir uns fragen: Was bedeutet dies alles für
uns? Zuerst einmal die Gewißheit: Gott scheitert nicht. Er „scheitert“ ständig, aber
gerade darum scheitert er nicht, denn er macht daraus neue Möglichkeiten größeren
Erbarmens, und seine Phantasie ist unerschöpflich. Er scheitert nicht, weil er immer
neue Weisen findet, zu den Menschen zu gehen und sein großes Haus weiter zu öffnen,
daß es ganz voll werde. Er scheitert nicht, weil er nicht davor zurückschreckt, die
Menschen zu drängen, daß sie kommen und sich an seinen Tisch setzen sollen, das Mahl
der Armen einzunehmen, in dem die köstliche Gabe, Gott selbst, geschenkt wird. Gott
scheitert nicht, auch heute nicht. Selbst, wenn wir so viel Nein erleben, dürfen wir
es wissen. Aus dieser ganzen Gottesgeschichte, von Adam an, können wir erkennen: Er
scheitert nicht. Auch heute wird er neue Wege finden, Menschen zu rufen, und möchte
uns als seine Boten und Diener dabei haben. Gerade in unserer Zeit kennen wir
das Nein-Sagen der Erstgeladenen sehr gut. In der Tat, die westliche Christenheit,
die neuen „Erstgeladenen“, sagen nun weithin ab, sie haben keine Zeit, zum Herrn zu
kommen. Wir kennen die leerer werdenden Kirchen, die leerer werdenden Seminare, die
leerer werdenden Ordenhäuser; wir kennen alle die Formen, in denen dieses „Nein, ich
habe etwas Wichtiges zu tun“ sich darstellt. Und es erschreckt und erschüttert uns,
Zeugen dieser Absage der Erstgeladenen zu sein, die eigentlich doch das Große wissen
und dorthin drängen müßten. Was sollen wir tun? Zunächst die Frage: Warum ist
es eigentlich so? Der Herr nennt in seinem Gleichnis zwei Gründe: Besitz und menschliche
Beziehungen, die die Menschen so in Anspruch nehmen, daß sie eben glauben, nichts
anderes mehr zu brauchen, daß ihre Zeit und damit ihre innere Existenz damit ganz
ausgefüllt wird. Der hl. Gregor der Große hat in seiner Auslegung dieses Textes noch
etwas tiefer einzudringen versucht und gefragt: Ja, aber wie ist das möglich, daß
der Mensch zu dem Größten „nein“ sagt, für das Wichtigste keine Zeit hat, seine Existenz
in sich verschließt? Und er antwortet: Sie haben eben nie die Erfahrung Gottes gemacht,
sind nie auf den Geschmack Gottes gekommen; sie haben nie gespürt, wie köstlich es
ist, von Gott angerührt zu werden! Diese „Berührung“ – und damit der „Geschmack an
Gott“ – fehlt ihnen. Und nur wenn wir es sozusagen schmecken, dann kommen wir auch
zum Mahl. Und Gregor zitiert den Psalm, aus dem unser Kommunionvers entnommen ist:
Schmeckt und kostet und seht; kostet, dann werdet ihr sehen und erleuchtet werden!
Wir müssen helfen, daß die Leute es kosten können, daß sie den Geschmack an Gott wieder
spüren können. In einer anderen Homilie ist Gregor der Große der gleichen Sache noch
weiter auf den Grund gegangen und hat gefragt: Wie kommt es, daß sie nicht wenigstens
irgendwo es verkosten wollen. Und er sagt: Wenn der Mensch ganz mit seiner eigenen
Welt beschäftigt ist, mit den materiellen Dingen, mit dem, was er tun und machen kann,
mit allem Machbaren, das ihm Erfolg bringt, das er selber hervorbringen und in sich
einbeziehen kann, dann verkümmert seine Empfindungsfähigkeit Gott gegenüber, das Organ
für Gott verkümmert und er wird stumpf und unsensibel für ihn. Er spürt das Göttliche
nicht mehr, weil das Organ dafür in ihm vertrocknet ist, sich nicht mehr entfaltet
hat. Wenn er zu sehr all die anderen Organe gebraucht, die empirischen, dann kann
es geschehen, daß eben der Sinn für Gott verflacht, dieses Organ abstirbt und der
Mensch, wie Gregor sagt, das Anschauen, das Angeschautwerden von Gott nicht mehr empfindet
– dieses Kostbare, daß sein Blick mich trifft! Ich meine, Gregor der Große hat
da genau die Situation unserer Zeit geschildert - das war ja damals eine sehr ähnliche
Zeit. Und wieder ist die Frage: Was sollen wir tun? Ich glaube, das erste ist das,
was uns der Herr heute in der ersten Lesung sagt, was uns Paulus vom Herrn her zuruft:
„Habt die Gesinnungen Jesu Christi – Touto phroneite en hymin ho kai en Christo
Iesou!“ Lernt denken wie Christus gedacht hat, lernt mit ihm denken! Und dieses
Denken ist nicht ein intellektuelles Denken, sondern ist auch ein Denken des Herzens.
Die Gesinnungen Jesu Christi lernen wir, wenn wir mit ihm mitdenken lernen und so
auch sein Scheitern mitdenken lernen und sein Hindurchgehen durch das Scheitern, das
Größerwerden seiner Liebe im Scheitern. Wenn wir in diese seine Gesinnungen eintreten,
anfangen, uns in sie einzuüben, daß wie er und mit ihm denken, dann erwacht in uns
die Freude an Gott, die Zuversicht, daß er dennoch der Stärkere ist, ja, wir dürfen
sagen: die Liebe zu ihm. Wir spüren, wie gut es ist, daß er ist und daß wir ihn kennen
dürfen – daß wir ihn im Angesicht Jesu Christi, der für uns gelitten hat, kennen.
Ich denke, dies ist das Erste: daß wir selber in lebendige Berührung mit Gott treten
– mit dem Herrn Jesus, dem lebendigen Gott; daß in uns das Organ für Gott stärker
wird, daß wir das Empfinden seiner Köstlichkeit selber in uns tragen. Und das beseelt
dann unser Wirken. Denn die Gefahr besteht ja auch für uns: Man kann ganz viel tun,
Kirchliches tun, alles für Gott tun…, und dabei bleibt man ganz bei sich selber und
kommt Gott gar nicht über den Weg. Engagement ersetzt den Glauben, aber dann wird
es von innen her leer. Ich glaube, darum sollten wir uns vor allem bemühen: im Hinhören
auf den Herrn, im Beten, im inwendigen Mitsein bei den Sakramenten, im Suchen Gottes
im Gesicht und im Leiden der Menschen seine Gesinnungen zu erlernen, um von seiner
Freude, von seinem Eifer, von seiner Liebe angesteckt zu werden und so mit ihm von
ihm her die Welt anzublicken. Wenn uns das gelingt, dann finden wir auch bei allem
Nein die Menschen neu, die auf ihn warten, die oft vielleicht abenteuerlich sind –
das sagt uns ja das Gleichnis sehr genau – und die doch in seinen Saal hineingerufen
sind. Noch einmal mit anderen Worten: Es geht um die Zentralität Gottes, und zwar
nicht irgendeines Gottes, sondern des Gottes mit dem Gesicht Jesu Christi. Das ist
heute wichtig. Es gibt so viele Probleme, die man auflisten kann, die alle gelöst
werden müssen, die aber alle nicht gelöst werden, wenn nicht im Zentrum Gott steht,
neu sichtbar wird in der Welt, maßgebend ist in unserem Leben und durch uns auch maßgebend
in die Welt hineintritt. Daran, denke ich, entscheidet sich heute das Geschick der
Welt in dieser dramatischen Situation: ob Gott da ist – der Gott Jesu Christi – und
anerkannt wird, oder ob er verschwindet. Um seine Gegenwart mühen wir uns. Was sollen
wir tun? Zuletzt? Wir rufen zu ihm! Wir feiern diese Messe zum Heiligen Geist und
bitten ihn: „Lava quod est sordidum, Riga quod est aridum, Sana quod est saucium.
Flecte quod est rigidum, Fove quod est frigidum, Rege quod est devium.“ Wir bitten
ihn, daß er bewässert, daß er wärmt, daß er aufrichtet, daß er selbst mit der Kraft
seiner heiligen Flamme uns durchdringt und die Welt erneuert: darum bitten wir ihn
in dieser Stunde, in diesen Tagen von ganzem Herzen. Amen. (rv 07.11.06 sk)